DIESEL-
KRAFTWERK
in Cottbus
BLMK - Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst
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Foto: Stefan Bock
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Das Kunstmuseum DIESELKRAFTWERK in Cottbus ist seit 2017 im Verbund mit den Standorten Rathaushalle und Packhof Frankfurt/O. Teil des Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst und beherbergt mehr als 30.000 Objekte moderner und zeitgenössischer Kunst aller Gattungen. Gegründet 1977 als Bezirksmuseum Cottbus in einem ehemaligen Textilkaufhaus in der Cottbuser Einkaufsmeile Spremberger Straße, wurde es 1984 in Staatliche Kunstsammlungen Cottbus umbenannt. Nach der Wende firmierte das Haus 1991 zum Landesmuseum mit der Bezeichnung Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus. Der Hauptschwerpunkt der Sammlungstätigkeit lag schon zu DDR-Zeiten vor allem im Bereich Plakatkunst und Fotografie. Dazu besitzt das Museum eine umfangreiche Sammlung an Malerei der DDR. Als ehemaliger Standort des Niederlausitzer Braunkohleabbaus liegt in Cottbus heute der Schwerpunkt auf dem Themenkreis Landschaft, Natur und Umwelt. 2008 erfolgte der Umzug in das vom Berliner Architekturbüro Anderhalten sanierte und umgebaute Dieselkraftwerk (erbaut 1927 vom Architekten Werner Issel) am Cottbuser Amtsteich.
Betritt man momentan das großzügige Foyer des Klinkerbaus fällt einem sofort die großflächige Deckeninstallation aus gefalteten weißen Transparentpapieren der Künstlerin Alice Bahra ins Auge. Geboren 1945 in Landsberg/Lech und später wohnhaft in Potsdam und Dresden hat sie für eine in der DDR nicht als staatsnah geltende Künstlerin eine recht typische Karriere hinter sich. Ihr erster Mann Manfred Bahra wurde 1966 wegen Staatshetze zu 11 Monaten Haft verurteilt. Den Unterhalt für die Familie bestritt Alice Bahra mit Mosaikarbeiten im Auftrag des Potsdamer Künstlerpaars Hans Joachim und Carola Buhlmann für architekturbezogene Keramik-Werke im öffentlichen Raum. In den 1970er Jahren absolvierte sie ein Abendstudium für Plastik an der Hochschule Berlin-Weissensee und arbeitete seitdem freischaffend als Bildhauerin mit Schwerpunkt Ton-Klinker und Keramik. Nach der Wende kamen künstlerisch gestaltete Jalousien, Installationen sowie Foto- und Filmarbeiten hinzu.
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Installation TRIO (2024) von Alice Bahra - im DIESELKRAFTWERK in Cottbus Foto: Stefan Bock
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In der Studiogalerie im obersten Geschoss des DIESELKRAFTWERKs ist nun ihre kleine Soloschau bewegung zu sehen. Hier sind neben Architekturfotografie-Serien, die mit Licht und Schatten spielen, auch eine Rauminstallation aus wellenförmig aufgereihten weißen Porzellan-Steinen, eine aus Milchkännchen und eine Schaukelinstallation zu sehen. Bewegung von Körpern im Raum ist eines der Themen der Künstlerin, die sich auf das Bauhaus sowie Kinetische Objekte und Fotografien von László Moholy-Nagy sowie Fotografien von Lucia Moholy-Nagy und Marianne Brandt bezieht.
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Jalousiekunst auf DDR-typischen Faltrollos ist auch Thema einer weiteren Ausstellung im DIESELKRAFTWERK mit dem Titel Sendung aus dem Gegen-Raum. Auf zwei Geschossen werden sogenannte Mail Art, Plakate und besagte künstlerisch gestaltete, sprich bemalte Faltrollos gezeigt. Ein sehr interessanter Einblick in die meist noch relativ unbekannte alternative DDR-Kunstszene. Unterhalb des staatlichen Radars entwickelten sich vor allem in den 1970er und 80er Jahren u.a. in Cottbus, Dresden, Leipzig, Halle oder Ost-Berlin unabhängige KünstlerInnenkollektive und Galeriegemeinschaften wie die Galerien Oben und CLARA MOSCH in Karl-Marx-Stadt, die Arbeitsgemeinschaft Leonhardi-Museum in Dresden, die Galerie Die Wohnmaschine in Berlin oder die Leipziger Galerie Eigen+Art. Der Künstler Lutz Dammbeck organisierte 1984 mit fünf befreundeten Künstlerkollegen den halblegalen 1. Leipziger Herbstsalon.
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Blick in die Ausstellung Sendung aus dem Gegen-Raum - im DIESELKRAFTWERK in Cottbus Foto: Stefan Bock
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Die "Rollo-Kunst" wird hier u.a. durch KünstlerInnen wie Claus Weidensdorfer, Gudrun Trendafilov und Sabine Herrmann vertreten. Herstellung und Verkauf von im Eigendruck meist ohne Genehmigung entstandenen Postkarten oder Plakaten war ein gängiger Weg, alternative Kunst auch zu politischen Themen wie Bürgerechte, Abrüstung oder Umweltschutz unter die Leute zu bringen. Beispielhaft zu nennen ist hier der Berliner Maler und Grafiker Manfred Butzmann mit seiner politischen Plakatkunst. Das Berliner Künstlerpaar Robert Rehfeldt und Ruth Wolf-Rehfeldt sind die beiden bedeutendsten Initiatoren der ostdeutschen Mail Art, über die sich auch der künstlerische Austausch in den Westen etwa zu Joseph Beuys oder Klaus und Rolf Staeck aufbauen ließ.
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Neben dem Cottbuser bildendenden Künstler Hans Scheuerecker ist die Underground-Rockband Sandow, benannt nach einem Cottbuser Stadtteil, der wohl bekannteste Produzent alternativer Kunst in den 1980er Jahren im ehemaligen Energie-Bezirk. Der Sänger Kai-Uwe Kohlschmidt wurde nicht ganz zu Unrecht mit dem Sänger der Einstürzenden Neubauten, Blixa Bargeld, verglichen. Scheuerecker gestaltete Konzert- und Theaterplakate zu Auftritten der Band. Die erste Veröffentlichung in der DDR hatte Sandow gemeinsam mit der Cottbuser Band WK 13 (WK für Wohnkomplex, eine Cottbuser Plattenbausiedlung im Stadtteil Sachsendorf) sowie Feeling B und Hard Pop aus Ost-Berlin auf einer sogenannten Kleeblatt-LP mit dem Titel die anderen bands im Jahr 1988. Der darauf enthaltene Song "Er ist anders (und will auch anders sein…)" spiegelt das Lebensgefühl eines Teils der Jugend in der als spießig und eng empfundenen End-DDR. Ihr vielleicht größter Hit "Born in the GDR" entstand als direkte Reaktion auf ein Bruce-Springsteen-Konzert 1988 in Ost-Berlin, beim dem die etwa 160.000 Zuschauer den Song "Born in the U.S.A." mitsangen.
Die kleine Kabinett-Ausstellung Gegen den Strich oder die getanzte Wut. Punk/ Rock in der späten DDR gibt mit Fotos, Plakaten, Grafiken und Gemälden u.a. von Tina Bara, Sven Marquart (bekannt auch als Türsteher des Techno-Clubs Berghain), Helga Paris, Clemens Gröszer und Daniel Sambo-Richter Einblicke in eine Jugendkultur, die von den DDR-Staatsorganen lange behindert, bespitzelt und den staatlichen Sendern und Plattenfirmen totgeschwiegen wurde. Hier kann man auch Livemitschnitte der Band WK 13 oder den legendären Dokumentarfilm flüstern & SCHREIEN von Dieter Schumann aus dem Jahr 1988 über die Underground-Musikszene der DDR sehen.
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So viel Ex-DDR war selten. Einigen der Künstlerinnen und Künstlern aus den beschriebenen Ausstellungen des Dieselkraftwerk Cottbus kann man auch in der sehr umfangreichen Gruppenschau Unbeschreiblich weiblich. Frauenbilder in der DDR wiederbegegnen. Die Ausstellung mit 90 Arbeiten von 51 KünstlerInnen aus 40 Jahren DDR-Kunstschaffen bis in die Zeit kurz nach der Wende untersucht die These der vollendeten Gleichberechtigung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft und ihre Darstellung in der Kunst als idealisiertes Propaganda-Objekt. Einerseits werktätig steckten Frauen in der DDR meist trotzdem weiterhin in der traditionellen Rolle als Mutter und kümmerten sich nach der Arbeit um Kindererziehung und Haushalt. Beispiele für die werktätige Frau im Sozialismus liefern der Maler Rudolf Graf mit seinem 1971 im schönsten DDR-Realismus gemalten Werk Junge Sozialistin Bärbel Hahn oder Rudolf Bergander mit Trümmerfrauen von 1955. Mütterallegorien zeigen Susanne Kandt-Horn mit dem Gemälde Charitas 1972 oder der bereits vor dem Zweiten Weltkrieg aktive Künstler Wilhelm Lachnit mit Ruhende Mutter mit Kind von 1950/55.
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Blick in die Ausstellung Unbeschreiblich weiblich - im DIESELKRAFTWERK Cottbus Foto: Stefan Bock
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Eine weitere Werkreihe zeigt Portraits älterer Frauen, meist Mütter der KünstlerInnen, gelebte Leben in Gesichtslandschaften, die Geschichten erzählen, die selten etwas mit dem Idealbild der sozialistischen Frau im Sinne DDR-Oberen zu tun haben. Etwa Kurt Querners Die kranke Mutter von 1950 oder Lea Grundigs Portrait einer alten Frau, Kopf in beide Hände stützend von 1951. Der in der DDR lebende italienische Maler Gabriele Mucchi malte 1965 eine Partisanenmutter mit Leichentuch. Sehr ausdrucksstark ist auch die Bleistiftzeichnung Portrait der Mutter I von Christine Stäps von 1982. Wie sich KünstlerInnen verschiedener Kunstformen und Geschlechter sehen, zeigt die Mappe Silberblick von 1989 mit Werken von FotografInnen und GrafikerInnen wie Tina Bara, Angela Hampel, Nuria Quevedo, Evelyn Richter, Holger Stark oder Gerd Sonntag, die sich paarweise gegenseitig portraitierten. Auch die in der DDR sehr verbreitete Aktfotografie ist mit Eva Mahn und dem vor allem durch die Fotografie-Serien im Magazin sehr bekannten Günter Rössler vertreten.
Ob als Akt, Einzel- oder Gruppenportrait, die Darstellungsformen sind über die Jahre sehr vielfältig und zeigen vor allem in den späteren Jahren ein eher differenziertes Frauenbild. Bereits in den 1970er Jahren zeigt die Dresdner Malerin Herta Günther die Frau jenseits des sozialistischen Alltags in Kneipen und Cafés. Mythische Figuren im Verhältnis Mann und Frau greifen in den 1980er Jahren u.a. Angela Hampel mit ihren Penthesilea-Zyklen oder Wolfgang Peuker hier mit Holofernes von 1983 auf. Die Frau in der Punk- und alternativen Szene Ostberlins hält Neon-Real-Vertreter Clemens Gröszer in Grafiken und altmeisterlichen Tafelbilden fest. Das Frauenbild der 1980er und 90er Jahre wirkt zunehmend freier und selbstbestimmter. Hier zu sehen besonders bei den expressiven Darstellungen von Ellen Fuhr, Gudrun Trendafilov, Hubertus Giebe oder Trak Wendisch. Zeigt sich Monika Geilsdorf 1976 in einem der hier leider seltenen Selbstportraits noch stolz mit Zigarette aus dem Bild schauend, so sieht Sabine Herrmann 1991 die Zukunft der Frauen nach der Wende in ihrer großformatigen Kohlezeichnung auf Jute etwas düsterer. Die Frau im Rad als Kehrseite einer scheinbar neuen Freiheit, die für viele auch einen Backlash in alte Rollenmuster bedeutete.
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Stefan Bock - 12. Juni 2025 ID 15300
DIESELKRAFTWERK
Uferstraße / Am Amtsteich 15
03046 Cottbus
+49 355 4949 4040
info-cb@blmk.de
Öffnungszeiten
Di - So | 11 - 19 h
Eintrittspreise
4 EUR (Einzelkarte)
6 EUR (Kombikarte BLMK)
3 EUR (ermäßigt, gilt auch als Kombikarte)
Weitere Infos siehe auch: https://www.blmk.de/veranstaltungsort/dieselkraftwerk/
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