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Die Kolumne: Kulturpolitik auf der Couch
Der Sofist

Der Sofist

Italienische Männer trinken offenbar nachmittags keinen Cappuccino, sondern Espresso, oder - wie Leser aus der Toskana-Fraktion einwenden mögen - caffè.
Mein Eismann ist Italiener, wenn auch aus den Dolomiten, und mit mir hat er deshalb Schwierigkeiten, weil ich nachmittags lieber einen Cappuccino trinke, das kann er sich schlecht merken, und immer wieder kommt es vor, dass er mir einen Espresso anbietet. Immer, wenn er sich gerade gemerkt hat, dass es ein Cappuccino sein soll, geht er in die Winterpause, und im Frühjahr des Folgejahres ist vergessen, was ich trinke. Jetzt ist es wieder soweit, seit November klebt das Dolomiten-Poster an seinem Showroom, und für einige Monate vagabundiere ich durch Schicki-Micki-Bars oder gar die aus dem Boden sprießenden "Coffee Places" auf der Suche nach Cappuccino, der (a) italienisch schmeckt und (b) bezahlbar ist. Das Stammgast-Dasein bleibt mir verwehrt.

Anders Alma Rotheram. Sie (89) besucht seit 71 Jahren einen Pub in Worcestershire und trinkt dort jeden Abend acht kleine Biere, vermeldet eine Nachrichtenagentur. Mrs. Rotheram übertrifft damit David Roper (68), der es erst auf 51 Jahre Stammgastschaft in einem Pub in Dorset bringt (vier Bier, zwei Whiskey). In solch langen Jahren spielt sich manches ein, und als David Roper zwei Wochen krank war, besuchte ihn sein Wirt täglich im Krankenhaus.

Bei James Levine ist es anders herum: Der Stardirigent hat seine last order lange vor dem Glockenläuten abgegeben. Er wird 2004 als Chefdirigent der Münchener Philharmoniker ausscheiden und das Boston Symphony Orchestra von Seiji Ozawa übernehmen. Dabei hatte man ihn fürstlich bewirtet, versuchte, ihn zum Stammgast in München zu machen, bei den Philharmonikern, versteht sich, nicht im Hofbräuhaus, in dem Amerikaner auf Europa-Durchreise sonst so gerne verweilen. Auch für Levine war München nur ein Zwischenstopp. Wenn der Maestro mal einflog, wurde er zwar bejubelt, aber Levine fliegt ungern. New York - Boston geht eben prestissimo, wohingegen es von New York nach München ein Weilchen dauert, vom zweiten Weilchen, München Flughafen - München Innenstadt, ganz zu schweigen. New York ist Levines Stadt.
Er leitet, nein, er ist die Metropolitan Opera in New York, an der er im Alter von zarten 29 Jahren Chefdirigent wurde.
1999, da war er 56, war er den Münchenern als Nachfolger des legendären Celibidache gerade jung genug. Sie hofften auf eine große Ära - nun wird es weder groß noch eine Ära.

Indem Levine in München aussteigt, bringt er das Dirigenten-Karussell wieder in Fahrt, so dass den Kulturpolitikern übel wird. Die Münchener hatten für Levine zwei Millionen Mark jährlich aus der Stadtkasse geleiert. Bei einem solchen Salär könnten Alma Rotheram, David Roper und ich zusammen in einem überteuerten "Coffee Place" für einige Jahrzehnte Stammgäste werden. Und wenn sich die Studenten hinter der Bar unsere Stammwünsche nicht merken könnten, dann würden wir den ganzen Laden eben kaufen. Und wir würden Maestro Levine ein bisschen nachseufzen und seine Mozartplatten auflegen. Hinter der Theke stünde ganzjährig mein Eismann aus den Dolomiten, und sobald Alma, David und ich hereinkämen, würde er mit seinem leicht angefrorenen Bass singen: "Wie immer?" Er würde gar nicht mehr abwarten, bis wir zurückraunen, sondern zwölf kleine Biere zapfen und die Whiskeys für David, und er würde die Milch für den Cappuccino schäumen. Ich wäre endlich angekommen in meinem ganz privaten Cappuccino-Country. Es würde eine Ära. Eine große.

Rupprecht Podszun - November 2001

 

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