KÜNSTLERPORTRÄTS:
JOCHEN GEWECKE
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Die Poesie des Augenblicks.
Fotografie paradox:
Abbild ohne dokumentarischen Anspruch.
Jochen Gewecke zeigt einen Ausschnitt aus seiner künstlerischen Arbeit als Fotograf.
Die Fotografien verraten den Grafiker, der er von Berufs wegen ist: Formen, Muster, Flächen, Farben. Die Schwarzweißfotografie als Reduktionsmittel verwendet er nicht. Die Fotografien sind durchweg farbig. Und doch oft monochrom oder nur wenig "bunt". Meistens extrem reduziert und nicht opulent, eher grafisch als fotografisch. Licht und Schatten. Spiegelungen und Reflexionen. Nicht das Abgebildete ist wichtig, sondern das Bild, das entsteht. Ein Bild, das für sich steht und nicht für das, was war, als es entstand. Eine Geschichte erzählen, die Fantasie wecken, zum Weiterdenken anregen, zum Hinschauen animieren.
"Die Welt mit anderen Augen sehen, neue Blickwinkel entdecken, Sensibilität fürs Detail entwickeln.
Das Wunder ist nicht am Ende der Welt. Es entsteht vor unseren eigenen Augen. Wir müssen nur hinsehen."
Jochen Gewecke
Interview mit Jochen Gewecke
Jochen, deine Bilder haben oft einen stark abstrakten Charakter. Gibt es bestimmte Motive, nach denen du beim Fotografieren suchst?
Ich suche nach den unentdeckten Dingen. Das Verborgene im Offensichtlichen. Ich arbeite als Grafiker, das heißt, ich denke in Bildern. Ich fotografiere nicht, um etwas zu dokumentieren. Wenn ich fotografiere, ist das eine Zeit, in der ich nichts anderes mehr mache. Ich laufe nur noch durch die Gegend oder fahre durch die Landschaft und sehe. Im Kofferraum liegt die fertige Ausrüstung, also ausgefahrenes Stativ und die Kamera schon drauf. Ich halte quasi alle 500 Meter an, steige aus und lauf ins Feld.
Das Finden der Motive kann sehr schwierig sein. Manchmal sind es ja nur Minuten, in denen man das Glück haben muss, im rechten Moment am rechten Fleck zu sein. Gerade, wenn man mit der Sonne arbeitet. Die beste Zeit ist oft morgens, so nach dem Motto "der frühe Vogel fängt den Wurm" oder abends. Wenn das Licht relativ flach steht, passieren spannendere Dinge, als wenn die Sonne im Zenit steht.
Wichtig ist ein sehr konzentriertes Sehen. Die Suche nach dem, was man üblicherweise nicht entdeckt. Ein spezieller Effekt. Flächen. Reflexionen. Ganz unterschiedliche Sachen. Am Ende steht das Bild.
JOCHEN GEWECKE, "4 Flächen"
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Viele deine älteren Arbeiten strahlen eine eigenartige Einsamkeit aus - wann hast du angefangen zu fotografieren?
Nicht nur die älteren, auch die jüngeren Fotografien kokettieren mit Tristesse. Kein Wunder: Meine neue Ausstellung entstand dort, wo man sie jetzt auch sehen kann, nämlich im Hochsicherheitsbereich. In der Festung des Generalbundesanwalts geht es nicht gerade lebhaft zu. Zu deiner anderen Frage: Ich fotografiere seit über 20 Jahren.
JOCHEN GEWECKE, "In der Hitze der Nacht"
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Es gibt Themen und Motive, die wiederkehren. So reizt es mich immer wieder von neuem, wenn das Licht von irgendwo her zurückgeworfen wird. Das ist für mich ein wichtiges Gestaltungsmittel, das allerdings sehr schwierig im Griff zu halten ist.
Die Inszenierung entsteht nur durch die Aufnahmetechnik. Ich arbeite nicht wie ein Still-Lifer, der einen Aufbau im Studio macht, das Licht setzt und gewollt Regie führt.
Auch die digitale Bildbearbeitung, wie sie heute sehr häufig eingesetzt wird, um Effekte zu erzielen, ist für meine Arbeit nicht wichtig.
Das Bild entsteht bei der Aufnahme. Es ist ein objet trouvé. So fotografiert, wie ich es vorfinde. Mit ein, zwei Ausnahmen sind die einzigen Manipulationsmittel, die ich verwende, die Wahl des Objektivs, die Perspektive und der Ausschnitt. Hinzu kommt die gezielte Über- oder Unterbelichtung. Das Bild "Als wäre es Miami" ist so ein Beispiel.
JOCHEN GEWECKE, "Als wäre es Miami"
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Der Effekt der Verdichtung und der Einsatz von Lichtreflexen ist ja zunächst ein bestimmter Ästhetizismus, oder steckt dahinter eine über das Bild hinausweisende Idee oder Philosophie?
Es geht mir darum, Leute aufmerksam zu machen, die Augen zu öffnen. Es ist wie eine Sehschule: "Geh mit offenen Augen durch die Welt". Das Mittel der Verfremdung, die ja gerade durch dieses konzentrierte Sehen und die Verdichtung entsteht, kann das erreichen.
Und dann haben meine Bilder Titel. Kürzlich war ich bei einem Galeristen, der war ganz entsetzt und hat gesagt: "Sie, also Fotografien haben nie einen Titel, das finde ich ja gar nicht gut." Er meinte, das bringe die Menschen in die falsche Richtung. Für mich hingegen sind die Titel wichtig. Sie gehören zum Bild, und oft entsteht eine besondere Spannung zwischen Bild und Titel.
Bei den Titeln stehen ja auch - in Bezug zu deinen Bildern - Wortspiele dahinter...
Genau. Das hat sicher auch was mit meinem Beruf zu tun. Ich arbeite ja als Texter und Grafiker und bin zugleich ein visueller und ein Sprachmensch. Damit auch zu spielen, erhöht den Reiz.
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JOCHEN GEWECKE, "Vor dem dumpfen..."
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Im Grunde ist das Gegenüberstellen von Bild und Wort eine weitere Form der Verdichtung?
Stimmt. Für mich sind es oft auch Geschichten. Wie Bruchstücke aus einem Roman. Oder ein Ausschnitt aus einem Film. Man sieht die Bilder mit dem Text. Es entsteht eine Geschichte, bei der etwas davor war und etwas danach kommt. Man weiss nicht was es war. Ich auch nicht. Man soll Lust bekommen, sich Gedanken zu machen: "was könnte da passiert sein?" Ein Bild heisst "Vor dem dumpfen...", aber es kommt kein Hauptwort mehr. Das könnte ein Schlag gewesen sein. Oder ein Ton. Oder was ganz anderes.
JOCHEN GEWECKE, "Auf dich zu?"
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Haben Farben für dich einen bestimmten Symbolwert? Es gibt von dir eine Trilogie, bei der drei Grundfarben auffallen.
Es gibt ja diese übliche Farbensemantik: Grün ist die Hoffnung, gelb der Neid, rot die Liebe und Blau die Treue. Aber manchmal arbeite ich auch mit dem Gegenteil. So wie bei der Trilogie "Glaube, Liebe, Hoffnung", ein blaues, ein grünes und ein rotes Bild. Aber das rote Bild wirkt überhaupt nicht wie Liebe. Mehr wie Alarm. Das grüne Bild zeigt Tanks. Irgendwo am Hafen, riesengroße grün angestrichene Dinger mit gelben Treppengeländern.
Wenn ich als Grafiker Firmenauftritte mache, arbeite ich auch mit der psychologischen Wirkung von Farben und ihren Kombinationen: Ambivalent kann auch mal schön sein.
Trilogie "Glaube, Liebe, Hoffnung"
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JOCHEN GEWECKE, "Stop Look Listen"
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JOCHEN GEWECKE, "Glaube Liebe Hoffnung"
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JOCHEN GEWECKE, "Aus Weg Los"
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Wie siehst du das Verhältnis von Kunst und Politik?
Mein Werk als politisch zu bezeichnen, wäre sicher übertrieben. Aber für gesellschaftlich relevant halte ich den Aspekt dieser Sehschule durchaus.
Im übrigen liegt meine politische Baustelle woanders. Ich bin SPD-Kreisvorsitzender.
Die Kunst ist für mich auch ein Rückzugsraum. Das hat sicher etwas damit zu tun, dass ich ausserordentlich viel Zeit mit Politik verbringe.
JOCHEN GEWECKE, "Auf der Flucht"
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Auch in meinen Bildtiteln spiele ich mit Begriffen, die eine politische Dimension haben. Manche der Bilder haben auch einen eingebauten Schreck. Eins heisst "Untergang" mit seinem Gegenstück "Unterschlupf".
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JOCHEN GEWECKE, "Untergang"
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JOCHEN GEWECKE, "Unterschlupf"
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Entsteht bei dir bewusst eine Anlehnung an bekannte Motive? Diese Bild "Der Untergang" wirkt wie eine reduzierte Form eines Bildes von Caspar David Friedrich...
Ich glaube, das ist Zufall. Andererseits haben wir so viele Bilder im Kopf und so viel Wissen, dass eine Ähnlichkeit auch so entstehen kann.
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JOCHEN GEWECKE, "Regel mäßig"
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JOCHEN GEWECKE, "Abgeneigt"
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Meine Arbeit ist eine Art Kondensationsprozess. Wenn ich mich mal zurückversetze, was es da alles zu sehen gab, als ich die Motive auswählte, und ich den Blick wieder öffne, dann sind da plötzlich 1075 andere Sachen, die vom Motiv ablenken. Das dann so zuzuspitzen, dass wirklich ein Bild entsteht, hat viel mit Konzentration zu tun.
JOCHEN GEWECKE, "Noch nicht geborgen"
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Die Bilder sind unglaublich klar....
Ja, die sind bei einer optimalen Auflösung reproduziert. Aber die Enttäuschung ist manchmal schon groß, wenn man von Dias Abzüge macht. Dabei geht viel von der ursprünglichen Leuchtkraft verloren. Die Cibachrome-Vergrößerungen halten das Bild sehr lebendig.
Architektur ersehen:
Funde beim Generalbundesanwalt.
"Ein beeindruckender Bau des Architekten Oswald Mathias Ungers: Der Sitz des Generalbundesanwalts in Karlsruhe. Von einer hohen Mauer umgeben, auf der Hecken wachsen. Ein grüner Innenhof mit einer runden Auffahrt, in deren Mitte ein Baum steht. Innen quasi zwei Gebäude, durch eine hohe Halle und Brücken miteinander verbunden. Einblicke und Ausblicke. Granit, Sandstein und Glas. Das Quadrat als grundlegendes Gestaltungsmittel. Lebensraum für mehrere hundert Menschen, die dort täglich arbeiten. Auch hier: Genau hinsehen, entdecken, was vorher vielleicht noch niemand entdeckt hat. Entbergen und sichtbar machen, wie viele unerwartete Augen-Blicke sich auftun."
Jochen Gewecke
JOCHEN GEWECKE, "Aufgangsstimmung"
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Wie bist du zu dem Karlsruher Projekt gekommen?
Ich war letztes Jahr im Frühjahr in diesem Haus, anlässlich einer Vernissage. Die erste und bisher letzte Vernissage in diesem Gebäude, das für die Öffentlichkeit sonst nicht zugänglich ist. Es gibt auch erst mal keinen Grund, warum Otto Normalverbraucher darin rumschlurfen sollte. Da arbeiten Menschen, und das war es dann. Offizielle Anlässe gibt's natürlich auch, und alles in allem passieren geheimnisvolle Dinge. Ich fand den Bau sehr beeindruckend und auch ambivalent. Es ist der letzte große Bau der Kohl-Ära, abgesehen vom Kanzleramt, ich glaube von 1998.
Der Architekt hat sich viel gedacht bei dem Ding. Ich mag an dem Bau, dass er authentisch ist, er verkörpert, was er ist: eine Festung. In die Festungsmauern hat der Architekt einen Verwaltungsbau reingesetzt, einen schönen Turm und eine Halle und Brücken und Schnickschnack. Wie Architekten eben arbeiten, wenn sie gut sind und einen Raum machen, in dem man, wenn man darin arbeiten muss, auch gut leben kann. Der eine gewisse Freundlichkeit und Helligkeit besitzt, der aber auch sagt: Ich bin ein Hochsicherheitstrakt.
Bei jener Vernissage hat es mich gepackt, und da habe ich mir den Verantwortklichen geschnappt und gefragt, ob ich in der Anlage fotografieren kann. Als es soweit war, durfte ich natürlich nicht alleine rumlaufen. Es lief immer ein Sicherheitsbeamter mit mir durchs Haus. Sein Chef, der mich rein und rausgelassen hat, fragte mich: "Dürfen wir das mal sehen, was Sie gemacht haben?" Am 6. 11. 2002 ist die Vernissage mit 24 Arbeiten, die für 4 Wochen hängen werden.
JOCHEN GEWECKE, "Den Bogen raus"
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Du orientierst dich stark an statischen Motiven. Gibt es dafür einen Grund?
Es wäre Quatsch zu sagen, dass man Statisches einfacher fotografieren kann. Ich suche ja ewig nach den Motiven. Es kommen auch kaum Menschen vor. In dem, was ich für ausstellenswert erachte, sind das grade mal zwei oder drei Bilder mit Schatten oder Silhouetten von Menschen.
Das spannende ist, aus einem statischen Motiv ein Bild voller Leben und Bewegung zu machen. Ich bin kein Sportfotograf und zeige keine Hunderennen oder Fussballer. Statt dessen reizt es mich, etwas zu entdecken und dies dann zu dynamisieren: wie bei "Den Bogen raus". Das ist eine Architekturaufnahme, bei der eine Linie durchs Bild rast. Die eine Fläche ist ganz leer geräumt, in der anderen passiert dann was. Viel Dynamik entsteht auch durch die Kamerastellung selbst - ein wirksamer Verfremdungseffekt. Wenn man mal anfängt, mit dem Kopf zu wackeln, kann man ganz neue Perspektiven gewinnen.
JOCHEN GEWECKE, "Drum wende den Blick"
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"Drum wende den Blick" sind z.B. zwei Granitplatten, die aneinander stoßen. Sie sind nass, und in der Feuchtigkeit spiegeln sich Bau und Baum.
JOCHEN GEWECKE, "Findelkind"
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Könntest du beschreiben, wo deine Arbeit hingeht? Also wie sie sich entwickeln
könnte?
Ich würde sagen, es wird immer abstrakter. Das zeigen auch viele der Arbeiten
aus Karlsruhe. Ein Gegenbeispiel ist das "Findelkind" - die Fotografie mit dem
Blatt. Man sieht acht Flächen, eine davon fast schwarz. Und dann liegt da
dieses einzelne Blatt auf dem harten Stein. Das Blatt macht daraus ein anderes
Bild. Ein Bild, das emotionaler und weicher ist. Durch das Blatt wird aus
einem abstrakten ein konkretes Bild. Ich mag es sehr, aber deshalb muss ich
jetzt nicht 500.000 Blätter fotografieren. Das fände ich sehr ätzend.
Wieso fotografierst du nicht schwarzweiss?
Schwarzweiß-Fotografie ist die klassische künstlerische Fotografie. Es geht um Reduktion. Man nimmt die Farbe aus der Welt. Ich reduziere ja auch viel, nur eben nicht die Farbe. Wenn ich mir die Trilogie ansehe, die wäre in schwarzweiß kaputt. Was da knallt, das ist die Farbe. Einmal in den roten Farbtopf gegriffen, einmal in den grünen und einmal in den blauen.
Doch dann gibt es auch leisere Bilder, bei denen die Farbe gerade noch sichtbar ist, ganz delikat, und doch sind sie farbig.
JOCHEN GEWECKE, "Grün war auch dabei"
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In Karlsruhe hatte ich großes Glück mit dem Wetter. In der Nacht vorher hatte es geregnet. Ich hatte Nässe im Aussenbereich und damit potentiell schon Spiegelungen. Den Tag über hatte ich gemischtes Wetter, teilweise bewölkten Himmel mit sonnigen Abschnitten, wie der Wetterbericht zu sagen pflegt. Von allem etwas. Ich war schon in aller Herrgottsfrühe dort - so um sieben - und habe den ganzen Tag gearbeitet.
JOCHEN GEWECKE, "Kleiner Gruß"
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Mir sind die Doppelfenster des Gebäudes aufgefallen. Man kann die innere Hälfte öffnen. Die Angestellten haben angefangen, private Sachen reinzustellen - irgendwelche Erinnerungsstücke oder ein Plüschtier, das dann in dem Fenster wohnt. Oder ein Segelbootmodell, die unglaublichsten Dinge eben, mit denen Menschen ihren Arbeitsplatz verschönern. Das hat manchmal etwas Rührendes, wie bei "Kleiner Gruß".
JOCHEN GEWECKE, "Und doch sichtbar"
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Kann man sich diese Ausstellung als Durchschnittsmensch ansehen?
Es gibt nur noch eine Möglichkeit: Am Freitag, den 22.11. um 16 Uhr gibt es
eine Führung. Dazu muss man sich direkt bei mir anmelden, am besten per eMail
bis 18.11.! Ich frage dann die notwendigen Daten ab, damit man reinkommt.
JOCHEN GEWECKE, "Gute Gelegenheit"
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Ich bin gespannt auf die Reaktionen der Menschen, die dort arbeiten. Sicher haben die Leute viele von den Ansichten, die da hängen, niemals so wahrgenommen. Vielleicht werden sie sinnierend davorstehen und sagen: "Schau mal, jetzt arbeite ich hier schon seit vier Jahren, aber das hab ich noch gar nicht entdeckt".
Das Interview führte s.p. - red / Oktober 2002
Veronika Renkenberger: Schwäbisches Tagblatt, 12. November 2002, zur Ausstellung "Architektur ersehen:
Funde beim Generalbundesanwalt"
Veronika Renkenberger: Schwäbisches Tagblatt, 12. November 2002
Oliver Gassner:
Der Festungsstürmer
Der Mössinger Fotograf und Grafikdesigner Jochen Gewecke zeigt Fotos der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe
Der Amtssitz des Generalbundesanwaltes Kai Nehm in Karlsruhe ist eine Festung. Hohe Mauern, Barrieren, die Reifen einfahrender Autos zerfetzen, Panzerglas, Wachpersonal und viel Beton. Und doch hat es Jochen Gewerke gewagt, dort einzudringen. Natürlich mit Genehmigung und pausenlos eskortiert von einem Wachmann. Er hatte im vorletzten Sommer - bevor nach dem 11. September 2001 gar nichts mehr ging, die Erlaubnis, einen Tag das architektonisch herausragende Gebäude zu fotografieren. Seine Entdeckungen präsentiert er jetzt in einer Fotoausstellung am Ort des Entstehens. Jochen Gewecke aus Mössingen ist nicht nur Grafikdesigner und Fotograf, er steht auch dem SPD-Kreisverband Tübingen vor und hat für einen Sitz im Europaparlament kandidiert.
Die entstandenen Bilder entwickeln einen subjektiven Blick auf ihr karges Umfeld, der alles zu fehlen scheint, was Fotografen fasziniert: Menschen, Farbe, Leben. Jochen Gewerke fand neue Themen: Das Spiel von Licht und Schatten, die Spiegelung des Gebäudekomplexes in den eigenen Fenstern oder in den Wasserpfützen des nächtlichen Regens. Der Versuchung, eine Fotoreportage entstehen zu lassen, hat er widerstanden.
Die Fotosafari durch die Gebäudelandschaft entwickelt sich auch zum Dialog mit Oswald Mathias Ungers, dem Architekten des Komplexes: Der hat im Hof Platten vorgesehen, die mit Blumennamen in Latein und Deutsch versehen sind. Doch die dazu passenden Blumen finden sich nirgends. Die Kamera nimmt die Schrift am Boden in den Blick: "Glockenblume" heißt das Foto und zeigt doch nur eine schräg in den Blick genommene beschriftete Steinplatte.
Die Menschen in der Festung bleiben hinter den Glasfronten unsichtbar. Doch in den Freiräumen zwischen der Außenverglasung und den Innenfestern haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kreativ ausgebreitet: Da dialogisieren Marienkäfer-Stofftiere mit Fensterbilder-Fröschen - und das Foto "Kleiner Gruß" zeigt eine einsame Rose hinter Glas, fast farblos geworden wie ihre Umgebung. Der vollkommene Mangel an farbigen Blumen lenkt den Blick auf einsame Blätter, die dem kalten Beton Leben einhauchen; wie in dem Foto "Findelkind": Rechts eine komplett schwarze Bildhälfte, links nassglänzenden Betonplatten, darauf ein dunkelgerandetes, silberglänzendes Blatt.
Zwei Verfahren bestimmen die Fotos von Jochen Gewerke: Der Blick aufs Detail, der das Persönliche, Menschliche und Lebendige in diesem Gebäude aufdeckt, das äußerlich und innerlich auf strenge Sachlichkeit ausgerichtet ist. Und die verfremdende Abstraktion, die durch Doppelungen und Unschärfen bei der Abbildung von Spiegelbildern ?die Fotos sind also Bilder von Bildern? entsteht, gibt den Exponaten nicht nur eine fast malerische Qualität. Sie eröffnet auch den Menschen, die das Gebäude als Besucher oder Mitarbeiter wahrnehmen, eine vollkommen neue Sichtweise auf ihre Umwelt.
Die Fotos hängen noch bis zum 29. November in der Bundesanwaltschaft Karlsruhe, Brauerstrasse 30 (Haltestelle ZKM). Da das Gebäude Sicherheitsbereich ist, ist eine Anmeldung über den Künstler erforderlich: E-Mail gewecke@gmx.de oder telefonisch (07473) 2 31 53
Oliver Gassner / November 2002
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