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Schauspiel Köln, 29.03.08

Georg Büchner: Leonce und Lena


Von Pipi und Popo

Bei all den wichtigen und großen Produktionen am Schauspiel Köln lässt sich leicht übersehen, dass das Theater mit Jan Bosses Inszenierung von „Leonce und Lena“ ein Kleinod im Spielplan hat.

Bosse und sein Bühnenbildner Stéphane Laimé rücken das Geschehen eng an die Zuschauer heran. In der ersten Reihe des Zuschauerraums sitzt Leonce, aus dem Zuschauerraum kommt Valerio und die Bühne ist ein schmaler Streifen, der in den Zuschauerraum hineinragt und in dem einige Schaufensterpuppen stehen, die den Raum noch enger machen. Erst wenn Leonce und Valerio in die Fremde aufbrechen, öffnet sich der Bühnenraum nach hinten und gibt den Blick auf eine illusionistische Traumwelt frei, in der im nachtblauen Himmel Sternlein prangen und grüne Hecken eine barocke Gartenanlage andeuten. Aber der Traum ist nicht von Dauer und weicht der ernüchternden Bühnenmaschinerie. Am Schluss, wenn Leonce und Lena als sprechende Automaten der Menge vorgeführt werden, verengt sich die Szene wieder auf die Schaufensterauslage des Landes Popo.

Neben den wunderschönen Kostümen und dem intelligenten Bühnenbild überzeugt Jan Bosses Inszenierung aber vor allem durch die Personenregie und die Schauspieler. Mark Waschkes Leonce ist eitel und unfähig zur menschlichen Bindung. Anders als sein Vater, der weiß, dass eine bestimmte Position im hierarchischen Gefüge bestimmte Pflichten mit sich bringt, verweigert sich Leonce allem, dümpelt ohne Lebensziel dahin, schwadroniert über dieses und jenes. Und den geneigten Zuschauer beschleicht der Gedanke, dass dieser Leonce ein Schwätzer ist, der sich seiner Verantwortung nicht stellen will, sondern lieber darauf achtet, dass seine Haare richtig liegen. Ein Gegenentwurf zum fleißigen und dienstbeflissenen Präsidenten, der bei Jan-Peter Kampwirth kein alter Postenträger ist, sondern jemand, der in seiner Position aufgeht, Entbehrung und Haltung fordert. Kurz hier der Diensteifrige, über dessen Ernst bei der Sache und damit verbundene Humorlosigkeit sich gut lachen lässt, dort die Made im Speck, antriebs- und lustlos.

In diese Gemengelage kommt Valerio als ein gesuchter Verbrecher aus dem Publikum, handfest, erdverbunden, ohne Etikette, aber mit einem guten Auge für die Befindlichkeiten der anderen und einer scharfen Zunge ausgestattet. Grandios komisch, wie Robert Kukulies die Pyramide aus Sektgläsern demontiert und seinen Platz in der Auslage sucht. Alle Vorsicht über Bord werfend, nimmt er sich einfach den Platz, den der braucht.

Ein Clou der Inszenierung ist es, den König von Popo ernst zu nehmen. Michael Wittenborn philosophiert voller Inbrunst über die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, verliebt sich in seine logischen Schlüsse und ist hilflos wie ein Kind, wenn es um die Frage geht, dass er dem Volk doch ein Feuer und eine Hochzeit versprochen hat. Gegen den Strich gebürstet auch die Besetzung der Lena mit Maja Schöne, die mit ihrer tiefen Stimme zunächst ganz anders wirkt als das, was man sich gemeinhin unter dem Etikett „Prinzessin“ vorstellt. Aber auch Lena ist nur scheinbar emanzipiert und ihre Handlungen stehen in einem wunderbaren Gegensatz zu ihrem ersten Monolog. Das zeigt sich, wenn sie versucht, ihr opulentes Kleid auszuziehen und nach ihrer Zofe ruft, die ihr helfen soll. Wenn schon Ausbrechen und Abhauen, dann aber komfortabel und bitte mit Dienstpersonal.

Jede Figur kommt zu ihrem Recht, auch Rosetta, Leonces Geliebte, die am Ende Stärke zeigt, als die Herren der Schöpfung darüber verzweifeln, dass die Hochzeit nicht abgehalten werden kann. Sie liebt Leonce, aber er beachtet sie nicht. Und das wiederum zeigt Bosse so, dass es wehtut. Der Schluss des Stücks gehört nicht dem König, nicht dem Paar, sondern dem Präsidenten. Beeindruckend, wie Jan-Peter Kampwirth als völlig aus der Bahn geworfener Präsident am Ende in der Ecke der Bühne sitzt und minutenlang seinen ganz eigenen Film fährt.

Rundum gelungen ist der Abend. Leonce und Lena haben sich irgendwie verdient in ihrer Selbstgefälligkeit, ihrem Hang zur Selbstbeschau. Dazu passt auch, dass die Politik, die in Büchners Stück eine wichtige Rolle spielt mit seiner Kritik an der Kleinstaaterei, bei Bosse zu kurz kommt. Sicherlich gibt es an diesem Abend manches, das ins Leere läuft, nicht sinnhaft oder schlüssig ist, einfach nur nett aussieht. Aber wer sagt, dass ein Theaterabend von Anfang bis Ende plausibel sein muss?


Leonce und Lena
Ein Lustspiel von Georg Büchner


Regie: Jan Bosse
Bühne: Stéphane Laimé
Kostüme: Kathrin Plath
Musik: Arno Kraehahn

König Peter: Michael Wittenborn
Prinz Leonce: Mark Waschke
Prinzessin Lena: Maja Schöne
Valerio: Ronald Kukulies
Der Präsident des Staatsrats: Jan-Peter Kampwirth
Rosetta: Julischka Eichel

Premiere am 28.03.09 in Köln, weitere Termine am: 07., 11., 14.06.
Termin in Berlin am Maxim Gorki Theater: 15.06.09

Eine Koproduktion des Maxim Gorki Theater mit dem Schauspiel Köln


Karoline Bendig - red. / 5. Juni 2009
ID 4332

Weitere Infos siehe auch: http://schauspielkoeln.de/stueck.php?ID=137&tID=1262




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