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Oper Köln, 20. Mai 2006

Der Held der westlichen Welt

Jan Müller-Wieland

Komische Oper in drei Akten

Claudia Rohrbach (Der Held) | © Klaus Lefebvre



Held mit Hühnerbrust

Unter einem Held stellt man sich wahrlich etwas anderes vor – nicht so ein kleines Würstchen in Jogginghose und mit Bommelmütze auf dem Kopf, wie es in Jan Müller-Wielands Oper „Der Held der westlichen Welt“ daherkommt. Aber dieser Junge hat seinen Vater erschlagen – sagt er zumindest – und wird von einer Saufgemeinschaft, in die er hineinplatzt, als Held gefeiert. Diese trifft sich in der Kneipe der Wirtin Liebe – „Zum Himmelheim“ prangt als Name über der Theke. Und die Wirtin wird ihrem Namen gerecht, nimmt den jungen Helden unter ihre Fittiche. Plötzlich tritt der Vater auf, gewaltig, mit ordentlich Getöse und mitnichten tot. Aber bevor er den Sohn wieder mitnehmen kann, gibt es ein Freeze – ein Engel kommt, inklusive Rauschgoldflügeln, und trägt ein Beil, das er dem Held präsentiert, damit dieser seine Tat vollenden kann.
Der zweite Akt beginnt mit einer Wiederholung, weniger ein Déjà-vu als ein Nochmalshören. Wieder hört man den Vater im musikalischen Vorspiel aufstöhnen, wieder hat der Chor den gleichen Text, aber dieses Mal ist die Stimmung dem Helden gegenüber, der zunächst auch gar nicht auftaucht, nicht so euphorisch. Er wurde von seinem Vater abgeführt, berichtet die Wirtin. Aber da kommt der Held schon selbst und erzählt, dieses Mal habe er seinen Vater ermordet. Da die Menge ihm aber nicht so ohne Weiteres glaubt, muss er sich einem Test unterziehen. Und wieder kommt sein Vater und wieder kommt der Engel.


Andrea Andonian (Das Wrack Mama), Claudia Rohrbach (Der Held), Andres Reblin (Das männliche Monster Papa), Rosl Schumacher (Der Engel der Arbeit) | © Klaus Lefebvre


Die dramaturgische Struktur ist im dritten Akt klar, auch wenn hier überraschenderweise der Chor seinen Text nicht mehr artikulieren kann, was Karoline Gruber in ihrer Inszenierung damit begründet, dass alle sternhagelvoll sind. Dafür stellen sie den Helden gleich an ein Kreuz aus Bierkästen, wo er verharrt, bis sein Vater kommt und die Tötungsinkompetenz des Sohnes beklagt: „Ach Jungchen ... Hättest du nur wenigstens einmal richtig getroffen“. Warum der Vater so resigniert ist, erfährt man gleich darauf, denn auf einmal kippt die ganze Oper in eine Sozialstudie. Die Mutter des Helden tritt auf, eine versoffene, tätowierte alte Schlampe, die erst einmal ihre hochprozentigen Alkoholika überall auf der Bühne deponiert. Der Engel hat einen letzten Auftritt und bringt – nein, kein Beil, sondern einen Brief, den die Mutter liest. Der Vater hat Arbeit, als Holzfäller. „Gut, das du mich damals nicht umgebracht hast“, sagt er zu seinem Sohn. Und wozu dann die ganze Aufregung?
Das ist alles eine Gemengelage aus Wiederholung, Brüchen, Nonsens und Unverständlichem. Dazu ein wenig Bezug zur Religion und ein schwieriges Vater-Sohn-Verhältnis. Karoline Gruber müht sich redlich, etwas Pepp auf die Bühne zu bringen, greift zu Klischees und zu Kitsch. Witzige Ideen finden sich durchaus: So sind die Biergläser zweidimensional und aus Pappe. Der Engel der Arbeit kommt in Goldlametta kombiniert zur schluffigen Jogginghose. Im zweiten Akt gibt es kleine Fähnchen mit der Aufschrift „Held“ und Plakate, die das Konterfei des Helden zeigen. Die Wirtin und die Animierdamen tragen knappstes, aber schrilles Leder, die Männer Miniplifrisuren. Der Vater kommt aus unerfindlichen Gründen als Cowboy daher. Der überaus zahlreiche Chor ist gut geführt. Und mit Claudia Rohrbach steht Gruber eine stimmlich wie darstellerisch überzeugende Sängerin zur Verfügung. Mit ihren Koloraturen kann sie als Held – zumindest in ihrem eigenen Traum – sogar reihenweise Menschen töten. Aber das alles will nicht wirklich zünden.
Vielleicht weil das Stück dann doch kein großer Wurf ist. Alles Unverständliche wie z.B. die Rüben, von denen ständig die Rede ist, bekommt keine zusätzliche Dimension, sei es eine groteske, absurde, pathetische oder einfach nur eine sinnlos-unterhaltende. Zu sehr geht es am Anfang doch noch darum, eine Geschichte zu erzählen, deren Faden sich zunehmend verliert. Unklar auch, was der Bezug zur christlichen Religion soll: „Vater, warum hast du mich nicht verlassen“, sagt der Held zu Dem männlichen Monster Papa, der Chor spricht ein „Vater unser“, ein Kreuz steht auf der Bühne und eine Projektion verkündet zu Beginn: „Überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“.
Und musikalisch? Aus dem Orchestergraben klingt es gelegentlich nach großer romantischer Oper, und oft wirkt die Musik illustrierend. Auffällig ist die beherrschende Stellung des Schlagwerks. Ein inniges Liebesduett zwischen Sopran (Held) und Mezzo (Wirtin) wird durch Schafgeblöcke unterlaufen. Ein paar schöne Einfälle gibt es: So summt der Chor im dritten Akt seine Passagen, ein gelungener Umgang mit der Wiederholung, denn all das hat der Zuhörer schon in den Akten zuvor gehört. Die Titelpartie, eine Hosenrolle, ist sehr anspruchsvoll notiert. Aber dreimal „La, le, lu, nur der Mann im Mond schaut zu“ zu hören, geht schon an die Grenzen. Und das gilt für das musikalische Material insgesamt: Für eine Dauer von 100 Minuten ist es zu wenig.

Am Ende gab es freundlichen Beifall des Kölner Publikums – das übrigens in den Zwischenspielen zwischen den Akten erstaunlich unruhig war. Zweifelhaft, ob der „Held der westlichen Welt“ einen Siegeszug ins Repertoire antreten wird oder nicht doch eher als ein bemühter Versuch in Vergessenheit gerät.


Karoline Bendig - red / 26. Mai 2006
ID 2415
Jan Müller-Wieland
Der Held der westlichen Welt
Komische Oper in drei Akten
Libretto vom Komponisten nach Motiven aus Annemarie und Heinrich Bölls Übersetzung von John Millington Sygnes „The Playboy of the Western World“

Musikalische Leitung: Markus Stenz
Inszenierung: Karoline Gruber
Bühne: Thilo Reuther
Kostüme: Henrike Bromer
Bewegungsregie: Beate Vollack
Licht: Dirk Sarach-Craig
Chor: Andrew Ollivant
Dramaturgie: Oliver Binder

Der Held: Claudia Rohrbach
Die Wirtin Liebe: Viola Zimmermann
Das männliche Monster Papa: Andres Reblin
Das Wrack Mama: Andrea Andonian
1. Bursche: Timm de Jong
2. Bursche: Byoung-Yoo Lee
1. Chorsolo: Esther Oh
2. Chorsolo: Astrid Schubert
Das beste Schaf: Cordula Hack
Der Engel der Arbeit: Rosl Schumacher

Uraufführung an der Oper Köln am 7. April 2006

Weitere Infos siehe auch: http://www.buehnenkoeln.de/buehnenlite/operlite/index.htm






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