Immer an
der Wand
lang
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Bewertung:
Wandkalender haben Konjunktur. Schon ein halbes Jahr vor Silvester hängen sie unübersehbar in den Buchhandlungen. Man könnte denken, sie hätten im Zeitalter der Nicht-Leser Romane, Erzählungen und Gedichtbände ersetzt. Viel mehr als Ziffern muss man nicht beherrschen.
Wandkalender – das mag ihre Beliebtheit erklären – erfüllen gleichzeitig mehrere Funktionen. Sie ermöglichen es, mit einem Blick zu überprüfen, auf welchen Wochentag ein bestimmtes Datum fällt und wie viele Tage zwischen zwei Daten liegen. Sie schmücken die ansonsten kahle Wand und sparen einem das Geld für ein Kunstwerk. Zudem wechselt das Bild jede Woche oder jeden Monat. Langeweile kommt nicht auf. Ich wage die Wette, dass die Zahl derer, die Chagall oder Magritte „kennen“, ohne Wandkalender wesentlich kleiner wäre. Manche Kalender enthalten kurze Texte und sorgen so für moderate Bildung.
Das beliebteste Motiv sind Katzen und Hunde. Offenbar kann es gar nicht zu viele Porträts von putzigen Viechern geben, die den Betrachter anstarren und den Vorteil haben, keinen Mist zu machen. Aber es gibt auch originellere Exemplare. So den Kalender Alles Reklame! im Athesia Kalenderverlag, in dem der Harenberg Verlag aufgegangen ist. Er profitiert von der grafischen Meisterschaft, aber auch von der historischen Patina bekannter oder vergessener Werbeplakate aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihre Formate, ihre deutlichen Konturen, ihre unmittelbare „Botschaft“ machen sie besonders geeignet für einen Blick aus mehreren Metern Entfernung. Das Detail spielt keine Rolle, es hat in der Werbung keinen Mehrwert. Es ist das beworbene Produkt, auf das es ankommt, das man sich merken, das sich einprägen soll. Jugendstil und Art nouveau haben ihre Spuren hinterlassen.
Da posieren die Heiligen Drei Könige mit ihrem Geschenk für das Jesus-Kindlein: Toblerone-Schokolade, die echte aus der Schweiz. Da wartet die Freiheitsstatue auf den Flieger von Air France. Da lockt ein exotisches Plakat in den Frankfurter Palmengarten und ein Flamingo in den Zoo. Da bewirbt eine Badeschönheit einen frühen Plattenspieler im Koffer. Eine eher impressionistische Frau schwärmt für sehr schmale Schuhe von Salamander. Viele Marken von Suchard über Nivea und Persil bis zu Gitanes haben zwei Weltkriege überlebt. Sie haben Generationen von den Litfaßsäulen herab angelächelt. Heute füllen sie einen Wandkalender. Anstelle von Katzen und Hunden.
Thomas Rothschild - 31. Juli 2024 ID 14855
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Alles Reklame! 2025
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