Jung-Goethe-
Stück
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Bildquelle: monbijou-theater.de
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Bewertung:
Auch Johann Wolfgang von Goethe hatte eine wilde Frühphase. Noch bevor er in Weimar zum Stürmer und Dränger und schließlich zum deutschen Klassiker wurde, schrieb er 20jährig zwischen 1768 und 1769 das derbe Lustspiel Die Mitschuldigen und spielte in der Uraufführung 1777 selbst eine der Hauptrollen. Es gibt zwei Fassungen, wobei man sich im Monbijou-Theater, das sonst eher auf knallige Shakespeare-Adaptionen und Molière-Komödien spezialisiert ist, auf die den ursprünglichen Einakter in drei Aufzüge aufweitende zweite entschieden hat.
Das gibt dem Schauspieler Daniel Sellier Gelegenheit, sich in einer ausführlichen Exposition mit ein paar Bierchen warm zu trinken, über deutsche Mitschuld, die AfD und den VW-Abgasskandal zu spotten sowie in groben Unterleibswitzchen die Charaktere des Stücks vorzustellen. Grell geschminkt und gelb wie ein Kanarienvogel kostümiert spielt er den Trinker Söller, der sich bei einem Wirt (Matthias Horn) und dessen Tochter ins gemachte Nest gesetzt hat. „Ein Vieh“ von einem Manne, wie die junge Sophie (Senita Huskic) erklärt, die sich mit ihm trösten musste, nachdem sich ihr früherer Geliebter, der adelige Alcest (Florian Kleine), in den Krieg auf und davon gemacht hat.
Doch nun ist der Angebetete zurückgekehrt, hat sich im Wirtshaus einquartiert und versucht sofort ein nächtliches Tete-à-Tete mit Sophie zu arrangieren. Neben den amourösen Verwicklungen spielen noch eine Schatulle mit Geld, aus der sich der mit Spielschulden beladene Söller bedienen will, und ein geheimnisvoller Brief an Alcest, an dem auch der Wirt großes Interesse zeigt, eine nicht unerhebliche Rolle. Goethe zielt hier nicht nur auf moralische Verfehlungen wie Geldgier, Diebstahl und Ehebruch ab, sondern spielt auch auf die juristische Ungleichheit von Adligen und den niederen Stand sowie den russisch-türkischen Krieg an. Letzteres sorgt für ein paar schöne aktuell-politische Analogien.
Also wie immer bestes Unterhaltungstheater unter freiem Himmel, wo Regisseur Maurice Farré mit Hilfe von tollen Darstellern, ein paar Stühlen und der Holzkulisse des Amphitheaters eine doch ganz brauchbare Komödie zusammengebracht hat. Heiß gesteht man sich ewige Liebe, derb wird gelogen, gestritten und intrigiert. Der schmierige Söller wie auch der dickbäuchige Wirt versuchen jeder für sich ihren Vorteil aus dem adligen Gast Alcest zu schlagen. Mittel zum Zweck ist auch die arme Sophie, die vom Vater fast schon zum Ehebruch getrieben wird. Niemand bleibt hier unschuldig.
Höhepunkt ist sicher das Zusammentreffen aller in der stockdunklen Kammer, hier für alle sichtbar auf einem Holzpodest mit gemalter Rückwand, in der der heimliche Dieb Söller in seinem kreisch-gelben Harlekinskostüm mit dem gleichfarbigen Kachelofen verschmilzt. Alle nacheinander eindringenden heimlichen Verschwörer belauschend, wähnt er sich mal als Gehörnter, mal gerät er selbst in einer hochkomische Verrenkungschoreografie zwischen die sich zierende Sophie und den drängenden Alcest. Mit Goethe im Darkroom - ein großer Spaß mit jeder Menge Slapstickeinlagen.
Der junge angehende Dichter hatte sich hier Einiges bei den französischen und italienischen Komödienvorbildern Molière und Goldoni abgeschaut, aber auch Lessings bürgerliches Aufklärungstheater stand Pate. Das Ganze ist eine schräge Mischung aus Comedie Francais, Commedia dell‘arte und deutschem Lustspiel mit klassischen Alexandriner-Versmaß. Mit viel Lust am Spiel und einigen satirischen Seitenhieben, in die sogar noch der Friseur von Donald Trump passt, wird das Komödiantische konsequent in die Farce getrieben. Da Goethes Stück etwas zu sehr ins banale Happy End abdriftet, sprech-singen die Schauspieler den Schluss in einem schrägen Rap, dem noch ein anarchischer Appell ans amüsierte Publikum das Berliner Stadtschloss betreffend vorangeht.
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Nach der Aufführung von Goethes Die Mitschuldigen im Berliner Monbijou-Theater | Foto (C) Stefan Bock
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Stefan Bock - 1. August 2016 ID 9458
DIE MITSCHULDIGEN (Monbijou-Theater, 29.09.2016)
Regie: Maurice Farré
Bühne: David Regehr
Kostüme: Isa Mehnert
Musik: Die Theaterkapelle des Monbijou-Theaters
Choreografische Beratung: Lionel Ménard und Wolfram von Boedecker
Maske: Nina Dell
Es spielen (im Wechsel mit Anderen): Matthias Horn, Senita Huskic, Florian Kleine und Daniel Sellier
Premeiere war am 22. Juni 2016
Weitere Termine: bis 2. 9. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://monbijou-theater.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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