ASHMANIA

Hupalupa’s Mondsüchtigkeit

John Ashman




Auch hier im Süden: An der Nordwestschulter Afrikas, gut 28° 07' N, 17° 14' W, zischelt einem Jodhaltiges in die Nebenhöhlen. Es ist Februar, mit luftfeuchten 23° Grad nicht gerade ungewöhnlich für Gomera - mittlerweile zum unverkrampften Treff von Hippie bis Ruheständler avanciert.
Fenster wurden geputzt, Mittelstreifen nachgezogen, Mauern; verschärft, kalkweiß getüncht. Es ist die Zeit, wo der Karneval den Gomeros bunte Kostüme und Mützen anzieht.

Schon von weitem erkennt man wachsendes Geschlängel in Richtung Hafen - selbst wenn das Gehen mehr ein Anstellen ist, stürmt alles hin zum Meereszugang mit Seebrücken-Romantik: Zeitlose, Zahnlose und sonstige mit bunten Gewändern, ganze Gruppen schon lange auf Treckinglatschen unterwegs, drängeln nach dem Zufallsprinzip, um Farbenfröhliches zu erhaschen.

Wegen dem Licht allein schon, fällt der tiefrechtsschielende Blick gleich auf den endlos gedehnten Ozean. Hier und da schwimmt lebensspendender Wohlstandsmüll im Brandungsschaum und in dem vom Himmel fallenden Blau winken kreischende Möwen … Ahoi, wie ein Tortenmesser teilt eine rosttragende Pinasse, die den Namen Ein Stein trug, die sopa de verduras und führte die einschlägig beladene Schiffsprosssession an, während zwischen Gaben mit Götterpolitur, die so aussahen, als würden sie lieber sinken, Kinder in allen Ausführungen durch den Blick planschten und im Vordergrund jemand in voller Montur die Schnapsleichen aus dem Wasser fischt; oder sind das Seebestattungen?

Wieder andere zickzacken schnaufend, ins innere Vueltas, wo klimagefärbte Zweckbauwerke, deren von Salz und Sonne umzingelter Anstrich schon blättert, die ungetrübte Sicht auf das schmatzende Nass versperren. Mit einer you can always get what u want Sphäre besetzen buckelig asphaltierte Straßen – labyrinthartig fast wie im Kreuzworträtsel – alsbald den Ort.

Auf der Suche nach Capitano Claudio weist ein endlos ausgeblichenes Schild an der Apartado de Correos, der man lange hinterher lief - auf die Höhle (sozusagen der Eingang zu Los Organos und Whale-Watching-Touren) vom Valle Boten hin. Nur weiter so, wo 186 Meter schattentragende Bodensenken einen Weg durch quietschende Badelatschen finden, schlägt man sich um Ecken und Winkel und vis-à-vis: Folgen Sie uns einfach, über Steinfragmente, von denen jedes für sich selbst spricht, hin zu Fahrweggewebe, in der Symmetrieachsenkontur einer gefalteten Banane. Quer davor liegt La Salsa längsseits der Küstenlinie schön an der frischen Luft; auch La Goleta, schmeißt sich einem geradewegs in die Arme, nicht ohne dass sich ein Wohlgefühl aufdrängt.

Dann: Ein paar U-turns weiter strandet man schließlich in der Calle Abesinia, die, soweit die Vorstellung reicht, eingeschnürt von Trinkhallen und Lädchen nebst anderem have to see, teils original verpackt teils innerlich wieder hergestellt, den Raum belegt.
Ein paar Leute winken. N e i n. Also bitte! … zugegeben, nach dieser, sagen wir mal Freiluft Pediküre zur Mittagsstunde, ohne Peilung und der Suche nach exotischem, scheitelt einen gelegentlich der Leichtsinn und bringt vom ursprünglich Gewollten ab. Und zweitens: Rachendürre kommt schnell. Also Vorsicht! Hier werden selbst Touristas zu Drinks eingeladen. Das Cerveza, sagen die Leute, sei nicht stark & wie sich heraus stellt, gefällt es einem hier immer besser; auch wenn das San Miguel das vom Hals in den Schritt läuft ein ständiger Begleiter bleibt, ist alles wie im Fernsehen.

Kurz vorm Übergang in einen flüssigen Zustand kehrt der Atem zurück wie ein Echo am Wolfgangsee, und sobald andere Wahrheiten ins Auge flossen, erinnerte vieles an die Traditionszerstörung der Spanier.



Nach einem Fehlstart begleiten einen zunächst zwei kürbisgroße Schaben, dann drei, schließlich vier. Gut man war in ihr Territorium eingedrungen – bekam jedoch so einen guten Einblick in die Tierwelt Gomeras. Und wo die feine Ansicht exotischer Pflanzblüten jenseits enthalten ist, gelangt man schließlich gut oder mittels Plan, wieder aufs Backblech der überlaufenen Festzone neben der sich Bäume, wie zu großer Broccoli, ranken.

Außer den versteckten Gekkos träumen wenige sprachlos, andere weinen scheinbar schrecklich glücklich, um später über ihrer Tageszeitung einzuschlafen & vor aufgebockten Zapfstellen, die später wieder demontiert werden, grölen in rosagelben Zwirn gedrehte, mit aufreizender Langsamkeit abgefressene Trinklieder mit verdoppelter Breite und irgendwo drei, vier kaum noch auseinander zu kriegende Straßenhunde neben denen junge Musiker kotzen, die zuvor stritten und namentlich hier nicht genannt werden möchten. Kurz: Um was es auch ging: Nichts schien indes genug!

Völlig daneben, wir kennen das, im Klangschatten von jaulenden Comparsas zockt die Feuerwehr unter ihrem rundherum verbeulten Einsatzwagen - bäuchlings Domino; gerade wo Regen und Sonnenschein jetzt im Minutentakt wechseln, muss man den Kopf schütteln (… die Frisur ist hin) während hier und da getanzt wird.
Trotzdem gehen schnell umgehängte Trommeln, Hörner und Pfeifen hochgradig ihrer Pflicht nach; und nach und nach lösen nicht nur gomerische Stimmen Stück für Stück Discolieder oder auch heilig Aufeinandergesagtes aus unverständlichen Mündern. Nicht zu vergessen diverse El Silbo Debatten.

Manch einer trägt Stöpsel, andere deponieren Fünfziger-Jahre-Wäscheklammern auf der Nase und schwer zu entdecken - ein angenommener Normalzustand. Yeah, tropical holydays on the beachsite - including Carnival. Kauderwelschten englische Zaungäste – Marke: Blairtourist, an deren Klick, Klick, Klick man sich eigentlich nicht mehr erinnern möchte, während in Schussweite unübersehbar offizielle Trachtenhemden mit geschwollenen Brüsten nach dem rechten sahen, ... ja schlafen die denn?

... auch das noch: Wie durch den Geburtskanal, für die die von außen schauen, während sich die Zeiger der Uhren tick, tick, tick unermüdlich beschleunigten hatte man Mühe, in der großen Bequemlichkeit der Annahme, gefeit zu sein gegen solcherlei Festlichkeiten, welche, zunächst sorglos und fast süßlich, dann erfrischend wie Eiszeit, Schritt halten.
Derweil wird weiterhin Prozentiges in windschiefen Hütten serviert und Seekranke benutzen öffentliche Gemeinschaftstoiletten, um über Bord zu gehen. Manövrierfähigere besuchen dazu eine gegenüberliegende mit Papierfetzen tapezierte Wand, die die vielen Besucher nicht verkraftet. Schon gar nichts für die Jacob-Sisters und ihre weißen Zwergpudel.

Keine 16 Schritte weiter schwappt der Wahnsinn offensichtlich überall hin und will nicht unentdeckt bleiben, da kann einem fehlerhaft, aber in jedem Falle lauthals singend, das sympathische Internetcafe Ciberm@tika - bedruckt mit Lebensgestaltungsappellen der Werbeindustrie - gestohlen bleiben.
Plötzlich (man wartet auf einen Bombenalarm) wird es laut, lauter irgendwie, als würde jemand den Ton aufdrehen, verbinden sich in Reihe geschaltete Murgas & Cosos und schwer im Kommen, quiekende Handys - begleitet von rhythmischem Händeklatschen zu rückstoßerzeugenden Klangmustern, bei denen man sich die alltägliche Ørientierung an den Hut steckt.

Mal abgesehen davon klackern links & rechts nie ganz dicke Señoras oder deren bebrillte Schwestern in spitzenbesetzten Röcken unter turbanähnlich Kopfbedeckungen mit ihren Zähnen, und wer zwischendurch Platz findet, kann die Prozedur bei einem eierhandgranatengroßen Avokado - angerichtet in der mit Limonen gefüllten Lastwagenfelge - verarbeiten.

Und kennen Sie wirklich Gutes aus der kanarischen Kombüse, nach dem sich das gomerische Herz sehnt?
Papas arugadas, Mojos (grün&rot) und sogar Almogrote (mit Öl angemachter Hartkäse), muss man, nebst Plátanos (Bananen) in allen Größen und Farben auch Piña (Ananas) oder Palmenhonig, einfach probieren. Dabei kommt einem, weil’s doch wirkt für einen Augenblick, Immodium in den Sinn; oder das Klo verdaut.

Doch im Vertrauen, alles Einzigartig. Wenn man ein Auge halb zudrückt. Und bevor einen der Humor verlässt, sollte man schnell noch im Künstlerviertel von El Guro oder an der Finca Argaga vorbeischauen; ein Muss, wenn nicht nur der Eindruck eines Besäufnisses entstehen soll.

Anschließend finden sich, voll suchend nach besten Ankerplätzen, immer mehr in dem liebevoll ausstaffierten Loch im Gemäuer ein: Tambara Café - ein meer-stöckiges Schankhaus, wie man es kennt, falls Sie derartige Lokalitäten überhaupt kennen - und, ja, es hatte tatsächlich Takelage und Piratenambiente in früheren Tagen, gab der Zahlmeister zu.
Heute lässt sich auf naturholzverschalten Stapelsitzen nebst in den Raum geklemmter Tische, die Platten, Bonsai-Holz, rotbraun gewienert – ein Versuch sich gegen gefräßige Termiten zu wehren - was für orientalische Atmosphäre sorgt, unter gefleckter Deckenbemalung mit steifgefrorenem San Miguel & Nebel jetzt draußen, unglaublich gut die Zeit oder auch mal eine Mücke totschlagen.
Beste Bedingungen also für plötzliche Ideen. Stattdessen begnügte man sich mit Tapageschmack im Hals und einem gewohnten sich treiben Lassen.
Die Aussicht, davon noch mehr zu bekommen, beschloss man, war die richtige Gelegenheit, einen Aquardiente Jahrgang 2005, pur, mit dem Gesicht nach oben, als Kickstarter sozusagen, runterzuprügeln.
Nachmittags ließ die offene Vorderseite neben den Katzen auch Vögel herein - soweit alles gut. Es sei denn, jemand berührt während der MTV-Novelas auf RTL-Niveau den Fernseher an der Wand.
Aber Hallo - Brust ’raus Beine breit, eine blondgewimperte Karnevalskönigin, halb Mensch halb Göttin, mit klimpernder Sprache in der Bewegung, die aus Mangel an Bodenfläche auf dem Tresen samt Schrauben im Bauchnabel die Silhouette ergänzt und entgegen vorherrschender Meinung Mann, nicht Frau war, kam da gerade recht während von oben ein Papagei exotisch ganz neue Lieder krächzt.
Rechts davon, neben dem heuschreckenfarbenen Regal verqualmt eine Fortuna in der Hand, und als der Tanz zu Ende geht, ist man noch nicht fertig mit Staunen; alles schwankt in diesem Mikrokosmos. Zunächst ja nur kurz. Später dafür deutlich. Und nach und nach, schwer im Kommen; Blicke ständig leer wie die viel zu kleinen Gläser selbst.
Zum Schluss ist es nicht schwer ein ferienhaftes, schon fremdgewordenes, Grinsen samt hola-la von diesen netten Patchwork-Guanchen anzunehmen. Selbst wenn’s erst beim spracheverschlagenen até logo dämmert, von wem der Kuss gerade kam, ist die Freude stark - als hätte irgendein Spaßvogel Lachgas in die Atmosphäre gemischt!
Nicht viel Später liegt Gomera im Paradies. Ein herrlicher, bis hin zur Idealform schöner Winterabend, der auf 16° Grad zurückspringt und eine Mondsüchtigkeit erweckt.
Das Stelldichein und Zählen der Trommelschläge sollte am besten in der belebten Kulisse vor Maria stattfinden. Möglichst noch bevor die Dunkelheit horizontweit letzte, freundlich flammende Strahlen und verirrte Motten verschluckt. Hippies und andere schwören, dass jene leuchtende Agonie die da in Meskalinfarben auf der Salzflut glitzert, Zeichen Hupalupa’s seien.

John Ashman / 28. Januar 2008
ID 3667


Siehe auch:
http://www.kultura-extra.de/literatur/literatur/portrait/ashman_portrait.php