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Reihe Türkischer Film

Türkische Frauenschicksale in Deutschland

Als ob das Leben in der Heimat nicht schon schwer genug sein kann, potenzieren sich die Probleme oft noch, wenn türkische Familien nach Deutschland kommen. Im Film „Ich Chef, du Turnschuh“ (siehe unser Juni-Beitrag) haben wir schon Dudie kennen gelernt, und seine tragikomischen Abenteuer in Deutschland, insbesondere seinen Kampf mit der Ausländerbehörde.

In „40 qm Deutschland“ hat sich die junge Turna schon so auf Deutschland gefreut, doch dann wird die Zeit dort zum Martyrium. Und in „Anam“ kämpft eine Mutter um ihren Sohn, der in die Hamburger Drogenszene geraten ist.

„40 qm Deutschland“ (Deutschland 1986) Regie und Drehbuch Tevfik Baser

Voller Neugier kommt die junge Turna (Özay Fecht) mit ihrem Mann nach Deutschland. Es macht ihr nichts aus, den verwahrlosten Haushalt ihres Gatten auf Vordermann zu bringen, und sie macht sich mit Elan an die Sache, während ihr Mann Dursun (Yaman Okay) bei der Arbeit ist. Sie will auch vor der Wohnungstür kehren, muss aber feststellen, dass diese abgeschlossen ist. Als Dursun abends nach Hause kommt, erklärt er Turna, dass dies zu ihrem eigenen Schutz ist. Monate der Verzweiflung folgen, in denen Turna alleine die endlosen Tage zubringt. Die kleine Mietwohnung wird zum Käfig. Dursun rühren weder das Leiden, noch die Tränen seiner Frau. Er stellt die deutschen Männer als Monster dar, und die deutschen Frauen wären Huren, die ohne Kopfbedeckung herumliefen. Er lässt Turna nicht einmal in seiner Begleitung aus dem Haus, besorgt sogar die Einkäufe selbst.

Turna stammt aus einem kleinen Dorf in der Türkei, wo Dursun sie, der Tradition folgend, für eine Mitgift gekauft hat. Turna war an der Entscheidung nicht beteiligt. Nun in Deutschland hat sie nicht einmal mehr Familienmitglieder, mit denen sie reden könnte. Der Dialog mit Dursun beschränkt sich oft nur auf Anordnungen seinerseits, die auch auf die ehelichen Pflichten zutreffen. Für Dursun ist seine Frau keine Gefährtin, sondern kostenlose Putzfrau, Köchin und Sextoilette. Er begattet sie ohne Vorbereitung und Liebkosung, am liebsten von hinten. Daher bekommt er den Penetrationsschmerz und die Erniedrigung, die sich in Turnas Gesicht spiegeln, nicht mit. Doch eines Tages zeigt er ihr gegenüber fast überschwängliche Zärtlichkeit. Er singt und tanzt, und trägt sie auf Händen. Sie hatte ihm gerade eröffnet, schwanger zu sein. Wenn sie ihm einen Sohn gebärt, ist seine Männerehre etabliert. Turna versteht: Sie schneidet ihrer Puppe die Haare kurz, damit sie wie ein Junge aussieht. Frauen und Mädchen zählen nicht.

Tevfik Baser, der Regisseur und Drehbuchautor, hat hier einen ähnlich ungeschönten und harten Blick wie Yilmaz Güney. Beide behandeln die Themen Gefangensein und Leibeigenschaft leitmotivisch. Baser hat die Handlung nach Deutschland verlegt, wodurch die Gegensätze noch krasser werden. So lässt er Dursun von Häusern erzählen, die die Deutschen errichtet haben, die nur für Frauen sind. Dort gewährt man geschlagenen Frauen Unterkunft. Einem Freund von Dursun haben die deutschen Behörden sogar die Tochter weggenommen, nur weil er sie geschlagen hat. Das geht die Deutschen doch gar nichts an, was wir machen, empört er sich.

Dursun leidet an Epilepsie, und eines Tages, als er gerade unter der Dusche steht, bekommt er einen so starken Anfall, dass er daran stirbt. Er hat es im Todeskampf gerade noch bis auf den Flur geschafft. Nachdem Turna sich von dem Entsetzen erholt hat, schiebt sie die Leiche ihres Mannes von der Wohnungstür weg und geht das Treppenhaus hinunter. Sie will Hilfe holen, kann sich aber nicht verständigen, weil sie in den vielen Monaten in Deutschland kein einziges Wort Deutsch lernen konnte. Der Gang vor der Haustür ist lichtdurchflutet. Die letzte Szene des Films zeigt, wie die hochschwangere Frau ins Licht entschwindet.

Tevfik Baser (Jahrgang 1951) ist in der Türkei geboren, aber 1973 ausgewandert. In seinen Filmen inszeniert er gerne Frauenschicksale und prangert die ihnen vorenthaltenen Menschenrechte an. Einige Szenen des Films „40 qm Deutschland“ sind sehr expressiv, da er in seinem klaustrophobischen Kammerspiel die Tierhaltung im Käfig suggeriert. Die beiden Hauptdarsteller haben in diesem sehr dicht inszenierten Film eine schauspielerische Glanzleistung absolviert. Özay Fecht stammt aus Istanbul und hat in Berlin studiert. Yaman Okay ist auch Theaterschauspieler. Seine erste Filmrolle hatte er in „Sürü“, „Die Herde“ unter der Regie von Yilmaz Güney.


„Anam“ (Deutschland 2001)
Regie und Drehbuch: Buket Alakus

www.anam-derfilm.de.


Es gibt Tage, da möchte man am liebsten die Uhr zurückdrehen. So einen Tag erlebt auch die in Hamburg lebende Türkin Anam (Nursel Köse), als sie innerhalb von wenigen Stunden erfährt, dass ihr Mann sie betrügt und ihr Sohn drogenabhängig ist. Gegen den Willen ihres Mannes entschließt sie sich, ihrem Sohn Deniz zu helfen. Dazu muss sie ihn im Hamburger Drogenmilieu finden. Anam arbeitet als Putzfrau und ist mit zwei ihrer Kolleginnen befreundet. Rita (Saskia Vester) ist Deutsche und hält Anams Unterfangen für sinnlos. Man kann einem Drogensüchtigen nicht helfen, der sich nicht helfen lassen will, hat sie selbst leidvoll erfahren. Die Dritte im Bunde ist Didi (Audrey Motaung). Didi stammt aus Südafrika und ist schwarz, sieht aber nie schwarz. Ihr ist ein unverwüstlicher Optimismus zu eigen, der Anam manchmal genauso nervt, wie der Pessimismus von Rita. Trotzdem sind sie als Team nicht nur auf der Putzstelle unschlagbar. Sie finden Anams Sohn, der aber nicht nach Hause kommen will. Er vertraut seiner Mutter aber seine kranke Freundin Mandy an. Sie ist auch drogensüchtig und schafft mit Anams Hilfe den kalten Entzug.

Nachdem Anams Mann das Ausmaß von Deniz’ Drogensucht erkannt hat, erklärt er, keinen Sohn mehr zu haben. Seine betrogene Ehefrau beschließt aber, zu ihrem Sohn zu halten. Beleidigt verlässt der Ehemann die Familie. Diese zwei Faktoren führen letztendlich zu Anams Emanzipation, die sie sich selbst zuliebe wohl nie erfahren hätte. Sie lernt allmählich, sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit wohl zu fühlen und hat auch ihre Glücksmomente mit ihren Freundinnen. Nach und nach legt sie die alten Beschränkungen ab. Sie lernt Auto fahren und lädt ihre Freundinnen zu einem fröhlichen Video-Abend ein. Sie könnte auch einen neuen Mann in ihrem Leben haben, denn ein deutscher Polizist unterstützt und umwirbt sie. Aus freier Wahl und Überzeugung hält sie aber an diesem Teil des erlernten Moralkodex fest. Ehebruch kommt für sie nicht in Frage. Sie entscheidet mittlerweile selbständig, was sie für richtig hält.

Die Geschichte entwickelt sich zum Krimi. Um Deniz aus dem Drogensumpf herauszuholen, legt sie sich mit dem Drogendealer Hasan an. Als der Deniz erschießen will, drückt Anam den Revolver ab, den sie von Rita zum Selbstschutz mitbekam. Hasan fällt tot zu Boden. Der Film endet, wie sich Mutter und Sohn in den Armen liegen.

„Anam“ wurde 2001 gedreht und „40 qm Deutschland“ im Jahre 1986. Es liegen also 15 Jahre dazwischen. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen diesen Filmen ist das Angebot einer wirklichen Alternative. Während in Basers Film die junge Turna ins Unbekannte flieht, bietet die Regisseurin Buket Alakus (Jahrgang 1971) ihrer Heldin Anam andere Wahlmöglichkeiten. Sie kommt auch ohne ihren Ehemann zurecht. Auch wenn nicht erzählt wird, ob Anam ihren Sohn wirklich retten kann, so hat sie doch hilfreiche und stabile Freundschaften, die sich in Krisenzeiten schon bewährt haben. Anam ist stark genug für sich und ihre Kinder.

Hier wird die fremde Heimat Deutschland nicht ausgeblendet, wie in Basers Film. Anam nutzt die Möglichkeiten der Fremde konstruktiv und ist mit ihren Freundinnen Wahlverwandtschaften eingegangen. Es hat sich eine idealtypische multikulturelle Minigesellschaft etabliert, in der die Unterschiede nicht verschwiegen, aber auch nicht ernsthaft verurteilt werden. Neben ihren Macken und Schwächen hat jede der Frauen auch ihre Vorzüge und Stärken, und so kreieren sie Synergien, die nur bei einer gegenseitigen Respektierung und zeitweiligen Verschmelzung der Kulturen möglich sind.


Helga Fitzner / juli 2003
Wir danken dem Institut für Kino und Filmkultur für die Hilfe bei der Beschaffung der Videos und wünschen Ihnen viel Erfolg.
www.kino-fuer-toleranz.de

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