Spuren Ligetis zu seinem Requiem
György Ligeti ist tot. Er lässt ein vielschichtiges Werk zurück, das sich immer allem Dogma entzog und das sich um keinerlei Mainstream-Avantgardismus scherte; ein Werk, das der Komponist selbst als extremistisch, als anarchistisch bezeichnete…
Ende der 50er Jahre wurde György Ligeti, nach dem Aufstand 1956 aus Ungarn nach Wien geflohen, von Karl Heinz Stockhausen, dessen frühe elektronische Komposition Der Gesang der Jünglinge im Feuerofen Ligeti stark begeistert hatte, nach Köln eingeladen, wo er zwei Jahre bleiben sollte.
“Wichtig für meine Musik,“ sagte er in einem Gespräch mit Marina Lobanova, „sind komplexe Strukturen - Ordnung, Chaos, Labyrinth und Spirale als Symbole; wichtig sind dann Verzweigungen wie Bäume oder Straßenkreuzungen, Straßenpläne von großen Städten; Gärten – komplizierte, labyrinthische Gärten; dann Netze – Spinnen- oder Fischernetze; Gewebe, Textur. Wichtig für meine Musik ist auch Konsistenz: hart, weich, klebrig, nass; dann Strömungen, Turbolenzen, Farben und Licht: hell und dunkel…”
Nach seiner elektronischen Komposition Artikulation von 1958 und dem Orchesterwerk Apparition von 1960 galt auch Ligeti als Teil der (selbsternannten) Avantgarde, bis diese sich in seinem Brahms gewidmeten Horntrio verraten fühlte und ihn für künstlerisch tot erklärte.
Avantgarden sind da schnell bei der Hand und obendrein nicht zimperlich, selbst wenn sie, wie das Spätwerk Ligetis zeigen sollte, maßlose Fehlurteile vollstrecken.
Klangzustände als Atmosphären
Bereits in den 50er Jahren unterschieden sich Umgang mit Klang und Kompositionsansatz des 1923 in Rumänien geborenen György Ligeti von denen Stockhausens grundlegend. Während letzterer “die theoretische Lösung des Schlüsselproblems…vielleicht des Komponierens überhaupt: die Relation von Dauern und Tonhöhen” (Heinz Klaus Metzger) gefunden hatte, galt Ligetis Interesse zunächst vor allem der Klangfarbe, deren Schattierungen, Verdich-tungs- und Entfaltungs-möglichkeiten, die er im elektronischen Studio des WDR – mit Stockhausen, Maderna, Koenig u. a. dabei zusammen arbeitend – experimentell auslotete, ohne allerdings, und auch hierin sich von Stockhausen unterscheidend, der elektronischen Musik selbst weitergehendes Interesse abgewinnen zu können.
Seiner “traditionellen Vorliebe für akustische Instrumente” folgend, konfrontierte Ligeti die im elektronischen Studio gemachten Erfahrungen und Ergebnisse mit dem Klangkörper eines großen Orchesters, um diesen in seiner Komposition Atmosphéres, in Donaueschingen 1962 uraufgeführt, zu einer von keinem bestimmbaren Ton mehr eingeschränkten Klangfläche auseinanderzusprengen.
Atmosphären nicht mehr enden könnender Verdichtung, nicht mehr enden könnenden Zerfalls von Klangverschichtungen, von Klangflächen ineinander geschoben, in Partikel dabei zerbrechend, die keinem Instrument namentlich mehr zu-hörbar…. In bis zu 54 Schichten sie übereinander gelegt, bedurfte es auch keiner extravaganten Spieltechnik, um den Hörer aller Stabilisierungsmöglichkeit des Gehörten durch Ton–Konzepten zu entziehen… Eine innere Schwerkraft, wimmelndes Tongewebe verdichtend, bis die so aufeinander gepressten Partikel zu schwer als dass sie noch gehalten werden könnten und sie, wie notgedrungen beginnen, die Kraft zu zersetzen sie auslaufen zu lassen, ohne dass dabei etwas Erzählbares wie Geschichte zurückbliebe…
“In dieser musikalischen Form” erklärt Ligeti im Programmheft zur Donaueschinger Uraufführung von Atmosphéres “gibt es keine Ereignisse, sondern nur Zuständ; keine Konturen und Gestalten, sondern nur den unbevölkerten, imaginären musikalischen Raum…”
Überzogen ironisierend könnte Atmosphéres als die praktische Zerschlagung des theoretischen Knotens von “Dauern und Tonhöhen” im Parameter der Klangfarbe gehört werden, dabei allerdings zugleich ein ganz anderes Problem aufwerfend, das in der Verwendung von Ligetis Arbeit als Soundtrack in Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum manifest werden sollte: eine in höchster Meisterschaft gewobener Klangteppich als kompositorische Annäherung an das Rauschen wird zum bloßen Rausch. Das letztlich in seiner Tiefe gar nicht mehr “hörbare” Werk, in seiner Gänze nur im Schriftbild erfassbar, wird vom Bild des Films, dem Farbensog einer Raumschifffahrt, zum akustischen Geschmacksverstärker degradiert.
Ligetis Requiem für Sopran, Mezzosopran, zwei gemischte Chöre und Orchester
Das Auslaufen ins Nichts mit dem Ligetis Requiem endet, war strukturell in seiner Poème symphonique, einer Komposition für einhundert Metronome angelegt, einhundert Metronome, die, alle zugleich beginnend, in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufend, zu unterschiedlichen Zeitpunkten stehenbleiben, bis nur noch eins in der Stille tickt und einfach aufhört. Das Requiem in lateinischer Sprache vertont und auch in den traditionellen Abschnitten - Introitus, Kyrie, Dies irae unterteilt - kommt im wahrsten musikalischen Sinne aus der Tiefe um sich immer höher zum “lux perpetua”, dem immerwährenden Licht in die hohen Register hinaufzuschieben, so als wolle der Komponist den Psalmvers “Aus der Tiefe rufe ich Herr zu dir” in Klangbewegung setzen, die dann, wie das Gebet des Menschen einfach abreißt. Das folgende Kyrie eleison, ebenfalls eine Bewegung der beiden fünfstimmigen Chöre und des Orchesters nach oben, in sich gewunden allerdings, spiralförmig in Fugengestalt, in die immer wieder wie ein scharfer metallischer Stoß die Bläser schneiden, so dass die Bewegung aufs Neue beginnen muss, unterbrochen gleichsam von Schicksalsschlägen, den Ruf Kyrie eleison (Herr erbarme dich) immer wieder anders wiederholend, was in der Grundstruktur der Fuge als Wiederholung eines Themas ja bereits angelegt ist. Das Dies irae (der Tag des Zorns) ein wahrhaft klanglicher Höllensturz in weitaufgerissenen Intervallen, kontrastiert von a capella Passagen der Solistinnen und ins Geräusch gespanten Klangresten, Ruinen auf einem Weg hinab…
Am Ende ein grausig leerer Raum, nichts mehr übrig, fast nichts und das was übrig bleibt dient nur dazu, dieses Nichts hörbar zu machen.
Gerald Pirner, red-berlin / 20. Juni 2006 ID 00000002466
Die beiden besprochenen Werke sind auf CD nachzuhören:
Atmosphéres, in 40 Jahre Donaueschinger Musiktage 1950-1990, col legno.
Requiem, in György Ligeti, Requiem, Aventures, Nouvelles Aventures, wergo.
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