Verlags-Porträts:
Ernst Probst |

Schnellimbisse und durstige Fische
Der Marburger Jonas Verlag wird 25
"Drei Studenten fortgeschrittenen Semesters am Marburger
Kunsthistorischen Institut ... beschließen, einen Verlag
zu gründen mit dem Anspruch, Literatur und kunstwissenschaftliche
Titel zu veröffentlichen, die sie auf dem Buchmarkt vermissten."
Es klingt alles so einfach: Vor 25 Jahren gründeten Dieter
Mayer-Gürr, Claudia Gabriele Philipp und Elmar Altwasser
in Marburg den Jonas Verlag. Doch wozu man heute ein paar
Computer mit Modem und Graphik-Software und einen guten
Farb-Laserdrucker benötigt, das war im Jahr 1978 noch ein
mühsames Geschäft. Mit traditionellen Bleilettern, die in
Mayer-Gürrs Privatwohnung zu Wörtern zusammengebaut wurden,
mit Heidelberger Tiegel und Schneidemaschine in der nachbarlichen
Druckerei fertigten die drei Enthusiasten ihr erstes Buch:
die Geschichte vom "Postraub in der Surbach", der die
Bewohner eines kleinen hessischen Dorfes über Nacht
steinreich gemacht hatte.
Wie bastelt man sich einen Verlag?
Der Erfolg hat ihnen Recht gegeben. Mit ungefähr 250 lieferbaren
Titeln stellt der kleine originelle Verlag aus der Weidenhäuser
Straße in Marburg mittlerweile eine feste Größe auf dem
Markt für kunst- und kulturwissenschaftliche Bücher dar.
Die schmale, professionell gestaltete Verlagschronik, die
pünktlich zur Jubiläumsfeier am 2. August ausgeliefert wurde,
liest sich denn auch wie die Geschichte einer wunderbaren
Freundschaft mit dem Objekt Buch - mit Höhen und mit Tiefen.
Originalität, Anspruch und Improvisation gingen dabei Hand
in Hand. Als "Glücksfall" bezeichnete der Spiegel im April
1981 Wolfgang Baumanns, Harald Kimpels und Friedrich Kiess'
Buch über den "Schnellimbiss". Verleger Mayer-Gürr, im
Nebenberuf Fotograf, hatte die Bilder für das Buch geliefert,
mit dem der "winzige Verlag" nach eigener Einschätzung den
"Durchbruch" schaffte. Um einige unbekannte Exil-Briefe
von Georg Büchner rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse
herauszubringen, arbeiteten Verlag und Herausgeber Thomas
Michael Mayer die Sommerferien des Jahres 1993 quasi Tag
und Nacht durch. Ohne diesen persönlichen Einsatz seiner
Mitarbeiter, der auch mal zum Viehmarkt ins nordhessische Arolsen
oder durch die frisch angegliederten neuen Bundesländer
führte, hätte Jonas kaum weiterbestehen können.
Herr Jonas aus dem Telefonbuch
Überhaupt - der Name. Da das deutsche Recht bei einer GmbH
mindestens einen Gesellschafter verlangt, der den Namen der
Firma trägt, suchten sich Mayer-Gürr & Co. ihren "Herrn Jonas"
im Telefonbuch. Der hatte über seine Frau, Bibliothekarin
an der Marburger Uni, nur Gutes über die anspruchsvollen
Jungunternehmer gehört und ist dem Verlag seither treu
geblieben. Die Prophezeiung im Titel des Aussteigerfilms
"Jonas, der im Jahre 2000 25 Jahre alt wird", an den das
Gründungsteam bei der Namensfindung eigentlich gedacht
hatte, hat der Verlag nur um drei Jahre überschritten.
Jonas ist ein unkonventioneller Verlag, der seine Nische
gesucht und gefunden hat. Dampfpflüge oder der deutsche
Hochhausbau, die Reichsautobahn oder die Trachtenfotos eines
Hans Retzlaff - es sind die 'anderen' Themen, mit denen der
Verlag in den 80er Jahren ein Leserbedürfnis befriedigen konnte.
Neben volkskundlichen Themen, der Kulturgeschichte der
industriellen Revolution und dem Nationalsozialismus prägen
Publikationen über die Alltagskultur das Programm, wie etwa
Gundula Wolters Studien über Männer- und Frauenhosen ("Die
Verpackung des männlichen Geschlechts", 1988, und "Hosen,
weiblich", 1994) oder die Bücher über Ansichtskarten, Sandburgen
oder Perlonstrümpfe beweisen.
Daneben hat sich mit der Fotografie ein weiterer Schwerpunkt
gebildet, seit im Jahr 1989 Timm Starls und und Hubertus von
Amelunxens Zeitschrift
Fotogeschichte an den Start ging.
Durch Kooperationen mit dem Hessischen Rundfunk, dem Kasseler
Stadtmuseum oder dem Deutschen Hygienemuseum in Dresden und
mit eigenen Publikationreihen wie den Hessischen Blättern
für Volks- und Kulturforschung hat Jonas endgültig die
höheren Weihen der Verlagswelt erhalten.
Die höheren Weihen der Verlagswelt
Seit dem Jahr 2000 kann man den
Jonas Verlag auch im Netz besuchen. Die Verlagshomepage
bietet
allgemeine Infos, eine
Vorschau aufs aktuelle Programm und eine ausführliche
Backlist in einfachem Retrolook. Abgesehen von der
Schreibmaschinentype zeugen simpel gestaltete Frames und
Courier New-Ästhetik allerdings davon, dass dem Verlag
schön gestaltete Bücher wichtiger sind als der Internetauftritt.
Die "Bücherkiste"
besticht mit ihren umständlichen Hinweisen
auf Browsereinstellungen auch nicht gerade durch Anwenderfreundlichkeit.
Über die einzelnen Rubriken lassen sich jedoch sämtliche
lieferbaren Titel des Verlags recherchieren und verhältnismäßig
einfach bestellen. Ansonsten gibt's ja noch immer den guten
alten Buchhandel, wo auch sämtliche Jonas-Bücher gelistet sind.
Die Situation der kleinen Verlage ist in einer Zeit einbrechender
Absatzzahlen nicht eben leichter geworden. Der Gefahr, zu einem
reinen Dissertationen-Druckbetrieb zu werden, ist der Verlag
jedoch schon früh begegnet: bereits seit 1982 ist Jonas
auf der "Mainzer Minipressen-Messe", dem Forum kleiner
Kunstbuchverlage, vertreten. Und die vier Mitarbeiter
produzieren auch weiterhin jährlich bis zu 20 Titel in
kleinen und mittleren Auflagen.
Man darf also gespannt sein, in welche Richtung der Jonas
Verlag in den kommenden Jahren gehen wird. Die Neuerscheinungen,
Elisabeth Naumanns "Kiosk", das neue Buch des Fotogeschichte
-Herausgebers Anton Holzer ("Mit der Kamera bewaffnet. Krieg
und Fotografie") sowie die Neuauflage des 'Bestsellers'
"Haben Fische Durst?" versprechen erst einmal ein spannendes
Herbstprogramm.
p.w./red., 3. September 2003
Die Verlagsfestschrift 25 Jahre Jonas Verlag. Chronik 1978-2003, aus der das
Eingangszitat stammt, enthält alle Persönlichkeiten, viele Details und
sämtliche Titel aus 25 Jahren Verlagsgeschichte und kann für 10 Euro beim Verlag
bestellt werden.
Kontakt:
Jonas Verlag für Kunst und Literatur GmbH
Weidenhäuser Str. 88
35037 Marburg
Tel.: 06421/25132
Fax: 06421/210572
E-Mail: jonas@jonas-verlag.de
www.jonas-verlag.de
|
|
|
|