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CD: Besprechungen und Tips

CD-Special

Glenn Goulds letzte Aufnahme der Goldberg-Variationen
Der kanadische Klavierspieler Glenn Gould (1932 - 1982) nahm die Goldberg - Variationen (BWV 988) von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750) zweimal auf: Zum ersten 19 als Debütplatte, zum zweiten 1982, kurz vor seinem Tod. Und um diese zweite Aufnahme soll es im folgenden gehen.
Die Frage, warum im Jahr 2000 eine Rezension über eine Platte geschrieben wird, die 1982 aufgenommen wurde, ist nur scheinbar berechtigt: Wir haben es bei diesem Kunstwerk mit drei genialen Begebenheiten zu tun, und es bedarf keines alltagsbezogenen Anlasses, um sich damit auseinanderzusetzen; seine Existenz ist Anlass genug.

1) Das Werk

Einer Anekdote zufolge sind die Goldberg - Variationen eine Auftragskomposition. Ein gewisser Graf Keyserling litt unter Schlafstörungen und beauftragte infolge dessen seinen Cembalisten J.G. Goldberg, ein ehemaliger Schüler J.S. Bachs, er solle seinen alten Lehrer bitten, ihm ein Stück zu komponieren, welches ihm während der schlaflosen Stunden Zerstreuung verschaffe. Dies geschah; Bach komponierte 30 Variationen über eine Aria für Cembalo mit zwei Manualen.

2) Das Instrument

Das Cembalo war das zu Bachs Zeit verbreitetste Tasteninstrument und ist der Vorfahre des Hammerflügels, aus welchem wiederum der moderne Flügel hervorgegangen ist. Im Gegensatz zum Hammerflügel werden beim Cembalo die Saiten nicht mit Filzhämmern angeschlagen, sondern mit Federkielen angerissen, was einen silbrig - klaren, etwas starren und motorischen Klang zur Folge hat.
Glenn Gould spielte die Goldberg - Variationen auf einem modernen Yamaha - Flügel ein, was automatisch diejenigen Kritiker erzürnte, die behaupteten, man dürfe Bachs Musik nur auf den Instrumenten spielen, für die sie komponiert worden seien, d.h. in diesem Fall auf dem Cembalo. Von diesem Einwand hielt Gould nicht viel. Bachs Musik sei so universell und zeitlos, daß man sie auf jedem Instrument wiedergeben könne - nur dürfe die für Bachs Musik entscheidende Transparenz nicht abhanden gehen. Gould vermied deshalb das Benutzen des rechten (Legato - ) Pedales und einen allzu gebundenen Anschlag. Dieses "Non - Legato - Spiel" [Glenn Gould] macht Goulds Anschlag einzigartig präzise und transparent, wie ein "Röntgenbild der Musik" [Tim Page].

3) Der Pianist

Gould zählt zu den größten, wichtigsten und schwierigsten Musikern des 20. Jahrhunderts, und eben darum mußte ich mich entscheiden: Entweder man schreibt sehr ausführlich über ihn, um diesem Phänomen gerecht zu werden - oder man faßt sich sehr kurz. Zweiteres ist in diesem Rahmen angebrachter und soll im Grunde dazu dienen, den geneigten Leser dazu anzuregen, sich selber intensiver mit Glenn Gould zu beschäftigen.
Er befaßte sich mit der Musik der Renaissance bis hin zum Barock, Mozart gegenüber hatte er eine sehr distanzierte und kritische Einstellung, vom allgemeinen Beethovenkult hielt er nichts, liebte aber einige seiner Stücke, der Hochromantik (Schumann, Liszt, Chopin) stand er ablehnend gegenüber, Richard Wagner und Richard Strauß verehrte er. Zudem war er einer der ersten Interpreten, die sich aufrichtig um moderne Musik bemühten und sie aufführten bzw. einspielten (Schönberg, Krenek, etc.).
Von allen Komponisten liebte er neben Orlando Gibbons J.S. Bach am innigsten; er nahm fast alle Clavierwerke von ihm auf.
Am Rande sei noch vermerkt, daß Gould ab 1964 keine Konzerte mehr gab und, als Verfechter moderner Ton - und Rundfunktechnik nur noch im Studio und für das Fernsehen/Radio arbeitete. Zudem hatte er die Angewohnheit, während des Spielens mitzusummen, was aber definitif keine Allüre war und beim Anhören seiner Platten nicht stört.

4) Synthese

Es empfielt sich, die Aufnahme einige Male ganz und in Ruhe (am besten alleine) durchzuhören, nur so kann man mehr und mehr erahnen, wie merkwürdig und genial diese Synthese von Werk, Instrument und Pianist ist. Jegliche überflüssige und nervige Diskussionen, handelnd von Aufführungspraxis, Anschlag, Instrumentation, etc., lernt man vergessen, läßt man den "herbstlichen Frieden" [Glenn Gould], den diese Musik ausstrahlt, auf sich wirken. Der Flügel klingt klar und ist perfekt intoniert, Gould spielt präziser, durchdachter und zugleich spontaner denn je, man hat das Gefühl, das jede Note exakt so gespielt werden muß, wie er sie spielt - was zur Folge haben kann, daß man nie wieder eine andere Aufnahme hören will; sie kann nur schlechter sein.
Größte Kunstwerke entstehen, wenn (scheinbar?) zufällig alle Begebenheiten, die in der Kunst eine Rolle spielen, einander bedingen, sich perfekt ergänzen; und dergleichen geschieht nicht oft. Wer also vollendete musikalische Kunst kennenlernen will, der kaufe sich diese CD, und vielleicht tut sie Musik die Wirkung, die sie eigentlich auftragsgemäß haben sollte: Sie friedet die unermüdlich kreisenden Gedanken über alltägliche Mühen ein und, was in dem Fall ein großes Kompliment ist, geleitet einen, wenn man denn will, sanft in den Schlaf.


Die CD ist bei Sony Classical im Rahmen der "Glenn Gould Edition" erschienen und kostet ca. 25 DM. Man sollte darauf achten, auch wirklich die Spätfassung von 1982 zu erwischen; dabei ist es durchaus interessant, vergleichsweise auch die frühe Version, die ebenfalls gut, doch weniger reif und monumental ist, zu hören (erschienen in der selben Edition).


c.k. - red



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