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Oper Hannover, 17. November 2007

Peter Grimes

von Benjamin Britten


(C) Foto: Thomas M. Jauk - Stargarder Str.10 - 10437 Berlin

Die Sache mit der „Box“ hat Regisseur Barrie Kosky für seine Inszenierung von Benjamin Brittens „Peter Grimes“ sehr wörtlich genommen. „Will you step into the box“ wird der Fischer Peter Grimes zu Beginn aufgefordert. Er soll Rechenschaft ablegen über den Tod seines Lehrjungen. Es ist die Frage zu klären, ob er dafür verantwortlich ist. Ein eindeutiges Urteil wird nicht gesprochen, und so bleibt der Verdacht wie ein Makel an Grimes haften. Als wenig später erneut ein Lehrjunge von ihm ums Leben kommt, vermag auch Ellen Oxford, die Grimes als eine der wenigen in der Dorfgemeinschaft in Schutz genommen und ihm ihre Hilfe angeboten hatte, nicht mehr an seine Unschuld zu glauben.


(C) Foto: Thomas M. Jauk - Stargarder Str.10 - 10437 Berlin


Kisten, engl. Boxes, sind auch das beherrschende Bühnenelement, mal nebeneinander auf der gesamten Bühnenfläche aufgebaut, mal übereinandergestapelt zu einer portalhohen Wand oder zu einem Kubus zusammengestellt. Barrie Kosky hat ein gutes Gespür dafür, welche Bühnensituation er braucht. In der Kneipe beispielsweise stehen die Kisten sehr weit vorne und verkleinern so den Raum zur Rampe, in dem sich der Chor und alle Protagonisten knubbeln. Kurz zuvor hatte Robert Künzli als Peter Grimes eine Holzkiste nach der anderen auf die Bühne geschleppt und neben zahlreiche andere Kisten gestellt, die zusammen eine große Fläche ergaben, auf der die restlichen Dorfbewohner standen und ihm bei seiner Arbeit zuschaut haben, ohne ihm zu helfen.


(C) Foto: Thomas M. Jauk - Stargarder Str.10 - 10437 Berlin


Der spannende Aspekt an Koskys Lesart ist, dass Peter Grimes ein echter Unsympath ist. Er ist ein Eigenbrötler, behandelt die Menschen in seiner Umgebung unfreundlich, ist unwirsch und aufbrausend. Es bleibt offen, ob er seine Lehrjungen tatsächlich misshandelt und missbraucht oder ob das nur üble Nachrede ist – im Rahmen des Möglichen ist es durchaus und jeder Zuschauer muss sich seine eigene Meinung bilden.
Eine Schwäche eher des Stücks als der Inszenierung ist, dass die Figuren nicht deutlich charakterisiert werden, die Motive für ihr Handeln bleiben oft unklar. Dadurch entstehen einige Situationen gewissermaßen aus dem Nichts heraus. Ellen Oxford, die an Grimes glaubt, wird beispielsweise von der Dorfgemeinschaft übel angegangen und beschimpft, als sie sagt, dass sie an Grimes’ zweitem Lehrjungen Misshandlungen bemerkt habe. Der Grund für ein dermaßen aggressives Verhalten der Dorfbewohner Ellen Oxford gegenüber bleibt dabei im Dunkeln. Kosky macht aus der Not eine Tugend und lässt immer wieder Statisten auftreten, die z.B. eine Puppe, die Grimes darstellen soll, treten und bepinkeln. Am ehesten ist das vielleicht noch zu vergleichen mit herumlungernden Jungendlichen, die willkürlich jemanden zusammenschlagen, sei es aus Übermut, Spaß oder purer Langeweile. Aggression, die eigentlich nicht einer speziellen Person gilt, sich aber in einer geeigneten Situation entlädt. So umgeht Kosky die ein oder andere Länge des Stückes. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Brittens „Peter Grimes“ an manchen Stellen merkwürdig spannungslos ist, obwohl das Thema sehr viel hergeben würde.
Kosky stellt seine Inszenierung in den Dienst der Handlung, er findet wunderbare Momente, etwa wenn die Kisten zu einem Kubus zusammengestellt mit einer unglaublichen Leichtigkeit über die Bühne gleiten. Zwei Menschen liegen auf dem Kubus und lassen Seifenblasen in die Luft steigen, ein gutes Pendant zur beinahe sphärischen Musik aus dem Orchestergraben. Diese Szene erinnert übrigens an eine zentrale Szene aus Koskys Inszenierung von Brittens „Sommernachtstraum“ in Bremen, in der die Feenkönigin Titania sich zur Ruhe bettet (wie überhaupt die beiden Werke auch musikalisch einige Ähnlichkeiten aufweisen). Gelungen auch der Moment, wenn die drei Frauen Ellen, Auntie und Niece zum Ende des ersten Teils jede für sich auf der leeren Bühne umherwandern und ihren Klagegesang über die Taten der Männer anstimmen. Kosky zeigt sich hier als ein Meister darin, eine dichte und stimmige Atmosphäre zu schaffen.

Das Ende, wenn Peter Grimes in eine Holzkiste steigt, um im Meer unterzugehen, ist ein wunderbarer Theatermoment voller Kraft der Behauptung, der anschließend umso herber, aber eben handwerklich außerordentlich gekonnt, enttäuscht wird. Allein dieser Moment lohnt den Besuch der Aufführung, die nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch beeindruckt. Hannovers GMD Wolfgang Bozic entfesselt mit dem niedersächsischen Staatsorchester fulminante Naturgewalten, beherrscht aber auch die leisen Töne, der Chor zeigt sich sehr gut disponiert und die Solisten, allen voran natürlich Robert Künzli als Peter Grimes, überzeugen stimmlich und darstellerisch.


Karoline Bendig - red / 24. November 2007
ID 3572
Benjamin Britten
Peter Grimes

Opera in Three Acts and a Prologue (1945)
Libretto von Montagu Slater nach der Verserzählung „The Borough“ (1810) von George Crabbe
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Wolfgang Bozic
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Florian Parbs
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Chor: Dan Ratiu
Dramaturgie: Ulrich Lenz

Peter Grimes: Robert Künzli
Ellen Oxford: Kelly God
Captain Balstrode: Brian Davis
Auntie: Claire Powell
Niece 1: Hinako Yoshikawa
Niece 2: Karen Frankenstein
Bob Boles: Jörn Eichler
Swallow: Tobias Schabel
Mrs. Sedley: Xenia Maria Mann
Reverend Horace Adams: Hans Sojer
Ned Keene: Stefan Zenkl
Hobson: Shavleg Armasi

Premiere am 20. September 2007, weitere Termine am 25.11., 07. und 18.12.2007

Weitere Infos siehe auch: http://www.hannover.de/staatsoperhannover/data/theasoft/Spielplan/8169.html





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