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Schauspiel Köln

Botenstoffe. Orestie (UA)


Manos Tsangaris

Markus John, Oda Pretzschner | © Klaus Lefebvre, www.theaterphotos.de

Aischylos’ Orestie ist an sich nicht unbedingt der leichteste Theaterstoff, den sich ein Regisseur aussuchen kann. Komplex und archaisch ist die Geschichte um Agamemnon, der seine Tochter Iphigenie opfert, um günstige Winde für die Überfahrt nach Troja zu erhalten, seine Frau Klytaimestra, die ihn gemeinsam mit ihrem Geliebten Aigist bei seiner Rückkehr aus Troja umbringt, und die gemeinsamen Kinder Elektra und Orest, der wiederum Klytaimestra und Aigist tötet, um den Mord an seinem Vater zu rächen.
Manos Tsangaris hat sich des Stücks angenommen und lässt die Zuschauer in verschiedenen Gruppen durch Köln wandern, immer hinter einer netten Person her, die ein Schild mit dem Buchstaben der Gruppe vor sich herträgt. Eine Station ist das Museum für angewandte Kunst: Hier sitzen die Zuschauer in einem Ausstellungsraum, blicken auf einen karge Wand mit Fahrstuhl, die oben von einer langen Treppe begrenzt wird. Vor dieser Wand sitzt eine Frau im Militäroverall auf einem Stuhl – Kassandra (Agnes Mann), Kriegsgefangene aus Troja. Agamemnon (Markus John) kommt gerade in Argos an, bereitet sich, wie in drei Videoprojektionen zu sehen ist, auf die Ankunft vor. Aber anstatt eines gloriosen Empfangs muss sich Agamemnon den Fragen eines Reporters stellen, ob es stimme, dass er seine Gefangenen nicht gemäß Genfer Konvention behandele. Der Sender Argos TV überbrückt die Wartezeit auf Agamemnon, indem der Moderator auf ein Spiel hinweist, bei dem der Zuschauer eine Reise auf die griechischen Inseln gewinnen kann, wenn er seinen Tipp abgibt, ob die Sache heute Abend gut oder nicht gut für Agamemnon ausgeht. Klytaimestra (Oda Pretzschner) hält über ihren Fernsehsender eine Ansprache und begrüßt später ihren Gatten eher kühl. Auch dieser ist skeptisch, hat er doch schon festgestellt, dass sich viele Dinge in seiner Abwesenheit verändert haben und er keinen Zugriff mehr auf die Konten hat. Diese Skepsis ist berechtigt: Der bubihafte Aigist (Janning Kahnert), der von der Göttin Artemis im letzten Teil des Abends nicht zu Unrecht mit einem Bankangestellten verglichen wird, wird Agamemnons Leben ebenso wie das von Kassandra mit einer Pistole mit Schalldämpfer beenden.

Video herrscht bei dieser Station vor: Auf die kahle Wand wird an drei Stellen das live gefilmte Material projiziert (vor allem Statements von Klytaimestra, ihrem Gemahl und Aigist, aber auch Aufnahmen des Publikums), Kassandra spricht ihre Monologe auf einem Stuhl sitzend in ein Mikrofon mit kleiner Kamera und die Projektion zeigt sie in einem grobkörnigen Bild. Dazwischen immer wieder Einblendungen von Figurennamen oder assoziativen Begriffen. Ein schöner Moment gelingt Technik und Schauspielern hier: Agamemnon soll über den roten Teppich schreiten, der vor der kahlen Wand ausgerollt wurde, um sich dem Volk zu präsentieren. Nach einem Moment des Zögerns zieht er die Schuhe aus, geht barfuß über den Teppich. Die Liveaufnahmen von dieser Ankunft werden projiziert und überblendet mit Aufnahmen von Kassandras Auge. Abschließend bleibt ein Standbild von Agamemnon und Klytaimestra, wie sie als scheinbar harmonisches Paar gemeinsam staatsmännisch in die Menge winken. Das ist entlarvender als so manch andere platte Assoziation.


Anja Laús, Christian Beermann | © Klaus Lefebvre, www.theaterphotos.de


Die nächste Szene führt in die U-Bahn-Station Dom/Hbf., wo die Zuschauer in einer langen Reihe auf Stühlen an der Wand sitzen und zusammen mit Elektra (Anja Laïs) auf deren lang vermissten Bruder Orest warten. Damit man überhaupt etwas mitbekommt, erhält jeder Zuschauer zu Beginn dieser Station ein Paar Kopfhörer. Und kann sich dann entscheiden, ob er den Schauspielern zusieht, oder doch lieber beobachtet, wie die unbeteiligten Kölner U-Bahn-Fahrer auf den ungewohnten Anblick reagieren. Der Weg zur letzten Station ist von hier aus dann nicht weit: ein kleines Ausstellungsstudio eines Kölner Fotogeschäfts auf der Zwischenebene der U-Bahn-Station. Hat man zuvor von Orest und Elektra erfahren, dass Agamemnon ermordet wurde und nun die Rache an Klytaimestra vollzogen werden soll, tritt die Fortführung der Handlung bei der dritten Station deutlich hinter einer Performance zurück. Eine Frau in einem vogelartigen Kostüm kämpft mit einem Holzflügelgestell, das an Ikarus’ Flug in die Sonne erinnert, und versucht, die Flügel zu bändigen. Die Situation ist sehr hermetisch und lässt sich mehr erahnen, als dass sie sich über den gesprochenen Text erschließt, den man allerdings auch kaum versteht. Erst bei der abschließenden Station im Schauspielhaus erfährt der Zuschauer, dass es sich bei der Frau um eine Erinnye handelt, die Orest nach dem Mord an seiner Mutter jagt und in den Wahnsinn treibt.


Mathias Lodd, Therese Dürrenberger | © Klaus Lefebvre, www.theaterphotos.de
Die Reihenfolge dieser Stationen variiert, je nachdem, welcher Gruppe man beim Einlass im Kölner Schauspiel mithilfe eines farbigen Zettels zugeordnet wurde. Der Abschluss findet aber für alle im eigentümlichen Götterhimmel statt, der auf der Bühne des Schauspielhauses aufgebaut wurde – zusammen mit Tribünen für die Zuschauer. Hier kommen noch einmal alle Beteiligten unter den Argusaugen der Götter Artemis (Therese Dürrenberger), Athene (Anja Herden) und Apollon (Mathias Lodd) auf die Bühne, um zu klären, ob Orest sterben soll oder nicht. Mit von der Partie ist auch Hermes, der an einem gespaltenen Ich leidet und daher gleich dreifach auftritt und den Chor mimt.

Leider ist „Botenstoffe.Orestie“ äußert unausgegoren geraten: eine Mischung aus narrativen und performativen Elementen, ein bisschen Aktualität, ein bisschen Medienkritik, ein bisschen Kritik an Guantanamo, ungewohnte Zuschauersituationen, philosophische Diskussionen über die Freiheit des Menschen und über die Macht des Verzeihens, dazu im letzten Bild allerlei Schnickschnack wie hin und her sausende Scheinwerfer und eine Art „Geräuschkugel“, die losgelassen wird und über dem Publikum hin- und her schwingt. Die Götter präsentieren sich am Ende in lustigen Kostümen mit für sie typischen Attributen wie Helm bei Athene und einer Vielzahl von Brüsten bei Artemis, während die Menschen mit Einschusslöchern in der Kleidung zombiegleich über die Bühne torkeln. Das ist alles nichts Halbes und nichts Ganzes und die Geschichte gerät dabei ins Hintertreffen. Ihre wichtigsten Eckdaten werden im Schweinsgalopp erzählt, ohne dass jemand, der die Handlung nicht kennt, wirklich eine Chance hat, ihr zu folgen. Gefallen werden an dem Abend nur diejenigen finden, die gerne Theater an ungewöhnlichen Räumen sehen, aber das allein macht noch keinen gelungenen Theaterabend.


Karoline Bendig - red / 16. Mai 2007
ID 3222
Manos Tsangaris
Botenstoffe.Orestie (UA)

Text / Komposition / Inszenierung: Manos Tsangaris
Kokomposition: Simon Stockhausen
Szenographie: Martin Kammann / Manos Tsangaris
Kostüme: Mareile Krettek
Video: Peer Engelbracht
Dramaturgie: Alexandra Althoff
Licht: Jürgen Kapitein
Mit: Markus John (Agamemnon), Oda Pretzschner (Klytaimestra), Janning Kahnert (Aigist), Agnes Mann (Kassandra), Christian Beermann (Orest), Anja Laïs (Elektra), Katharina Hagopian (Iphigenie), Kate Strong (Tisiphone), Mathias Lodd (Apollon), Anja Herden (Athene), Therese Dürrenberger (Artemis), Ralf Harster (Hermes A), Dirk Müller (Hermes B), Oliver Nitsche (Hermes C)

Premiere am 27. April 2007, weitere Termine am: 18., 21., 22.05.2007

Weitere Infos siehe auch: http://www.buehnenkoeln.de/buehnenlite/schauspiellite/index.htm





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