Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Feuilleton


Schauspiel Köln, Premiere 6. April 2006

Ein Volksfeind

von Henrik Ibsen

Unruhe im Publikum. Ein paar Menschen stehen auf, buhen, pfeifen, machen Lärm. Derweil hält der Badearzt Thomas Stockmann (Markus Scheumann) eine Grundsatzrede zur Demokratiefähigkeit der Masse. Wie soll denn die politischen Verantwortung in einer demokratisch verfassten Gesellschaft verteilt werden? Heißt Mehrheit auch immer gleich Wahrheit?
Spannende Überlegungen von Henrik Ibsen in seinem Stück „Der Volksfeind“ von 1882. Da will der Arzt die Wahrheit sagen – dass nämlich das örtliche Bad verseucht ist und dementsprechend für jeden Gast hochgradig gesundheitsgefährdend –, aber er wird von der Politik in Person seines eigenen Bruders (Dirk Lange) daran gehindert. Die Presse, die Dr. Stockmann zunächst ihre Unterstützung zusicherte, knickt ebenso ein wie der örtliche Verein der kleinen Hausbesitzer – damit ist es nichts mit der „kompakte Majorität“, die hinter Dr. Stockmann steht. Dessen Versuch, in einer Ansprache bei der Bevölkerung des Badeortes etwas zu bewegen, schlägt – wie oben gesehen – fehl. Niemand will sich ernsthaft damit beschäftigen, dass die Einnahmequelle der Stadt gefährdet sein könnte.
Der Aufstand eines Teils des Publikums ist wohl kalkuliert im Schauspiel Köln, von Michael Talke inszeniert und von ein paar Statisten ausgeführt, die man kurz darauf auch auf einem Prospekt sieht, das überdimensional den Hintergrund für die letzte Szene bildet. Was allerdings dieses Bild, das Protestierende inmitten von leeren Sitzreihen im Parkett zeigt, erzählen sollen, bleibt unklar.
Nicht nur der Aufstand ist kalkuliert, die Inszenierung des „Volksfeindes“ von Michael Talke weist insgesamt wenig Überraschendes und Aufregendes auf. Solide inszeniert er den Text, der besucherfreundlich und geschickt auf ca. 105 Minuten gekürzt wurde. Dabei bleibt die Brisanz des Stückes allerdings weitestgehend auf der Strecke, nicht zuletzt, weil Klamauk und Typen überwiegen. Die tragische Dimension, das menschliche Scheitern eines dogmatischen Aufrechten erschließt sich erst ganz am Ende. Billing (Jochen Langner), der übergewichtige Mitarbeiter der Zeitung, schmeißt mit Papierstapeln. Buchdruckerin Aslaksen (Dagmar Sachse) versucht, wichtige Papiere vor dem Bürgermeister zu verstecken. Hovstad (Christian Beermann) ist nicht mehr als ein Pseudo-Revoluzzer mit Brille. Hektisch rennen alle umher, um Dr. Stockmann von seiner Rede abzuhalten. Andreas Kriegenburg hatte 1997 in seine „Volksfeind“-Inszenierung am Schauspiel Hannover die Komikschraube geschickt und konsequent ins Absurde, Groteske, Körperliche überdreht. Etwas vergleichbar Überzeugendes und zugleich Unterhaltendes gelingt Talke nicht. Es bleibt brav.
Höhepunkt der Inszenierung ist eindeutig die Rede von Thomas Stockmann. Dafür platziert Talke seinen Darsteller Scheumann auf der Vorderbühne und lässt ihn in ein Mikrofon sprechen. Bürgermeister, Redakteur und Buchdruckerin nehmen im Publikum Platz. Markus Scheumann nutzt diese Rede, um sein ganzes schauspielerisches und rhetorisches Können auszubreiten. Und hier beschleicht einen dann doch die Angst. Denn immer mehr steigert sich dieser Dr. Stockmann in seinem Bedürfnis, für Transparenz in der Stadtpolitik zu sorgen und die Bürger aufzuklären, in einen diktatorischen Ton hinein. Man meint Hitler zu hören, wie wir ihn alle, von Bruno Ganz gesprochen, im Ohr haben. Am Ende sitzt der Mann, der vom Volksfreund zum Volksfeind wurde, in seiner Wohnung, die kein Zuhause mehr ist. Statt hellem Holztisch vor einem Kornfeld und roter Tapete mit Gräsern drauf, die Geborgenheit und Wohnlichkeit implizieren, herrscht Unbehaustheit vor: Die Wände abmontiert, die Stühle kreuz und quer verteilt, Salatköpfe, vom wütenden Volk geworfen, liegen auf dem Boden. Stockmann widersteht allen Versuchungen und weigert sich, seinen Standpunkt aufzugeben. Am Ende ist er ganz allein, Frau (Birgit Walter) und Kinder haben ihn verlassen, aber Stockmann realisiert es nicht. Er scheint längst in seiner eigenen Welt zu leben.


Karoline Bendig - red. / 24. April 2006
ID 2355
Ein Volksfeind
Schauspiel von Henrik Ibsen

Regie: Michael Talke
Bühne: Barbara Stein
Kostüme: Klaus Bruhns
Besetzung: Markus Scheumann (Doktor Thomas Stockmann), Birgit Walter (Frau Stockmann), Merle Wasmuth (ihre Tochter), Dirk Lange (Peter Stockmann, Bürgermeister), Therese Dürrenberger (die alte Kill), Dagmar Sachse (Buchdruckerin Aslaksen), Christian Beermann (Hovstad, Redakteur des Volksboten), Jochen Langner (Billing, Mitarbeiter der Zeitung)

Premiere am 06. April 2006

Weitere Infos siehe auch: http://www.buehnenkoeln.de/buehnenlite/schauspiellite/index.htm






  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

THEATERTREFFEN

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)