Rezension

Albrecht Müller: Die Reformlüge

19,90 Euro, 240 Seiten, gebunden
Droemer/Knaur, München 2004
ISBN: 3-426-27344-6


„Reformen sind das politische Allheilmittel der heutigen Zeit“ – mit diesem Dogma räumt Albrecht Müller in seinem Opus „Die Reformlüge“ gründlich auf. Klar ist: der Nationalökonom und ehemalige Mitarbeiter in Kanzleramt und Wirtschaftsministerium unter Schmidt und Schiller ist jeder Objektivität absolut unverdächtig. Dennoch stecken in seinen Gedankengängen überzeugende Argumente. „40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren“ hat er erkannt und präsentiert diese gut geschrieben und einigermaßen klar strukturiert. Kernaussage: niemand kann beweisen, dass die angeblich unumgänglichen Wirtschafts- und Sozialreformen wirklich wirken. Statt neoliberaler Angebotspolitik und privater finanzieller Absicherung des Einzelnen plädiert er für eine neue Nachfragepolitik (immerhin mit angebotsorientierten Elementen) und belegt dies auch mit zahlreichen Beispielen aus der Vergangenheit. Gerade diese zeitliche Weit- und Rücksicht mag den im täglichen Reform-Overkill aufgeriebenen Leser indes überzeugen.

Das Buch ist quasi ein Weckruf für alle, die sich bereits damit abgefunden hatten, dass Keynes tot ist. Seit 20 Jahren würde in Deutschland neoliberale Wirtschaftspolitik betrieben, die keinerlei Effekte zeigt, so die Argumentation. Schlagworte wie „Mehr Eigenverantwortung“, „Zu hohe Lohnnebenkosten“, „demographisches Problem“ kanzelt er empirisch fundiert und logisch nachvollziehbar als Claims einer Politikergeneration ab, die eine zahlenmäßig kleine, aber durchaus mächtige Klientel bedient. Wer auf private Altersvorsorge setzt, bekommt so als Beispiel die Finanzkrise der britischen Versicherungswirtschaft aus den Neunzigern vorgesetzt, die zahlreiche Menschen in die Armut getrieben habe. Auch mit den Eliten geht er hart ins Gericht: die schädliche Hysterie sei durch eine strategisch geplante Beeinflussung der öffentlichen Meinung gezielt herbeigeführt, um Reformnotwendigkeiten zu suggerieren. Und, Zitat: „Die Revolution von oben ... wird ... auch deshalb möglich, weil eine kritische Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient, kaum noch existiert und einer in Teilen systematischen Meinungsbeeinflussung unterliegt.“ Der neoliberalen Phalanx wirft er in diesem Zusammenhang auch vor, dass sie die Psychologie der Ökonomie vernachlässige: wirtschaftlicher Aufschwung könne nur bedingt mit marktwirtschaftlichen Instrumenten herbeigeführt werden. Lediglich beim Thema Inflation lässt er die sonst stringente volkswirtschaftliche Differenzierung vermissen, indem er großspurig Zinssätze, Realeinkommen und Preise zu einem Pi-Mal-Daumen Wachstumsmix vermengt.

Am Ende beglückt uns der Autor noch mit einem kurzweilig zu lesenden „Was wäre wenn“-Szenario, in welchem seine Vorstellungen realisiert werden und das mit den Worten endet: „Das Ende der herbeigeredeten Krise wäre absehbar.“ Fazit: prinzipiell ein intelligentes Buch, das so manchen aus dem Reform-Phlegma reißen und die politisch-gesellschaftliche Debatte bereichern mag. Wirklich alternative Ansätze zur Lösung sozialökonomischer Probleme bietet es jedoch nicht.

Antal Adam - red / 3. Dezember 2004
ID 1463


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