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Pressedienst Wissenschaft der Freien Universitaet Berlin PDW 35/2003 vom 11. August 2003

Die Pauke der Predigt - Clemens VI. und seine Kardinaele

FU-Historiker widmet sich bislang nie ausgewerteten Predigttexten

Clemens VI. gehoert wegen seines extravaganten Lebenswandels zu den umstrittensten Paepsten des Mittelalters. Der italienische Dichter Petrarca bezeichnete den Papsthof in Avignon als Staette ausschweifenden Lebens, als Ort der Verdammnis und der Hurerei. Selbst in modernen Kirchenlexika wird der franzoesische Adlige auf dem Stuhle Petri "als Unglueck fuer Papsttum und Kirche" geschildert. Mit diesen Vorurteilen raeumt der junge Mediaevist Ralf Luetzelschwab gruendlich auf, der in seiner preisgekroenten Dissertation Clemens VI. in der Zusammenarbeit mit seinem Kardinalskollegium darstellt. Anhand von nie edierten mittelalterlichen Predigttexten weist Luetzelschwab nach, wie Clemens VI. seinen Herrschaftsanspruch als vicarius Christi und vicarius Dei auch gegenueber dem Kardinalskollegium durchsetzte und die Allmacht ueber Geistliches und Weltliches fuer sich einforderte. Fuer seine interdisziplinaere Arbeit erhielt der 33-jaehrige Badenser den Friedrich-Meinecke-Preis des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universitaet Berlin.

Als Clemens VI. den Stuhl Petri in Avignon 1342 bestieg, schien die Welt aus den Fugen geraten. Es tobte der franzoesisch-englische Krieg, im Reich agierte Ludwig der Bayer als lebende Herausforderung eines in die franzoesische Gefangenschaft geratenden Papsttums. Der Ausbruch der Grossen Pest 1348, an der ein Drittel der europaeischen Bevoelkerung starb, erschien den Zeitgenoessischen als Vorbote des Antichristen. Der Suedfranzose Clemens VI., der in kuerzester Zeit eine beispiellose kirchliche Karriere gemacht hatte, wirkte dem paepstlichen Machtverlust entgegen, indem er das gesamte Territorium Europas mit einem dichten Netz von Nuntien und Legaten ueberzog. Ihre Aufgabe war es, die allerorts entbrannten Konflikte in Aragon, Italien, im Koenigreich Neapel, in Frankreich und England in Schach zu halten. Seinem Machtanspruch als vicarius Dei gemaess, kontrollierte der Papst nicht nur das paepstliche Finanzwesen, sondern bestimmte, wer die wichtigsten Posten in der kirchlichen Hierarchie erhielt - und das waren in erster Linie die Kardinaele.

Clemens VI. scharte in seinem Kardinalskollegium Geistliche um sich, deren Ergebenheit und Loyalitaet ausser Zweifel standen. 1350 hatte Clemens VI. sein Kollegium auf 28 Kardinaele ausgeweitet, von denen allein 19 aus Suedfrankreich, seiner Heimat, stammten. Besonders gerne berief Clemens VI. Verwandte, wie seinen 18-jaehrigen Neffen, der ebenfalls Kardinal wurde. "Das Kardinalskollegium war weder ein Ort fuer Heilige noch fuer ueberragende Intelligenzen", sagt Ralf Luetzelschwab.

Leicht hatten es die Kardinaele, die im Auftrag des Papstes als Nuntien und Legaten in alle Welt geschickt wurden, nicht. Der Papst forderte vielmehr eine staendige Rueckkopplung des Legaten nach Avignon und betrieb zur Kontrolle haeufig eine Doppeldiplomatie. Das papstamt bezeichnete fuer Clemens VI. der Gipfelpunkt der Hierarchie: ein Amt, dass die Rechte und Vollmachten aller anderen Wuerdentraeger uebersteigt und das mit dem Konzept der plenitudo potestatis zu umschreiben ist.

Den absoluten Herrschaftsanspruch destillierte der Historiker Ralf Luetzelschwab aus den bislang nie systematisch ausgewerteten Predigttexten des Papstes heraus, den sogenannten collationes. Clemens VI. galt dabei als groesster Rhetoriker seiner Zeit, als "Pauke der Predigt, dessen Worte allen Gram aus dem Herzen vertreibe und dem Ohr gleich einem Instrument schmeichle", so Philippe de Vitry. Bei der Rueckkehr eines seiner Legaten liess es sich der wortgewaltige Papst nicht nehmen, Predigten zu halten, die nur auf den ersten Blick der stereotyp Rhetorik mittelalterlichen Predigten gleichen. Aufbauend auf den Erkenntnissen der franzoesischen Predigtforschung gelingt es Luetzelschwab meisterhaft, den Subtext zu entschluesseln und die versteckte Kritik und die Andeutungen angeblicher Verfehlungen der Kardinaele aufzudecken.

Literatur:
Ralf Luetzelschwab: Flectat cardinales ad velle suum? Clemens VI. (1342-1352) und sein Kardinalskollegium. Ein Beitrag zur kurialen Politik in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Dissertation Freie Universitaet Berlin, 2003

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© 2003 Kultura (alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Küstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar.)
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