Krieg im Netzwerk
Mit der ersten europäischen Profiliga für Computerspiele erhofft sich die Medienindustrie jetzt auch hierzulande das große Geld.
Jonathan Wendel ist ein Krieger, und wenn der 1,80 Meter große Amerikaner seine schmächtige Statur in die Kampfzone der Netzwerk-Guerillas schiebt, trägt er eine Trainingsjacke aus Ballonseide, Jeans und Turnschuhe. Menschen, immer jung und meistens mit blassem Teint, scharen sich dann ehrfürchtig um ihn, um zu beobachten wie der Meister seine Waffen - Maus und Keyboard - malträtiert. 19 Jahre jung ist Wendel, der sich im Krieg "Fatality" nennt, seinen Gegnern in der Tat zum Verhängnis wird und dessen Kunst, schneller zu sein als andere, ihn zum best bezahlten Ego-Shooter der Welt gemacht hat.
Wendel war der Star des ersten Turniers der Cyberathlete Professional League Europe (CPLEurope) am 9./10.12.2000 in Köln, der ersten europäischen Liga für Profis und Amateure. Gekämpft wurde in der Battle-Area von "Quake 3", einem "First-Person-Shooter", bei dem sich zwei Spieler über ein Local-Area-Network (LAN) durch labyrinthähnliche Szenarien jagen und versuchen, einander das Lebenslicht auszulöschen. Ein Match dauert eine Viertelstunde, und wer am Ende die meisten "Frags" (Punkte) hat, ist Sieger. Gespielt wurde im KO-System um insgesamt 25 000 Euro Preisgeld. Panem et Circenses, Brot und Spiele, ist auch Jahrhunderte nach Wagenrennen und Gladiatorenspiel die kapitalbringende Devise.
Drei Jahre nach den Amerikanern und ein Jahr nach den Asiaten, hat Alexander Müller von der Turtle Entertainment GmbH in Köln die CPL-Lizenz nach Europa geholt. "Die Spieler-Szene", so Müller, "ist längst keine Subkultur mehr. Gaming ist ein Sport, der zudem noch gerechter ist als der physische, weil ihn jeder ausüben kann". "Bei den Online-Spielern haben wir weltweit einen Zuwachs von über 500 Prozent im Jahr", erklärt Müller. Ein Potenzial, das Geld in die Kassen spült. "Die Spieleindustrie setzt genauso viel um wie die Filmindustrie", zitiert er freistehend aus der Financial Times, "Milliarden". Das Interesse an den Spielen der Stars sei immens. Über 3000 Menschen haben sich die letzte Schlacht zwischen "Fatality" und seinem gefürchtetsten Gegner aus Schweden, "Lakerman", aus dem Netz runtergeladen. "So ein Match ist ein Schmuckstück, die Fans gucken sich das immer wieder an", so Müller. Markus Hauck, 20 Jahre, genannt "SOD" hat sich gerade von "Fatality" demütigen lassen und das mit Vergnügen. Über 60 mal in einer Viertelstunde hat ihn der Amerikaner erwischt, "der hat mich einfach geplättet". Für ihn ist Wendel eine "Lichtgestalt", einer von dem man noch was lernen kann, "ein Idol". Acht Stunden am Tag trainiert Wendel seine Auge-Hand-Koordination. "Wer ganz oben mitmischen will, der muss hart dafür arbeiten", erzählt Wendel, Quake-3-Profi. Vor einigen Monaten hat er das Haus seiner Mutter verlassen, "sie wollte nicht, dass ich den ganzen Tag spiele". In den Gemächern seines Vaters ist er indessen willkommen, seine Stiefmutter gibt ihm volle Rückendeckung. Es stört sie auch nicht, dass er mit seiner Ballerei mehrfach so viel verdient wie sie als Sekretärin mit einem "nine-to-five-Job". Rund 300 000 Mark hat Wendel in diesem Jahr mit seinen Schlachten verdient, allein 60 000 Dollar stammen von seinen beiden Sponsoren.
Stars wie Wendel lassen sich ebenso vermarkten wie jeder Fußballspieler der ersten Fußballbundesliga, meint Müller. Und die besten Aussichten für das lukrative Geschäft bringt freilich das Fernsehen. In Köln hat er gemeinsam mit dem Luxemburger Medienunternehmen "Mediantis AG" mit dem CPL-Turnier erstmals eine fernsehtaugliche Live-Übertragung umgesetzt. Auf mehreren Großbildleinwänden und Monitoren konnten die Zuschauer im Erdgeschoß verfolgen, wie sich in der ersten Etage die Kontrahenten "Willow" und "Slinger" mit Raketenwerfern, Lichtwaffen und Plasmageschossen in kleinste Pixel perforierten. Vorab gab es eine Vorberichterstattung und ein Studiointerview, nach der Schlacht Analysen und Prognosen über kommende Partien.
Was jetzt im kleinen Rahmen demonstriert wurde, soll bald zum europäischen Fernsehalltag gehören. "Base 42" heißt das Konzept der Mediantis AG und soll, so Vorstandsmitglied Ralf Kleinfeld, der erste internationale Spiele-Kanal sein, der als Free-TV zu empfangen ist, geplanter Sendestart: 1. März 2001. "Wir könnten auch jetzt sofort loslegen, zwei Übertragungswagen stehen vor der Tür." Damit würde die Firma jedoch deutsches Recht brechen, da Quake 3 in Deutschland auf dem Index steht. Das Bewerben des Spiels sowie die Teilnahme für Personen unter 18 Jahren ist verboten. Ausgestrahlt wird deshalb von Luxemburg aus, "hier gibt diese Beschränkungen eben nicht und über den Astra-Satelliten kann uns jeder empfangen". In Japan hat man den Versuch bereits unternommen. 24 Stunden hatte ein nationaler Fernsehsender ein Turnier des Kampfsportspiels "Tekken" übertragen, "die Einschaltquoten lagen über den ganzen Zeitraum bei durchschnittlich 2 Millionen Zuschauern".
c.p. - red / 04.01.2001
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