Puccinis "Triptychon" am
Oldenburgischen Staatstheater
Von der Sehnsucht nach einem besseren Leben
Viel Opernglück mit Puccinis Triptychon in Oldenburg –
aber Niedersachsens Kulturpolitik riskiert den Theaterstandort
Über Puccinis Musik ist immer wieder behauptet worden, sie entbehre der zentralen Idee, der transzendenten Sinndimension, wie sie jedes wirklich erstrangige Kunstwerk auszeichne. Sein 1918 uraufgeführtes OpernTriptychon, bestehend aus den Einaktern „Il tabarro“, „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“ widerlegt diese Auffassung gründlich. „Il trittico“ stellt die Menschen als Glückssuchende, als unentwegt Hoffende vor – gerade in der Not und sogar noch im Untergang. Mit ihnen sympathisiert Puccinis Musik; sei es Giorgetta aus „Il tabarro“, die der Alltagseinförmigkeit, in die ein kurzes Leben zu verrinnen droht, durch eine außereheliche Beziehung zu entkommen trachtet, sei es andererseits ihr alternder Gatte Michele, der sich verzweifelt gegen den Liebesentzug durch seine Frau auflehnt, sei es die um ihr totes Kind trauernde Schwester Angelica, die ihren Schmerz der Gefühlskälte ihrer Familie entgegenstellt oder seien es schließlich Lauretta und Rinucchio, das junge Paar aus „Gianni Schicchi“, das in einer Welt alles beherrschender Geldanbetung noch an die Liebe glaubt. Was die Menschen trägt, was sie seelisch am Leben erhält, ist ihr Traum von einem besseren Dasein. Dieses Wissen, dass das Leben Größeres verspricht als das bloße Überleben, diese jederzeit von Schicksalsergebenheit und Selbstaufgabe gefährdete Intention auf Glück und Erfüllung beschwört Puccini im Triptychon vor dem Hintergrund einer resignativen Grundstimmung noch einmal in kurzatmigen, sehnsuchtsdurchzitterten Melodiebögen.
Die Neuinszenierung der drei Opern-Einakter am Oldenburgischen Staatstheater zielt besonders durch das Bühnenbild auf den gemeinsamen Ideenkern des Triptychons ab. Claudia Jenatsch hat eine ebenso suggestive wie ausdrucksstarke variable Einheitslösung für alle drei Werke gefunden. Eine klaustrophobe abweisende Architektur umschließt die Szene (etwa als Kai in „Il tabarro“ oder als Klostergemäuer in „Suor Angelica“), aus der sich im Verlauf der Stücke aber stets Ausblicke auf „utopische Orte“ ergeben. Letztere stehen für die Träume der Protagonisten ein und visualisieren die musikalischen Hoffnungsfenster, für die Puccini die Gesangspartien seiner Helden und Heldinnen offen gehalten hat.
Tobias Sosinka inszeniert das Eifersuchtsdrama „Il tabarro“ eher zurückhaltend. Die überaus entscheidende Bedeutung des Atmosphärischen in diesem Stück, seine nervenzerreißende Psychologie, die seelischen Abgründe der Handelnden versickern bisweilen in der spannungslosen Statik von Sosinkas Personenführung. Das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren wird nicht immer hinreichend deutlich. Wenn z.B. Giorgetta und Luigi im emphatischen Duett Paris und damit ihre Liebe besingen, bleibt dies szenisch folgenlos. Am überzeugendsten gerät in diesem Rahmen der Michele von Ks. Bernhard Lyon mit einer gut ausbalancierten Ausstrahlung von Verletztheit und Zynismus und einem beinahe etwas zu edlen klangschönen Bariton. Magdalena Schäfers Sopran fehlt das Volumen in der Höhe, um die ekstatischen Spitzentöne der Giorgetta-Partie ungeschmälert wirken lassen zu können. Eine tragikomische Charakterstudie formt Alexia Basile aus den Auftritten der Lumpensammmlerin Frugola. Diese auf einnehmende Weise verschrobenen Frauengestalt hat ihre Hoffnungen auf das ganz große, alles verändernde Glück schon lange begraben. Auf unnachahmliche Weise verleiht Puccini ihrer seelischen Verkümmerung mit dem bizarren musikalischen Leerlauf des Liedes über ihren Kater Ausdruck.
Ariane Arcoja (die Fürstin) und Nina von Möllendorff
(Schwester Angelica) in "Suor Angelica". Foto: Joachim
Hiltmann.
Ausgerechnet die Oper, die gemeinhin als die schwächste des Triptychons gilt, wird zum Höhepunkt des Abends. An „Suor Angelica“ erweist sich Dagmar Pischel als Regisseurin mit echtem Opernsinn. Das zeigt sich schon in der ersten Hälfte, wenn es gilt über 30 fast handlungslose Minuten hinweg die Individualitäten eines weitgehend auch musikalisch uniformen Nonnenkollektivs herauszuarbeiten: Pischel vertreibt jeden Anflug von Langeweile, unterhält ihr Publikum mit nuancierter ‚Genremalerei’, um so die richtige Fallhöhe für das bewegende Psychogramm Angelicas aufzubauen, das mit dem Eintreffen der Fürstin beginnt. Sie ist bei Pischel treffsicher weniger die frömmelnde Tante als vielmehr eine ‚Dame von Welt’, die nichts anficht außer der Sicherstellung eigenen Wohllebens. Die Szene mit Angelica und der Fürstin – darstellerisch und gesanglich äußerst packend: Ariane Arcoja – blättert die ungemeine Aktualität des scheinbar entlegenen Stoffes auf: die Verlorenheit des liebenden Menschenherzens in einer Welt kalter Berechnung. Wenn am Ende in einer mystifizierenden Errettungsvision Angelicas die angeflehte Madonna der Nonne ihr totes Kind zuführt, bleibt Pischel dem Libretto und der Musik treu. Sie schreckt davor zurück, dem Finale eine zeitgemäßere Sinndeutung aufzupfropfen: Sicher kein künstlerischer Höhepunkt im Oeuvre Puccinis, aber theatralisch genug, um das Publikum in Oldenburg willig mitzureißen. Entscheidend beteiligt am großen Erfolg der kleinen Muttertragödie ist Nina von Möllendorff als grandiose Darstellerin der Angelica mit äußerst rollenadäquatem quasi körperlos-ätherischem Sopran. Das von GMD Alexander Rumpf einstudierte, am Abend von Eric Solen geleitete Oldenburgische Staatsorchester lässt trotz vereinzelter Intonationstrübungen die zarten Pastellfarben in „Suor Angelica“ ebenso innig leuchten, wie es in „Il tabarro“ durch nuancierungs- und farbenreiches Spiel als Träger der dramatischen Spannung fungiert und in „Gianni Schicchi“ mit energischem Impetus die scharfen, kantigen Klangkonturen musiziert.
Gianni Schicchi soll durch eine Testamentsfälschung
als falscher Buoso Donati der Familie das Erbe retten.
Das macht sexy, finden die Frauen.
Magdalena Schäfer (Nella), Paul Brady (Gianni
Schicchi), Ariane Arcoja (Zita) und Alexia Basile
(Ciesca) in "Gianni Schicchi". Foto: Joachim Hiltmann.
„Gianni Schicchi“, von Regisseur Uwe Eric Laufenberg im Hier und Jetzt angesiedelt sowie detailverliebt und handwerklich perfekt in Szene gesetzt, markiert den furiosen Schlusspunkt. Gegenwartsorientierung und eine von der Commedia dell’arte inspirierte Typisierung der Charaktere ergänzen sich vortrefflich, wenn auch die Produktion um eine Spur zu klamaukig gerät. Paul Brady steht mit sicherem Falsett an der Spitze eines schauspielerisch agilen Ensembles. Anja Metzger singt die berühmte Lauretta-Arie tadellos, während Daniel Behle Rinucchios Tenor-Arie „Avete torto“ präzise, doch ohne den entscheidenden mitreißenden jugendlichen Schwung Glanz präsentiert.
Die Gesamtproduktion erlaubt dem Publikum sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Menschenschicksal im Spannungsfeld zwischen einer als zerstörerisch empfundenen Lebensrealität und dem unbeugsamen Vorwärtsdrängen der Sehnsucht in lichtere Möglichkeitswelten auseinander zu setzen. Ob derartig umfangreiche und vor allem künstlerisch ergreifende Projekte in Oldenburg allerdings künftig noch realisierbar sind, steht seit kurzem in Frage. Durch neue Einsparauflagen der Niedersächsischen Landesregierung für das Haushaltsjahr 2004 drohen dem Haus Einbußen in Höhe von ca. 350.000 Euro. Sie wären ohne eine irreversible Schädigung der Theaterinfrastruktur nicht zu leisten. Das auch von den Regierenden in Hannover gerne zelebrierte stereotype Lamento über die Ergebnisse der PISA-Studie oder den Wertezerfall in der Gesellschaft wird angesichts der Kürzungspläne in seiner ganzen Unbedarftheit oder gar seiner Doppelmoralstruktur entlarvt. Gebildete Köpfe und Herzen lassen sich nicht auf eine bloße Direktive hin fabrizieren. Das Theater ist für die Menschen ein prädestinierter Ort, um in der ästhetischen Anschauung ihrer Welt und ihrer Lebensumstände zwanglos eigene Wertehorizonte zu entwerfen oder zu überprüfen. Wer das Grauen des Todeschorals, mit dem Puccini die Ehetragödie von Giorgetta und Michele ‚ausklingen’ lässt, noch im Ohr hat, wird anders über Ehescheidungen urteilen, als dies Scheidungsstatistiken vielleicht nahe legen. Wer die Konfrontation zwischen der Fürstin und Angelica mit Angelica durchlitten hat, der hat zutiefst etwas verstanden von der brutalen Einrichtung der Welt und dem Ausgeliefertsein der Menschen an sie… Die aktuelle Kulturpolitik, speziell Theaterpolitik der Landesregierung läuft zu Ende gedacht darauf hinaus, den Menschen diese Chance zu nehmen, sich vor Ort gemeinsam mit anderen Menschen Rechenschaft abzulegen über die Normen ihres Handelns, über Sinn, Richtung und Ziel ihres Lebens – über den ethischen Zustand der zeitgenössischen Gesellschaft. Als Letztes noch dies: Im Kontext der unaussprechlichen Kopftuch-Debatte entfuhr unlängst Lutz Stratmanns Kollege, dem niedersächsischen Kultusminister Bernd Busemann das polemisch böse Diktum: „Wir sind das christliche Abendland und nicht der Orient.“ Bitte schön – die Oper wäre doch wohl eine der identitätsstiftenden Erfindungen europäisch-abendländischen Menschentums! Freilich produziert die „Opernmaschine“ ganz andere Werte, als sie die selbsternannten Hüter des Abendlandes mit ihrer Ressentiment-Ideologie wohl verfechten.
Christian Tepe - red. / November 2003
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