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Feuilleton


Staatstheater Oldenburg, 23. Februar 2008

Tannhäuser

Richard Wagner

Die Bühne stirbt unerlöst.
Wagners „Tannhäuser“ in einer zwingenden Weise am Staatstheater Oldenburg

Es gibt immer mal Inszenierungen, die übersteigen ihre Kritiker um Lichtjahre. Wie zum Beispiel Willy Deckers „La Traviata“ in Salzburg, deren Ansatz tatsächlich niemand aus der beiwohnenden Presselandschaft verstanden oder zumindest nicht formuliert hat. Alexander von Pfeils „Tannhäuser“ in Oldenburg gehört wohl mit dazu. Sie beginnt mit Schürfern; Pilger, die den Grund ausheben wie Wagner eben mitunter auch gerne auf Ursprungssuche im vorgestrigen Mittelalter rumgrub: Und dazu tritt zögerlich die von Heine her gelesene Hauptfigur, eine menschliche aber glücklicherweise nicht allzu menschliche Venus im halbdurchsichtigen Samt. Aus deren Reich, wie wir sehen, auch die ganz junge Elisabeth enthopst ist, um dann im Laufe des Dramas immer weiter von diesem, ihrem Ursprung zu entfremden, mehr noch, in der bröckelnden Wartburggesellschaft zu verdursten. Ein Ansatz zu der Dresdener Fassung, der es mit jedem anderen Tannhäuser spielend aufnehmen kann, gerade deswegen, weil er das Frauenverhältnis dieser romantischen Oper weder als einfachen Gegensatz noch als einfache Einheit liest, ganz wie die Musik, deren Konflikt nicht zwischen Venus und Elisabeth läuft, sondern zwischen Venuswelt und Pilgerwelt, Herberge und Reise.
Beglaubigt wird die Venus auch vokal von der dramatischen Sopranistin Karen Leiber. Deklamatorisch versiert, spontan und mit durchdringenden kontrollierten Höhenforte schenkt sie dieser oft vernachlässigten und abgewerteten Figur (zuletzt in Minden unter Keith Warner) ihr volles Bühnerecht zurück. Deutlich schwächer fällt dagegen die Elisabeth von Magdalena Schäfer aus. Nicht darstellerisch, aber in den Ausbrüchen der Hallenarie liegt stets alles im Argen. Allein die lyrischen Passagen, das Gebet „Allmächtge Jungfrau“ vor allem, gelingen ihr bis auf Ausnahmen tadellos und lassen hoffen. Hingegen ein Genuss ist der Tannhäuser von Thorsten Scharnke. Er gestaltet diese „Mörder-Partie“ klug, forciert nicht zu Beginn, was einen schluchzenden Grundton in den ersten Szenen mitbedingt. Im zweiten Aufzug läuft Scharnke dann sukzessive zur Hochform auf, wenn er gegen die, nebenbei bemerkt, gekonnt individuell, teilweise äußerst liebevoll und spielerisch in Szene gesetzte Operngesellschaft seine Position als Künstler behauptet und das Wesen der Liebe von der Glückserfahrung in seinem Dasein, nicht vom abstrakten Geiste oder anderer Formalia abhängig macht. Jedoch: Wer sich outet, wird geoutet. Vorerst verhindert Elisabeth unter ihrer eigenen seelischen Quadratur des Kreises das Schlimmste. Fluchtartig geht er pilgern, sie zugrunde. Meisterhaft kommt Scharnkes Romerzählung unter Einsatz eines breiten Ausdrucksrepertoires, stimmig zur Morbidität der Szene. Für Rettung oder so kommt er ohnehin zu spät.
Eingefasst ist diese meist nacktfüßig daherkommende Inszenierung in einen verlassenden Raum. Vielleicht handelt es sich um eine ehemalige Orangerie, wo noch eine Palme übrig geblieben ist. Dieser Raum macht traurig, ohne dass man genau weiß warum. Licht scheint es in ihm nicht zu geben. Das dringt nur durch Hinterzimmer oder Seitenräume hinein. Und der dritte Aufzug, der zuerst ganz Elisabeth gehört, wirkt wie in UV-Licht getüncht, wie ein Röntgenbild gesellschaftlichen Verfalls: Wolfram ersticht Tannhäuser; noch bevor er selbst an Tannhäusers Erkenntnis aus Rom, der Erlösungsunmöglichkeit ohne Eros, wahnsinnig wird. Schließlich weiß man nicht, ob Wolfram nicht auch dem Venusblick erliegen wird und die Geschichte somit noch einmal von vorn beginnen muss. Ein Schlussblick von ihr ohne Sonnenbrille sollte seine Wirkung da wohl nicht verfehlen. Der Partie Wolfram von Eschenbachs verleiht der lyrische Bariton Paul Brady sowohl beim Preislied als auch in dem Lied an den Abendstern, hier ein Totenlied, einen differenzierten und außerordentlich glaubwürdigen Ausdruck.
Zwei weitere vokale Glanzlichter sollen außerdem nicht unerwähnt bleiben: Andrey Valiguras gibt einen stets wortgewaltigen wie sonoren Landgrafen Heinrich und der Oldenburger Opern- und Extrachor ist durchweg ein Hör-Gedicht. Die Musikalische Leitung liegt in der Verantwortung von GMD Alexander Rumpf. Er führt das Oldenburgische Staatsorchester mehr als solide und mit rhythmisch eingefasster nordischer Strenge durch den vier Stunden Wagnerabend. Hervorhebenswert scheint neben einer wunderbaren Einzelleistung, der Klarinette, der Streicherklang, von dem man lediglich eine inszenierungsadäquate Einstudierung der Venuskraft entbehren muss.
Alles scheint, wie so oft, am Ende verloren: die Bühne stirbt unerlöst und Tannhäuser erreicht Elisabeth nicht mehr. Und doch grünt es hiernach, wenn überhaupt noch mal, allein von der Venus aus. Im Chor hebt doch eigentlich eine indirekt von ihr ausgehende Aufhebung des Ganzen an, zieht die Zuschauer im Saal magnetisch gen Himmel. So blieb uns gar niemand einen Tannhäuser schuldig.


Wolfgang Hoops - red / 2. März 2008
ID 3727
Tannhäuser
Richard Wagner


Premiere am 17. Februar 2008 im Grossen Haus

Musikalische Leitung: Alexander Rumpf
Inszenierung: Alexander von Pfeil
Bühne: Piero Vinciguerra
Kostüme: Sabine Blickenstorfer
Dramaturgie: Ina Karr
Chor: Thomas Böhnisch

Hermann: Andrey Valiguras
Tannhäuser: Thorsten Scharnke/ Louis Gentile
Wolfram von Eschenbach: James Bobby / Paul Brady
Walther von der Vogelweide: Daniel Ohlmann
Biterolf: Henry Kiichli
Heinrich der Schreiber: Thomas Burger
Reinmar von Zweter: Tom Schmidt
Elisabeth: Magdalena Schäfer
Venus: Karen Leiber
Ein junger Hirt: Mareke Freudenberg / Sarah Papadopoulou
Vier Edelknaben: Linda Beyer / Dorothee Bienert / Marlene Eichler / Sarah Kelemen / Svenja Nier / Henrieke Schrock

Opern- und Extrachor des Oldenburgischen Staatstheaters
Oldenburgisches Staatsorchester

Weitere Vorstellungen:
im Februar: 23.02., 29.02.
im April: 5.4., 27.4., 30.4.

Weitere Infos siehe auch: http://www.staatstheater.de/





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