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Schauspiel Köln, 01.12.07

Yasmina Reza: Gott des Gemetzels




„Gott des Gemetzels“, das ist für Alain Reille der Kampf Mann gegen Mann, Auseinandersetzungen, die auch mal handgreiflich gelöst werden müssen. Damit steht seine Auffassung der von Véronique Houillé diametral gegenüber. Die glaubt an die Kraft des Wortes, der Moral, daran, dass sich Konflikte gewaltfrei lösen lassen. Das wäre nicht weiter schlimm, würden die beiden nicht in einer Situation aufeinandertreffen, in der es genau um dieses Thema der Konfliktlösung geht. Der Sohn der Reilles hat dem Sohn der Houillés zwei Zähne ausgeschlagen und war dabei bewaffnet mit einem Stock. Und schon prallen die gegensätzlichen Meinungen wortgewandt aufeinander: Hier der zynische Anwalt, dort die engagierte Bürgerin, die ein Buch über Dafur veröffentlichen will und ihre Ideale nach und nach denunziert sieht. Und mittendrin die jeweiligen Ehegatten. Michel Houillé hat für alles Verständnis, versucht zu vermitteln, Annette Reille akzeptiert fast ein wenig unterwürfig, dass sie einen Sohn hat, der unberechenbar und gewalttätig ist. Doch gereizt durch Alains ständiges Telefonieren und angeregt durch Alkohol geraten die guten Umgangsformen mehr und mehr ins Hintertreffen.

Alain und Michel haben von Anfang an keine Lust auf das Treffen, verbrüdern sich schließlich und schwärmen von der Zeit, als sie in der Schule einer Bande von Mitschülern vorstanden. Véronique fühlt sich nicht zu Unrecht von ihrem Mann alleingelassen und die beiden brechen eine Grundsatzdiskussion über ihre Ehe vom Zaun, die in wüsten Beschimpfungen und einer handgreiflichen Attacke von Véronique mündet. Und Annette Reille entschließt sich nach ein paar Glas Rum, die eindeutige Schuldzuweisung an ihren Sohn nicht mehr hinzunehmen, nachdem sie zuvor schon versehentlich auf die Kunstbände der Gastgeberin gekotzt und somit deren Gastfreundschaft sehr strapaziert hatte.


Yasmina Reza, dem deutschen Publikum vor allem durch ihr Stück „Kunst“ bekannt, in dem drei ältere Herren über den Sinn und Zweck eines monochrom weißen Bildes und doch eigentlich sehr viel mehr über ihre eigene Lebenssituation diskutieren, erweist sich auch in „Gott des Gemetzels“ als Meisterin des klugen hintersinnigen Dialogs zwischen scheinbar zivilisierten und gebildeten Menschen.

Karin Beier bringt dieses Stück, das nach der Uraufführung im letzten Jahr seinen Siegeszug an deutschsprachigen Bühnen angetreten hat, nun auch in Köln auf die Bühne. Die Bühne ist ein weißer Kasten, einige Meter breiter als tief. Rechts führt eine Treppe auf den tatsächlichen Bühnenboden und zu einem kleinen Tisch, auf dem alle möglichen Requisiten stehen. Hier befindet sich wahlweise die Küche oder das Badezimmer. In dem weißen Bühnenkasten stehen viele Stühle in einer Reihe, aber kein Tisch, an den man sich setzen kann, um die köstliche Nachspeise der Gastgeberin zivilisiert zu essen. So muss sie auf den Knien balanciert oder im Stehen konsumiert werden. Das Parteiergreifen und die verschiedenen Frontbildungen setzt Karin Beier klug um, indem sie räumlichen Möglichkeiten nutzt. Da stehen dann schon mal die Männer vor dem Bühnenkasten und die Frauen darin.

Die Inszenierung lebt aber vor allem von den vier exzellenten Schauspielern Markus John, Anja Laïs, Michael Wittenborn und Maria Schrader. Markus John gibt einen lauten und zynischen Alain, der keine Betroffenheit für das Verhalten seines Sohnes aufbringen kann. Michael Wittenborns Michel ist fast ein wenig hinterfotzig, wie er seine Frau plötzlich im Regen stehen lässt und sich mit den beiden anderen solidarisiert. Wittenborns Figur macht in dieser Hinsicht die größte Entwicklung durch: vom schlumigen und verständnisvollen Softie zum fast gefühlslosen Ehemann. Anja Laïs hat ihre stärksten Momente, wenn sie nach dem Genuss von Rum ihre gute Erziehung vergisst und aus der Rolle fällt. Und Maria Schrader kommt die undankbare Aufgabe zu, gegen das zunehmende Desinteresse der anderen ihr Gutmenschsein zu behaupten und schließlich in Selbstmitleid zu ertrinken, was sie souverän meistert.


Dennoch hat der Abend ein Problem. Vieles wird zu schnell weggelacht, die Moment, die stutzig machen könnten oder in denen sich Abgründe auftun, verplätschern – zumindest bei der Premiere – durch die allzu große Bereitschaft des Publikums, sich schenkelklopfend zu amüsieren. Das ist alles ganz nett, aber nichts tut wirklich weh. Dabei werden im Stück durchaus Fragen aufgeworfen, die die Grundbeschaffenheit einer zivilisierten Gesellschaft betreffen. Wieso schlägt eine Frau, die für Gewaltfreiheit plädiert, ihren Mann? Was passiert, dass plötzlich sämtliche Umgangsformen fallen, man sich Gemeinheiten an den Kopf wirft, nach denen nichts mehr so ist wie zuvor. Wieso ist es gerade das gesittete Paar Véronique und Michel, das sich bis aufs Äußerste beleidigt? Bei Alain und Annette dagegen scheint die Auseinandersetzung wieder zu einer größeren Annäherung zu führen, auch wenn sie sein Handy in den Wassereimer schmeißt und damit unbrauchbar macht. Fraglich ist auch, ob die französischen Namen und Orte beibehalten werden müssen. Denn sie rücken das Geschehen unnötig weit weg vom Zuschauer. Doch trotz dieser Einwände ist „Gott des Gemetzels“ ein unterhaltsamer Abend, der das Premierenpublikum zu stürmischer Begeisterung hinriss.


Karoline Bendig - red / 8. Dezember 2007
ID 00000003598
Yasmina Reza
Der Gott des Gemetzels
Schauspiel
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel

Regie: Karin Beier
Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüme: Maria Roers
Dramaturgie: Götz Leineweber

Véronique Houillé: Maria Schrader
Michel Houillé: Michael Wittenborn
Annette Reille: Anja Laïs
Alain Reille: Markus John

Premiere am 01.12.07, Vorstellungen am 13. und 25.12.07



Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de/stueck.php?ID=54&tID=600





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