Bremer Theater, Premiere 22. Januar 2005
Zwischen Persiflage und Werktreue
Webers „Freischütz“ am Bremer Theater
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Dem neuen Bremer Freischütz ist die Gunst des Publikums gewiss. Erik Gedeon hat aus der romantischen Oper eine moderne, faszinierend hintersinnige Revue hervorgezaubert. Seine Inszenierung begeistert durch die Musikalität der Personenführung. Die mit großem Gespür für die Klangfarben-Sensibilität der Partitur aufspielenden Philharmoniker und ein junges, glänzendes Solistenensemble vervollkommnen die Aufführung zu einem sinnlich-opulenten Theatergenuss. Dass sich dennoch mancher Einwand aufdrängt, spricht für die Qualität der Produktion, die zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Gehalt des Werkes herausfordert.
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Webers Freischütz ist auch ein Meisterwerk der romantischen Ironie. Nicht erst durch die Erscheinung des Eremiten reflektiert sich die Handlung selbst. Schon in Ännchens Romanze wird das Phantastische bis in die musikalische Textur hinein zum Gegenstand der Selbstverhöhnung. Erik Gedeon setzt auf dieses ironische Moment, vergröbert dessen pikanten Reiz manchmal auch ins Plakative.
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Der Wald ist nur ein Zitat in der Holzvertäfelung des von Ulrich Frommhold gebauten Freischütz-Museums, in welches Gedeon die komplette Oper eingesperrt hat. Bei den Mannen des Jägerchores handelt es sich um eine begeistert ihre Schlagstangen schwenkende Meute. Vier eifrige Putzfrauen wirbeln als Brautjungfern um Agathe herum. Solche vermeintlichen Tabubrüche sind schon beinahe zur Konvention gealtert und gewinnen erst durch die schier unerschöpfliche Spielfreude des auch vokal erfrischend lebendigen Chores ihren Unterhaltungswert.
Das Böse droht bei diesem Freischütz nicht als eine Gefahr von außen, nicht als chimärische Waldnatur, sondern steckt im rigiden Ränkespiel der gesellschaftlichen Funktionspyramide. Sie entstellt die Menschen und wird zum Auslöser der Beinahe-Tragödie Maxens und Agathens. Statt Samiel bevölkern Ottokar und die Chargen von dienstbeflissenen Kulturbeamten und Museumsangestellten mit ihren uniformen und unheildrohenden Tiermasken Gedeons Innenarchitektur-Wolfsschlucht: ein vom Publikum mit spontanem Applaus bedachter Einfall.
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Doch die Eindeutigkeit seiner Interpretation erkauft der Regisseur mit dem Verlust der Dialektik von Mensch und Natur. Max und besonders Agathe fehlt spürbar die Projektionsfläche für die seelische Weite ihrer Gefühle. Was bleibt von Agathe ohne ihr befreiendes Ausatmen in die Natur? Im dritten Aufzug verharmlost Gedeon die Figur zu einem jämmerlichen „Wachspüppchen“ und nur Bettina Jensens innig leuchtender, schwebender Sopran verrät dann noch, dass es sich bei diesem Mädchen um mehr als eine Karikatur handelt. Mit dankbareren darstellerischen Aufgaben wird Klaus Florian Vogt betraut, der als Max ein humorvolles, differenziertes Bild sensibler Naivität zeichnet - gesanglich mit einem höhensicheren, schmeichelnd samtenen Heldentenor, dem nur noch ein wenig mehr Energie und Intensität zuwachsen müssten.
Was dem Ännchen durch eine überreizte TV-Comedy-Mimik und Gestik an Charme genommen wird, weiß die sich im Laufe des Abends fulminant steigernde Nadine Lehner der Figur in ihrer letzten Arie durch anmutig ausgeführte Fiorituren zurückzugeben. Karl Huml verfügt über einen tragfähigen Bass für den Eremiten, während Ivan Dimitrovs Caspar noch der letzte Schliff virtuoser Parlando-Raffinesse fehlt.
Wenn die Inszenierung mit dem schönen Einfall, am Ende Maxens Gewehr vom Eremiten durch eine Klarinette ersetzen zu lassen, eine Art Anwaltschaft für den Komponisten reklamiert, so liegt diese doch mindestens ebenso sehr in den Händen von Florian Ludwig und den furios leidenschaftlich musizierenden Philharmonikern.
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christian tepe - red / 25. Januar 2005 ID 1579
Weitere Infos siehe auch: http://www.bremertheater.com
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