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Kultura-Spezial
Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Unter Nacktem
oder vom tiefelosen Schwund der Figur

Zu Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998
Acryl auf Stoff
130 x 100 cm
Text: Gerald Pirner
Foto: Adel


„Macht über das Imaginäre, vorausgesetzt, man versteht das Imaginäre als das, was sich der Macht entzieht. Die Wiederholung als Nicht-Macht. […] Die Angst zu lesen: jeder Text […] ist leer - er existiert im Grunde gar nicht; man muß einen Abgrund überspringen, und wenn man nicht springt, versteht man nicht. […] Die Obsession des ganz und gar Passiven. Schwach werden ohne Mangel: Kennzeichen der Passivität. […] Schreiben, das ist die Absetzung des Willens, wie der Verlust der Beherrschung.“ (Maurice Blanchot)

Alle Linie in Farbe zurückgenommen. Konturen nur noch Hautabschnitt und auch nur so groß wie vom Körper zugelassen. Was Farbe von sich sprechen lässt in einer Monochromie verschwunden die alle Monochromie übersteigt. Im Rückzug von Linien und Konturen der Ausbleichung des Schattens im Schwund jegliche Differenz die Farbe gänzlich entblößt. Sehrest mit ausgerissenen Gesichtsfetzen die in keinem Namen mehr zur Ruhe kommen – alles überdeckende Farbe treibt sie aus. Blindheit als Erlösung von Erblindung. Farbe als Zustand vielleicht an Farbe erinnernd - mit Sicherheit aber nichts mit ihr gemein. Sehen in ihm zu sehen worin alle Sichtbarkeit verschwunden, allen hereinstürzenden Bildern gleichermaßen Halt. Gleichgültige Totalität keinem Sprechen Einhalt gebietend kein Ende dem Erzählen. Worte wörtlich genommen bildloser Taumel buchstäblich ohne Rahmen und Raum. In Farbe das Auge versiegelt. Das Sehen bei sich.

Aufgerissen das Dunkel in einer breiten Fläche von Blau. Stimmen in Texten bildversperrt ihr Woher. Vorgestellt aber nur, denn was er da zeigte, hatte er nicht gesehen. Nichts aber drückte die Unmöglichkeit blinde Farbzustände darzustellen präziser aus, als die bloße Anwesenheit des Regisseurs Derek Jarman an diesem Tag. Siebzig Minuten blauer Monochromie. Alles Sprechen ausgeschlossen und das hört man und im Leinwandschnitt durch den Raum hört der Sehende dass er nicht sieht, hört die Trennung von Sehen und Gesehenem und hört das noch bevor er es schaut. Angesprochen in Farbverschluss. Einsamkeit eines Subjektes, das von keinem Objekt mehr bestätigt und die Augen fallen ungehalten zurück in sich wo kein Doppel mehr Wirklichkeit verschattet. Nie genug aber die Stimmen für ein Draußen, das richtungsöffnend bliebe. Blau dieser unveränderte Ausschnitt. Ausgesperrt darin auch der Sehende wartend auf den Anspruch und aufgenommen von ihm und absolut getrennt. Anders aber als das geschriebene Wort, dessen Schriftzug im Lesen verschwindet, ruft das Gesprochene den Körper auf, hält ihn bei sich und verrät ihn in der Stimme - entblößt in Zeit was nie an ihm zu sehen. Der Blinde baut sich auch daraus seine Bilder und nicht zuletzt die löchrigen vom eigenen Leib. Blue, ein Film in blinden Bildern und blinde Bilder von denen Derek Jarmans Stimme spricht. Bilder des Blinden in dreifachem Sinn. Dazwischen aber alles Off aufgehoben wo es doch jetzt überall. Als sollten kurz vor seinem Aidstod die schwindenden Linien von Farbe nochmals wenn auch anders in Wirklichkeit treten, überließ er sein Körpergedächtnis ihnen in Schrift – vielleicht um es endgültig darin zu verlieren.


Ausschnitt: Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Chroma: Leben eines Malers in allen Schichten von Farbe. Chroma die Farben buchstäblich liniiert. Wie von Hand Fragmente satzweise hereingerissen. Kurze Spritzer wörtlich. „Blau ist feuriger als Gelb. Blau ist kalt. Eisig kalt. Blau schützt Weiß vor der Unschuld. Blau hat Schwarz im Schlepptau. Blau ist sichtbar gemachte Dunkelheit. BLAU IST BLAU.“ Blau, dieses Wort, kalter Blitz von Magnesiumbrand in Erinnerung geworfen. Ausgeschmolzene Spuren von Liebe von Kunst und von Tod. Lebendige Innschrift leibhaft gewordener Farbe ausgelegt von Worten als gleichermaßen lustvolles wie grausiges Panorama. Der Körper aber, der einzige Ort der den Bildern geblieben. Ins Blaue – zwischen Arbeitskleidung in Indigo und dem Mantel der Jungfrau bildlose Schärfe ätzenden Gifts der Farbproduktion. Steinerne Ausflüge zu Lapislazulithronen. Spermafeucht in Blüten japanischer Gärten. Dann aber auch das Blau von Krankheit und Tod, von Krankenhaus und von Kanüle, das Blau zwischen Netzhautablösung und Tropf. Leibhaftige Enzyklopädie der Farbe dem Leben lang evoziert bevor ihre Gravuren im unhintergehbaren Farbzustand verblasst. „Denn seine Welt, gewöhnt an das Bild als einen absoluten Wert zu glauben, hatte das wesentliche Gebot vergessen: du sollst dir kein Bildnis machen, obwohl du weißt, dass die Aufgabe darin besteht, die leere Seite zu füllen.“ Eine Woche nach der deutschen Erstaufführung seines Filmes Blue, bei der der Regisseur noch anwesend, starb Derek Jarman vollständig erblindet an Aids.

Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Orte des Bildes
Auf der Stelle holt die Hand dem Blinden den Raum ein, der an ihren Bewegungen sich sättigt. Unter Fingern aus Wand deren Flächen geschnitten. Akustische Tupfer getrocknet kaum dass Wand berührt. Schritt aus der Türschlucht und das Geräusch hinaus gerissen. Feucht jetzt und von anderswo her nachgeschmatzt. Streifen von Fingern in Verputz rhythmisiert. Ungleichmäßige kleine Hohlungen. Zischeln kurz zu Flüstern dann die Wand wieder glatt. Verschwiegen unter Haut an den Ecken. Später in Hand das Streifen geöffnet als hauche ein Maul in sein Hohl. Ungesehen lässt die Tapete von der Wand, das aber hört man nur, zu sehen ist das nicht und das fühlt er.

Geräuschschnitt scharf: Kante eines Plakates lasziv wie launisch zum Falz hin entglitten. Bauchig dann und weich für einen Moment in die Haut geschmiegt und keine Wand mehr. Fest ihren Kopf zwischen seinen Händen, von oben her sonst nur sein Haar. Die Augen hält sie geschlossen den Arm über der nackten Brust. Ein Bild Aufriss Ihrer Beschreibung. Ihr Gesicht ihr Körper Arme Beine Brüste Schoß Bauch und wie er sie malt
sie hinlegt
sie verrenkt
sie positioniert
sie drapiert
wie unter seiner Hand ein Bild entsteht
dem sie sich entzieht
dem sie entgleitet
dem sie widersteht
EIN BILD DAS NICHT ZU SEHEN SEIN WIRD VON DEM NUR GESPROCHEN
wie er hört
und dass Sie das sagt
dass sie es betrachteten das schon das sei zu sehen
als Bild gleichsam
wie sie es anschauen und das sieht Sie
aber was sie da sehen sieht Sie nicht
sieht also auch nicht dass sie es sehen
dass sie überhaupt etwas sehen.

Bilder die ihm den Raum nicht versichern. Eher halten sie ihn aus ihm heraus. Greifbar Flächen aus unerreichbaren Flächen geschnitten – übertragene Imagination dass etwas abschließbar. Was den Raum hält, hält jetzt seine Markierungen. Umgehbar darin auch für ihn. Feste Pappe faltlos gerollt. Straff und dicht an der Wand. Ohne Widerstand die Hand schnell darüber, gebremst sie nur vom eigenen Schweiß und dennoch laut und eher Rauschen denn Zischen. Nadeln inmitten. Blätter daran aneinander. Um sich herum geführte Berührung. Weich sie wie beschichtet und der Plakatgrund dabei gleich mit. Er wartet. Er horcht und hört Ihren Atem. Kein Wort. Kein Bild aus Ihrem Sprechen geborgt. Imaginiertes. Blasse Gravuren. Stiller Fluss rahmenlos. Leichtes Ratschen in mittlerer Höhe verschoben. Sie richtet es aus. Stumpf fällt etwas gegen die Wand das ledern nachzittert. Warte noch, sagt er. Und schließt die Türen. Vier an der Zahl – jede Himmelsrichtung einzeln ausgesperrt. Windschiefes Kompasskreuz für einen winzigen Flur. Er breitet die Arme aus. Ja das könnte gehen.
Von Latten ausgespannt die Arme vor ihm. Holz Stoff Nägel die Hände und zwischen ihnen all das was wortlos gar nicht vorhanden. Kurz angehoben und schon in kleiner Bewegung erschüttert erst recht wo es erneut gegen die Wand zurückgefallen. Pappenes Getrippel an verschiedenen Stellen keine Zeit dazwischen also auf einmal: Linie zu hören ausgespannte Strecke – materialiter in Raum überwundene Distanz ohne dass da Zeit. Hände und Arme noch immer vor ihm ausgebreitet, akustisch ausgestrichelt was dazwischen. Gehalten was nicht zu haben und was verstummte wenn es berührt. Dessen Anfänge und Enden am Rahmen gespürt. Dann Stille. Nichts mehr was über den eigenen Atem hinausginge. Er riecht und riecht doch nur den schalen Geruch von Cafe aus seinem Mund zugetragen ihm von der Bespannung. Erneut zieht er sie näher heran. Kalte Striemen über Auge und Backe. Ein anderer oben an der Stirn – die bleiben noch eine Weile und blieben noch als längst es zurückgehängt. Fläche vom Gemälde in den Raum geschoben. Taktil hereingetreten noch bevor der perspektivisch darauf zu Illusion geworden. Kein Rahmen um den Rahmen geriert sich hier als dessen Einrichtung - skulpturale Modalität im Ursprung für sich beanspruchend. Er stellt es zwischen die Türen und stellt es so dass es hält. Freilich kommt er jeder Zeit um es herum. Stößt aber, so er durch will darauf und jedes Mal stößt es ihm anders zu. An jedem Ort aber trägt die Hand dem Blinden den ganzen Raum ein, indem es ihn zur Fläche macht wie alles was sie berührt.

Ausschnitt: Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Bildlos zerfällt im Tasten der Begriff zu Eigenschaften die ausmachen was unter der Hand nicht erfasst. In Stoff und Material die Hand, nichts sucht sie, lässt sich leiten dem Gedächtnis des Berührten anvertraut. Blind der Begriff als Begriff des Blinden. Körper geöffnet vom Wort, dessen Schichten ein Außen versprochen, das niemals war und immer nur wird. Keine aber sagt das jetzt, hielte aufgerufenen Spuren Rahmen hin – flüchtige Echos der eigenen Gravuren, zu-geschriebener Rest. Nichtgesprochene Worte durch Orte taumelnd die sie selbst. Ruinenkrater einst bezeichneter Gebilde längst Geschehen und verkrustet noch bevor das großgeschrieben. Worte auf der Suche nach verlorenen Stimmen. Ergebenste Passivität ihr Zug und da passt jedes Bild durch und jedem Bild sie Pforte. Nichts als Körper. Rettungslose Virtualität.

Gazeartig Fettverkrustungen entzogen klammervertackert auf Holz. Um das herum schlingt es sich, biedert in kleinen Falten den Leisten sich an, als wollte am Rand Gewebe bleiben was oben auf der Fläche verdickt. Achtlos aber hinten herumgelappt, ölig verschmiert an den Ecken. Schmale Farbwülste der Kante lang, dezent zusammengelaufener Damm. An anderen Stellen so dick als hielte das Gemälde sein Material an, nichts von ihm nach Draußen zu lassen. Spuren dort aber. Ausscheidungen seiner Geschichte. Zeugnisse dass die Kraft ausgegangen, all seine Stofflichkeit im Rahmen zu halten – was hieße bei sich. Leicht mit den Fingern darauf getippt und etwas schlackert flach nach, ein Geräusch Resonanz verratend, nicht weit die jedoch gelassen von sich. Keckerndes trippelndes Tier ausgespannt über Grund. Zwischen Erhabenheit und Hochmut oberflächlich gekratzt. Berührt Kaltes das sich entzieht sich entwindend kokett, verwickelt mit anderen und unter Drittem gespannt – weit von der Oberfläche sich weg biegende Kabel, straff auf die gepresst von anderen weiter rechts. Als Schlaufen in sich hinten verschlungen, unentschlossen ob es nach vorne soll. Zu fremdem Schriftzug an anderen Stellen vertackert. Reißt ab. Spitz. Hängt lose heraus.

Verkabelung nennt Rosmarie Burger diese Bespannung auf gespannter Leinwand obschon was da gefühlt eher Draht. Konnotiert Draht aber Absperrung und Knast, Kabel hingegen Kommunikation Fluss und Vernetzung, verweist der Begriff auf die beiden Dimensionen des Austauschs, die – in der Fläche immer lediglich festgestellt - sich hier ganz körperlich lösen und in Berührung als Zeit und Raum in Zeit und Raum erfahren. Tiefe, der Fläche flüchtig. Tasten entweichendes Schweben über Bild. Herausgerissen aus dem Gemälde dem nur zwei Dimensionen noch bleiben, auch wenn Material da heftig widerspricht. Tiefe, nach vorn gebäumter Horizont. Umkehrung der Perspektive. Eingespannt von einer fünfsaitigen Vertikale. Bändigendes Instrument gestimmt. Ausladend vorgewölbt und wieder schüchtern entzogen. Weicht aus der Berührung der Hand. Dort aber festgestellt das Berührte zu Gestalt, das freilich anders als gesehen. In Form hier Horizont persifliert und mit ihm die abendländische Orientierung am Kreuz. Das braucht hier seine Vertikale dass der horizontale Querbalken von rechts nicht endgültig abrutscht in Raum.

Die Tür öffnet sich. Ein Windstoß zwischen Jacques Rivettes Die schöne Querulantin und dem Marx-Plakat sowjetischer Produktion. Er nimmt es auf und hängt es zurück. Nur ein Nagel sagt Sie. Die eine Hand schiebt es der anderen zu und träge schwingt es hin und her. Ein Geräusch von etwas das sich aufbläht.

Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Vom Ende der Durchsichtigkeit
Gesten weiblicher Figuren wie zu Allegorie erstarrt. Körperformen als Zeichen. Entblößtes Material abgestorbenen Bezugs. Sie macht ihm seine Schenkel breit zieht ihn von hinten in Ihren ausgespreizten Schoß. Einen Arm quer über die Brust Zeigefinger gewinkelt nach links. Den Kopf zieht Sie ihm hoch der Ihrige im Profil eine Hand auf dem Bein. Nur dass sie nirgendwo sitzen, sagt Sie. Einfach in Blau oder aus Blau heraus. Aber selbst das wäre ungenau wo das Bild doch nur flächig.

Die Hände darauf. Fett verklebte krustige Schichten oben. Grobkörnige Ausscheidung staubverschmiert. Fein ausgestrichen wie verdünnt ziehen Flächen links sich dahinein zurück. Sehenden aber erschiene das wohl eher als „davor“ und dass eine Gestalt sich da abhebe. Rechts die Striche dichter und wimmlig in rundem Ausschnitt die träge Verdickung aufgerissen. Kreisförmig die Bewegung der Hand Konturen erahnend, weniger Grenze von Körpern sie denn Gedächtnis ihrer Ausdehnung. Unter der Hand treiben ihre Rundungen sie dort hinaus, vergewissert in Haut wie weit sie gehen. Bestätigte Erinnerung in Zeit und bildlos macht erst letztere sie zu Form. Konturen als Notiz des Körpers. Liniierte Stütze seines Volumens in Fläche, und Tasten widerspricht der Illusion des Bildes dass da Dauer.

Drei seien es sagt Sie. Links eine einzeln und rechts Schoß in Schoß ineinander noch mal zwei. Aus Pastosem deren Fläche herausgerissen. Unter Berührung aber kein Doppel keine von einer anderen getrennt. Kaum Übergänge zwischen Armen Brüsten und Schenkeln oder von Hüften zu Bauch oder Geschlecht. Differenziert am ehesten noch der Kopf. Gestreift durch Ihre Worte – Arbeit einer Frau an weiblichen Formen verausgabt hinein ins Stumme. Bruchstücke in Haut aufgerufen aus dem Körperort blinder Bilder. Haltungen ausgezeichnet wie Posen. Markierungen, dass der Körper nicht ausläuft wo unter der Hand der immer über sich hinausgetrieben und dabei noch zerteilt. Gesten verkörpert vor dem Bild - einverleibte Form. Auf Fläche Gesten in Bewegung nachgezeichnet dass sie werden was Sie spricht. Berührte Proportionen ins Dreidimensionale übersetzt – unzulässige Überschreitung von Raum in Zeit der das Beschriebene ja gerade entzogen. Flächig habe er sich alles vorzustellen und er nimmt seine Hand also buchstäblich und versteht was Sie meint.

Erneut sie auf der Leinwand. Zäh gibt sie nach diese von Pusteln übersäte Haut. Fühlbar aber getastet was zu sehen – Fläche und nichts als Fläche. Das sagt Sie und das Wort tut so als meinte Sehen und Tasten dasselbe. Fläche und nichts als Fläche. Alle Tiefe ausgeschieden. Kein Werden keine Beziehung kein Verhältnis. So selbstverständlich wie falsch als Außen angesprochen übersieht der Blinde seine Haut und übersieht den Ort seiner Bilder. Da gibt es kein Außen. Da ist nichts anderes als spiegelloser Sog.

Rechts zwei weibliche Figuren. Ausgespreizt die Schenkel beide und die vordere in den Schoß der hinteren geschoben. Mit geschlossenen Augen schaue die nach rechts aus dem Bild; die vordere wiederum gen Himmel. Präsentiert das Geschlecht und darin erstarrt. In Arm und Hand die Blickrichtung konterkariert. Von links die andere ungesehen gelockt. Eine Andere aber meint sie deute nur hin sie zeige nur auf. Vor geöffnetem Schoß die Füße gekreuzt. Dass sie vielleicht wen halte, denkt er, oder sich in entsprechende Haltung imaginiere. Dann wieder so wie Sie beschrieben eher zerrissen, dass sie obendrein gar nicht eins sondern nur als Doppel zu sehen gegenüber der anderen. Ähnlich einer Windrose alle Richtungen des Wirklichen bei sich kreuzend machte sich dann eine recht obszön über Heideggers Geviert aus Himmel Erde Mensch und Gott lustig. Die beiden Figuren ineinander seien plastisch ausgeführt, die Lippen beispielsweise so voll wie die Brüste. Die linke hingegen bleiche zwischen ihren gelben Konturen fast aus. Allein die Haltung sei deutlich: sitzend auf einem zurückgezogenen Fuß das andere Bein hochgezogen zur Brust. Eine Hand halte sie am Ohr, die andere am angewinkelten Arm ein Zeichen. Eine Zwei vielleicht vielleicht ein V hinüber zu den anderen von denen die vordere sie lockt sie zeigt sie bedeutet. Zeichen wohl auch nur die leichten Berührungen untereinander – Finger am Ellbogen der anderen und deren Schenkel hinüber zu den zweien. „Farbig“ auf dem Körper der einzelnen nur zwei sich längs und quer über ihn ziehende Blaustreifen, gekreuzt diese vor dem Geschlecht.

Ausschnitt: Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Im Zeichen der Geste übergeht der Körper das Wissen darum dass er nie hat was er ist. Seiner Gegenständlichkeit vermeintlich entzogen, öffnet sich ein unausgesprochener Sprachraum, der im anderen Selbst-Bilder durchspielt. Allen Veräußerungen darin gleich haftet auch an Gesten ein unerfüllter Rest der des Schattens bedarf zu seiner Behausung. Raumgreifend holt die Geste sich Tiefe in Zeit derer sie bedarf um sich zeichenhaft zu beziehen. In perspektivloser Fläche findet Geste Statt aber keinen Anderen. Auf sich zurückgeworfen einzig Zeichen von sich, sind Sich und was in ihm reflektiert eins. Die Gesten in Burgers tiefenlosem Gemälde hinter denen ihre Figuren wie zurückgetreten - zu Bild erstarrte Bewegung sind sie, erblindetes Zeichengedächtnis, in autistische Zirkularität ihre Träger aus unbegreifbarer Regression heraushaltend. Im ersten Blick aus Gehörtem stellen sie sie in geradezu allegorischer Konfiguration zueinander: Gesten der Verführung des Begehrens, das zugleich im Double Schoß in Schoß so satt erscheint. Gesten der Verzückung der Ignoranz wie der Wahrnehmung. Gesten als Zeichen des Bezeichnens selbst. Öffnet sonst Erzählung dem Bild Stand worin es Zeit Geschehen und Geschichte, dabei überhaupt erst zu seinem Rahmen kommend, verhindern bei näherem Hinhören die von keiner Reflektion aneinander gehaltenen Gesten jegliche Beziehungseinheit, untergraben alle in Eins gegossene Bedeutung, bleiben lose, lassen Blaue Verschattung figürlich an sich selbst hohldrehen. Als misstraue Dargestelltes dem eigenen Bestand wie seinem Bestehen, fällt das Zeichen in Fläche ins reine Merkmal zurück am Körper lediglich aufzeigend dass da alles dran ist. Posen, versteinerte Spuren von Zeit, scheinbar in Beschreibung erschöpft zugleich wie manieristisch verkrampft im Widerstand gegen platten Aussageglauben. Wie erblindet halten die Gesten ihre Träger in Richtung. Aber nirgendwo kommt ein Zeichen an, geschweige denn dass eines erwidert. Drückte die vorperspektivische Malerei allein Verhältnisse außerhalb von sich und seinem Material aus, Transzendenz in Weltordnung Hierarchie oder symbolischer Verfügung reflektierend, scheint Burgers nachperspektivisch entleerte Konfiguration, in welcher alles entblößt und zugleich nichts mehr sagbar, Körper Weiblichkeit und Geschlecht buchstäblich auszuweisen. Die Schenkel gespreizt auf dass hier alles gezeigt und doch nur gezeigt dass eigentlich nichts zu sehen. Geheimnisse werden nicht mehr verraten, es gibt sie einfach nicht oder nicht mehr wo die Zeichen fehlen um von Geheimnis überhaupt noch sprechen zu können.

Hält die Zahl als Beleg kosmischer Ordnung das Wirkliche zusammen in ihrem Gesetz, scheint Burger sich in verdreifachter Weiblichkeit auf den Mythos zurückzubesinnen, in welchem die Zeichenzirkularität ihres Gemäldes gleichsam aufgehoben. Wo in Mythos und Literatur das Übersinnliche in weiblicher Gestalt dem Manne gegenübertritt, tut es dies – von den drei Göttinnen vor Paris, den drei Hexen in Shakespeare Macbeth oder den drei Vampirfrauen in Stokers Dracula – nicht selten in einer Art Dreieinigkeit von Schwestern als vollendete Zeugenschaft, die über das schattenhafte Double oder die ineinander verspiegelten Paare hinausgeht, denen als Erscheinung offensichtlich auch im Überirdischen keiner so recht über den Weg traut. Bei Burger nun kehrt in der Gegenüberstellung von Einzelfigur und Doppel die scheinbar in sich gestürzte Zeit ins Bild zurück, wo die Einzelne - zwischen ihren Konturen fast ausgebleicht - in die Zukunft auch der Anderen vorausgeht. Wie nebenbei verliert sich hier auch die idealistisch gesetzte Grenze der Nacktheit über die angeblich nichts hinausgeht, indem das Nackte ins Nackte zerfällt, die bleiche Blöße des Leeren zurücklassend.

Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Der Ungrund und das Licht
Aber im Laufe der Jahrhunderte bereitet die Farbe - beschmutzt erniedrigt und besiegt - ihre Rache vor, einen Aufstand, der stärker sein wird als alles andere. (Yves Klein)

Im Schatten erst hat der Mensch Boden. Der Schatten ist seine Spur aus der Tiefe, zeigt ihm auf ob er fortkommt, weist ihn aus und hinaus. Wo sein Schatten verloren fehlt ihm der Halt, fehlt seinen grausigen Bildern der Ort, der sie draußen hält. Das Blinde hat keinen Schatten und schattenlos hat der Blinde keinen Ort. In den Stimmen der anderen Schatten suchend, hält ihm Wort einen Rahmen auf, dass er mitsamt seinen Bildern nicht einfach verströmt in Welt. Schattenlos halten Burgers erblindete Figuren sich an Gesten denen aller Weltverweis abhanden, deren Annahme im Leeren verfehlt. Blinde Hände unberührt überflutet von den eigenen Bildern, und wo diese nicht zustoßen, lösen sie den Körper auf, entziehen ihm das Gewicht, machen ihn flüchtig. Das was ihn trägt zieht sich von ihm zurück weil es von ihm nicht mehr getragen. Als Fläche in Blaue Verschattung von den Figuren nicht getrennt, hält Hintergrund sich in diesen als seine Erscheinung. Zeichen ist er da und was aus ihm spricht. Wo die Zeichen aber das Sprechen bei sich halten, wo dessen Entfaltung von ihnen blockiert, wird Grund zum Ungrund und fällt ganz in sich zurück. Streifen seiner Sichtbarkeit hinterlassend, und das ist sein Blau, wird er sich am weiblichen Körper, vor dem jene wie schwebend gekreuzt, selbst transparent. Ist es aber DER Hintergrund oder DIE Farbe die da gehen, DER Körper der verbleicht oder DIE weibliche Form oder hebt sich die zeichendifferenzierte Verteilung und Zuteilung von Geschlecht in Burgers Figurenzirkularität nicht einfach auf.


Ausschnitt: Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Ob Farbe oder Grund – perspektivlos wirken Burgers Figuren wie Ausscheidungen von etwas das sie loswerden will um endlich vielleicht als Farbe oder Grund zu sich zu kommen und es tut dies indem es beginnt sich vom Figürlichen zurückzuziehen kaum dass es erschienen. Durchsichtige blaue Bänder vom Körper gelöst bezeugt in ihnen dessen Verschwinden und schwindend die einzige Zeugin der Existenz der Anderen. Wo keine Tiefe kann aber auch nichts ausgestoßen werden. Auch wenn Farbe und Licht darin sich zurückgezogen, holt Tiefe sich dabei nur selbst ein und der Prozess ihrer Selbstreflektion begänne von neuem. So wird die Zirkularität der Gesten zur Zirkularität des Grund/Ungrundes selbst und die figürliche Ausweisung der Zeichen zu deren Metapher. War für den französischen Maler Yves Klein Blau keine Farbe sondern ein Zustand und Malerei die Aufgabe übertragen, Materie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen, scheint Burger in Blaue Verschattung ganz unesoterisch vom Scheitern dieses Unterfangens sprechen zu wollen, dabei vielleicht auch Schellings Theorie der Selbsthervorbringung Gottes aus seinem eigenen Ungrund „vor Augen“. Der Schöpfer nämlich hatte um Licht zu werden erst sein eigenes Dunkel zu überwinden, hatte das auszuscheiden was nicht er, obschon er freilich auch dies, und das Ausgeschiedene freilich nichts anderes denn eben das Andere des Schöpfers. Solcher Prozess stabilisiert am sich selbst reflektierenden Bewusstsein hatte das Andere, das bei Schelling das Böse ist, immer mit sich zu führen. Dies Andere aber führt dazu dass dieser Prozess sich immer wieder zu wiederholen habe. Farbe ohne Geste treibt keine Linie aus sich hinaus. Die Geste aber ist ein Zeichen, das die Farbe niemals loswird. Auch nicht in der Monochromie.

Die Hand als Öffnung und als Verschluss zugleich. Was von ihr festgestellt im selben Moment ist es von ihr bereits verworfen. Die Hand als die Eigenschaften des Körpers am Ding – gebrochen sie im Fragment. In Linien, denen nachgefahren, übt sie Gesten ein die leibhaftig in ihr werden und zu Stimmen blinder Bilder. Nie aber mehr als Fläche. Nie aber auch weniger als deren Rhythmen deren Raserei deren fleischiges Eins von Berührendem und Berührtem. Burgers Kabel weichen weich vor der Hand zurück. Lose gewordene Dritte Dimension. Gutmütiges Phantom über Fläche.

Rosmarie Burger Blaue Verschattung 1998


Gerald Pirner - red / 31. März 2008
ID 3767
Die Zitate von Derek Jarman stammen aus:
Chroma Ein Buch der Farben
1995 im Merve Verlag Berlin erschienen.





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