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Theater- Feuilleton
Carmen, rau und ungeschminkt

Zur Premiere der Oper von Georges Bizet im Saalbau Neukölln am 30.10.03

Ein Projekt von Franziska Waldmann unter der Regie von Nelly Danker und der musikalischen Leitung von Friedrich Suckel

Nietzsche hat es geliebt, dieses Stück von Georges Bizet, das dieser , 37 jährig,1875 für 25 000 Francs verkaufte, das in der Opera Comique in Paris uraufgeführt wurde und dann mit zunächst geringem Erfolg 33 mal gespielt wurde. Als kurz darauf Bizet starb, wurden die, für die Opera comique typischen gesprochenen Dialoge von einem Freund Bizets umgeschrieben und für die Grand Opera gefügig gemacht. Nietzsche, der gern mit der Peitsche zu Frauen ging, war fasziniert von der Auffassung der Liebe, die dieses Stück wiedergab. „ Endlich die Liebe, die in die Natur zurückübersetzte Liebe. Die Liebe als Fatum, als Fatalität,zynisch, unschuldig, grausam – und eben darin Natur! Die Liebe, die in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter ist.“ Vermutlich liebte er besonders den Schluss, die Stelle, an der der Todhass der Geschlechter vollen Ausdruck findet in der Ermordung Carmens durch ihren ehemaligen Geliebten Don Jose.

Dabei hat Nietzsche eigentlich gar keinen Grund dieses Stück zu lieben, ist es doch ein Stück über eine leidenschaftliche Liebe einer sehr zielstrebigen, selbstbestimmten, unbezähmbaren, wilden und ungeduldigen Frau und einem recht unselbständigen Muttersöhnchen, der damit weiterleben muss, den Menschen, den er geliebt hat umgebracht zu haben. Irgendwie scheint es , wird er erst dadurch zum Manne .

Escamillo, der Held und Carmen
(C) Pressematerial

Don Jose im Vordergrund und sein Rivale, der Stierkämpfer Escamillo.
(C) Pressematerial
Carmen, dargestellt von Kinga Dobay, ist Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik, hat Umgang im kriminellen Milieu und ist wahlweise eher Zigeunerin (im Original, obwohl selbst das bestritten wurde), oder mehr Andalusierin in dieser Fassung , jedenfalls eine Frau, die es vermag, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und leben will um jeden Preis.(Schön, dass trotz der schon vorurteilsbeladenen Originalcarmen versucht wurde in dieser Inszenierung die Klischees beseite zu lassen).Carmen ist selbstbewusst und dennoch sehr leidenschaftlich . Dass dies oftmals ein unlösbarer Widerspruch ist, muss nicht zuletzt Carmen bitter erfahren. Zunächst angezogen von dem Sergeant, Don Jose, klasse ausgefüllt von Yun-Hwan Cho, der seine seiner Figur eigene Tragik von Anfang an hervorragend in Szene gesetzt hat , verliebt Carmen sich in ihn. Er zögert zunächst, zumal ihm Micaela, die Herzensschwiegertochter seiner Mutter, noch auf den Leim geht. Micaela, die Gegenfigur zu Carmen immer in rosa Klamotten immer nett und freundlich und in diesem Fall natürlich im Gegenzug zu Carmen: blond, will ihn heiraten. Er wollte das zunächst auch, schon wegen seiner Mutter, aber seit dem nun Carmen Interesse gezeigt hat, ist er komplett von Sinnen. Musikalisch und szenisch einwandfrei das Duett von Micaela,dargestellt und gesungen von Leila Trenkmann, und Don Jose. Eine immer wiederkehrende Harmonie zwischen Musik und Dramaturgie macht diese Oper besonders hörens- und sehenswert.

Don Jose verfällt Carmen mit dem gesamten Programm…... Er geht für sie in den Knast, wenn auch nur eine Woche, verliert seinen Job, taucht in ihre Clique ab, die sich wohl ganz gut auf krumme Dinger versteht (irgendwie sahen die alle eher aus wie Hausbesetzer in den 80ern ) ist rasend eifersüchtig, lässt sich komplett zum Idioten abstempeln und verliert jeden Stolz. Und, kommt das irgendjemandem vielleicht bekannt vor? So wurde aus dem andalusischen Wahnsinn, über den Don Jose noch am Anfang der Geschichte herzog, bezugnehmend auf die Arbeiterinnen in der Zigarettenfabrik, zu der Carmen auch gehörte, ein wahnsinniger Don Jose, der mit Füssen stampft und sich die Haare rauft - am Ende der Oper war sein Haar so zerzaust als hätte er wirklich um Carmen gekämpft.


Das Kartenlegerinnenterzett
(C) Pressematerial


Dass Carmen dieser Liebe zum Opfer fallen wird, wurde auch in einer schön inszenierten Szene deutlich. Das Terzett der Kartenlegerinnen zu Beginn des dritten Aktes. Während die Freundinnen sich ihre Traummänner aus den Karten legen (a-moll), Frasquita einen liebeshungrigen Burschen und Mercedes einen reichen alten Knacker , sieht Carmen den Tod auf sie zu kommen (f-moll). Der fliessende Übergang von der Todesstimmung Carmens und der komödiantischen Art ihrer Freundinnen, deren Ausstrahlungskraft auch in ihrer gelungenen szenischen Umsetzung liegt, ist ein grosser Verdienst der Musik Bizets. Zum anderen überrragt auch die Musik die Dramaturgie der bildhaften Szene, was zwar ein Kontrast aber auch eine sehr gelungene Intensität.bewirkt.


Carmen und Don Jose in der letzten Szene, kurz vor dem Mord
(C) Pressematerial


Carmen lässt Don Jose fallen und verliebt sich in den Stierkämpfer und Helden Escamillo (Carlos Aguirre). Eine für sie doch recht aussichtsreiche Liaison. Die Figur des Escamillo ist schon im Original bewusst sehr platt und konventionell gehalten. Schöne Umsetzung dieser vier herausragenden Eigenschaften, in dem Escamillo in der Manier eines Las Vegas Showgirls im bunten Blinklichterrahmen von seinen Fans hereingerollt wird. Schön auch, wie er in einer späteren Szene mit seinem lebensgrossen, goldenen Pappstier mit ebenso lebensgrossem Penis hereingelatscht kommt , auf den eifersüchtigen Don Jose trifft, der mit allem ihm zur Verfügung stehenden Kräften den gutdimensionierten Stierpenis wegtritt. Diese Liaison zwischen Carmen und Escamillo endet tragisch in einer leblosen,konventionellen Beziehung zu zweit am Küchentisch, in der der Alltag die Liebe schon längst überholt hat. Und dort in der Küche endet auch Carmens Leben. Während noch der Chor Escamillo als Sieger in der Arena feiert mit der allzubekannten Hymne des siegreichen Toreros( die im übrigen schon zu Anfang des Vorspiels und mehrmals im Laufe des Werkes vorkam. Diese Toreroarie überreichte Bizet dem Librettisten mit den Worten: „Da hast Du Deine Schweinerei“.Diese Arie ist sicherlich kein bis ins Detail ausgereiftes Meisterstück, sondern eher eine Polonaise im triumphierenden Viervierteltakt, so sollte sie aber auch sein um dem Charakter des Escamillo zu entsprechen) stürzt sich Don Jose auf Carmen und schliesst mit den Worten: Ich habe sie getötet…. Ach Carmen, Du mein angebetet Leben.


Noch ein paar Anmerkungen:

Es ist Bizet zu verdanken, dass in den Hauptszenen des Stückes Hochspannung erzeugt wird, wie auch in anderen Szenen der Phantasie freien Lauf gegeben werden konnte, was bühnenbildnerisch und szenisch auch ausgespielt wurde. Die Bühne war frei für die Phantasien einer Horde Männer, allesamt Luschis in Feinrippunterwäsche in der ersten Szene des ersten Aktes, im Original Soldaten und später Gassenjungen.
Störend wirkte das ganz und gar nicht. Die Bühnenbildnerin Franziska Waldmann hat zwar Fragen aufgeworfen, die Wirkung der Bilder aber bedarf keiner Erklärung. Sie fügen sich in die Handlung zwanglos ein. Witzige Interpretation auch der Szene vor dem Tod Carmens, die im Original vor der Arena in Sevilla stattfindet. Carmen und Escamillo beteuern sich gegenseitig ihre Liebe. In dieser Inszenierung findet die Abschiedsszene am Küchentisch statt, Escamillo mit Kravatte und Aktenkoffer. Beide verhalten sich so, als wäre das seit Jahrzehnten ihr gemeinsamer Tagesablauf und sie hätten eigentlich nicht mehr viel vom Leben und der Liebe zu erwarten.
Gewöhnungsbedürftig die Szene, in der Carmen sich als Künstlerin, als Malerin versucht. Diese Einfügung ist wohl so zu erklären, dass für die Macherinnen der Oper Carmen „eine moderne Künstlerin, eine Frau mit Wünschen, Träumen, mit ihrer Einsamkeit“ ist.

Und eine noch vergessene Anerkennung:
Ohne dieses Orchester unter der Leitung von Friedrich Suckel hätte die Inszenierung weitaus weniger Glanz gehabt.

Und eine Kritik:
Bizet kannte sich wohl kaum mit „Underdogs“ aus, so wie die LeiterInnen der Oper es in Ihrer Ankündigung beschreiben. Auch darf man nicht vergessen, dass der Text nicht von Bizet, sondern von Prosper Merimee stammt, der eine gleichnamige Novelle schrieb. Bizet war zwar nie ein gut bezahlter Komponist, aber auch nie ein Zuhälter, Krimineller oder Schmuggler. Nie hat er sich von den Fesseln des Bürgerlichen befreit. Aus heutiger Sicht würde ich sogar so weit gehen und sagen, Carmen ist ein klassenübergreifendes Drama, eine Liebe dieser Art ist bei den Geldverdienenden genauso möglich, wie bei denen, die ständig pleite sind. Im Gegenzug zu Ihrer Darstellung behaupte ich, dass in allen sozialen Schichten Liebe auch als Chance begriffen werden kann.
Diese Inszenierung hat es nicht nötig sich den wilden Charme der Underdogs zu eigen zu machen, sie ist aus sich selbst raus eine Inszenierung, die keiner zusätzlichen Legitimation bedarf.Es genügt, dass Bizet, Merimee und die Librettisten, die die Novelle für die Operumschrieben mit diesem Charme gewaltig kokettierten.

w.p. - red. / 1. November 2003

Weitere Vorstellungen sind_:
Am 5.,7.,13. und 15.November
Jeweils 19.30 Uhr
Am2.,9. und 16. November 2003
Jeweils um 16 Uhr

Karten unter: 030 – 68093779
Saalbau Neukölln, Karl – Marx- Str.141
Berlin
siehe auch / Theater
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