Frau K trinkt immer noch soviel
Frau K's Freundin schaut ihr dabei zu, wie sie ihr Bier trinkt. Frau K spricht schon
seit einer halben Stunde, sie erklärt, daß sie viel lieber Gandhi als Frau K
wäre. Frau K denkt, daß den eigenen Welthaß zu beherrschen glücklich
machen kann. Im allgemeinen würde Frau K lieber in einer schlichteren und
nicht so gemeinen Welt leben - und da irgendeiner ja anfangen muß, wäre sie lieber
selbst schlichter und nicht so gemein. Frau K hätte gerne mit Güte erfüllte
Freunde, überhaupt weniger mit sich selbst ausgefüllte Freunde, damit sie, Frau
K, sich auch einmal von allen auf ihr Inneres gerichteten Impulsen freimachen kann.
Frau K würde sich am liebsten auf ihre Arbeit konzentrieren, nicht auf die anderen
und ihre Quertreibereien, noch weniger aber auf sich selbst und ihre Probleme.
Frau K's Freundin schaut ihr dabei zu, wie sie ihr Bier trinkt. Sie sagt:
"Frau K, du denkst nicht genug über das nach, was du sagst. Wie kannst du nur
glauben, daß du schlichter und weniger gemein werden kannst, wenn du es nicht mal
schaffst, weniger zu trinken?" Da bleibt Frau K die Spucke weg, und sie
nimmt einen großen Schluck Bier, stellt ihr Glas wieder vor sich hin und seufzt.
"Ich kenne dich gut, (jetzt spricht wieder Frau K,) das hast du bestimmt nicht
einfach so dahin gesagt, um nichts oder einfach nur um irgendwas zu sagen - du hast die
Sachen so ausgesprochen, wie du sie denkst; ich nehme das alles sehr ernst, verstehe aber nicht:
werde ich schlichter und weniger gemein, wenn ich weniger trinke oder was?" Die
Freundin lächelt: "Es hat mit der Getränkemenge gar nichts zu tun. Das
Verhalten ist es, das du am liebsten seit Jahren schon ändern würdest; jedoch ist es dir bisher nicht
gelungen. Und es ist um so vieles leichter, weniger zu trinken als weniger an
sich selbst zu denken!" Frau K bestellt sich noch ein Bier und denkt, daß
auch die ehrlichsten und besten Freunde gefährlich werden können, wenn man ihnen
nicht gewachsen ist.
L.S. 2003
Email: l_s@gmx.net
Übersetzung aus dem Französischen:
Patrick Wilden und C. Chauvin
Zum Originaltext: Mme K boit toujours autant