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Medienkultur

Fake und

Wahrheit


Zum Beispiel: Nordkorea im Spiegel des SPIEGEL




Am 31. Mai 2019 deckte SPIEGEL ONLINE einen Skandal auf. Die Bloggerin Marie Sophie Hingst hatte 2017 auf ZEIT ONLINE unter Pseudonym einen Beitrag über eine „angebliche Aufklärungs-Sprechstunde mit Geflüchteten in einer deutschen Kleinstadt“ veröffentlicht. Dieser Beitrag hat sich, wie SPIEGEL ONLINE herausgefunden hat, nun als Fälschung und die Autorin als auch anderweitig aktive Hochstaplerin entpuppt. SPIEGEL ONLINE hat ZEIT ONLINE umgehend auf die Ergebnisse seiner Recherchen hingewiesen. Seit dem „Fall Relotius“ ist die Jagd nach Fälschungen zu einem Mediensport geworden. Man fragt nicht danach, was im Fake steht, ob damit jemandem geschadet wurde, ob es unsittlich oder gar kriminell ist. Es geht nicht um die Wahrheit, sondern darum, die Konkurrenz anzupatzen. ZEIT ONLINE hat postwendend reagiert und sich in einer ausführlichen Demutsepistel bei den Lesern entschuldigt.

Der Inhalt des inkriminierten Beitrags ist durchweg vernünftig und übrigens gut formuliert. Nichts daran ist anstößig. Was er beschreibt, ist, wenn nicht wahr, so gut erfunden und könnte durchaus als Anregung dienen. Der Bußgang der Chefredaktion von ZEIT ONLINE sieht nicht nach moralischer Besinnung, sondern eher nach dem Ergebnis einer Erpressung aus.

Am selben 31. Mai 2019, an dem der verwerfliche Betrug an den Tag kam, konnte SPIEGEL ONLINE eine zweite Sensation vermelden:


"Nach dem ergebnislosen Treffen von US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un hat Pjöngjang einem südkoreanischen Zeitungsbericht zufolge seinen Sondergesandten für die USA hingerichtet. Kim Hyok Chol sei nach seiner Rückkehr im März am Mirim-Flughafen bei Pjöngjang erschossen worden, berichtet das Blatt 'Chosun Ilbo' unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen. Kim Hyok Chol hatte zusammen mit dem US-Gesandten Stephen Biegun den Gipfel in Hanoi vorbereitet.

Neben Kim Hyok Chol seien vier weitere hochrangige Mitarbeiter des nordkoreanischen Außenministeriums nach einer 'Untersuchung' exekutiert worden. Nach Angaben der Zeitung wurde zudem die Übersetzerin des nordkoreanischen Machthabers, Shin Hye Yong, nach dem Gipfel in ein Gefangenenlager geschickt. Sie habe einen neues Angebot Kims kurz vor dem Abbruch der Gespräche mit Trump nicht übersetzt.

Auch der hochrangige Vertreter der kommunistischen Partei Nordkoreas, Kim Yong Chol, wurde der Zeitung zufolge in einem Arbeitslager eingesperrt. Er hatte als Gesandter in den Atomgesprächen mit US-Außenminister Mike Pompeo verhandelt."



In der Washington Post konnte man am selben Tag zum gleichen Thema unter anderem lesen:


"Ein Bericht in einer in Seoul beheimateten Zeitung behauptete am Freitag, dass Nordkorea seinen Chefunterhändler in nuklearen Angelegenheiten, Kim Hyok Chol, kurz nach dem Misserfolg bei den Gesprächen mit den Vereinigten Staaten in Hanoi hingerichtet habe.

Amtsträger und Diplomaten aus den Vereinigten Staaten bis nach Asien, von denen viele nicht autorisiert waren, ihre Namen zu nennen, sagten jedoch, dass sie keine Kenntnis von der Geschichte hätten, oder mahnten zur Vorsicht und äußerten sogar geradeheraus Skepsis darüber.

Beobachter von Nordkorea waren schon früher hier. Es gibt keinen Zweifel, dass Nordkorea bereit wäre, einen Amtsträger hinzurichten, der als jemand wahrgenommen wurde, der seinen Vorsitzenden im Stich gelassen hat. 2013 hat der südkoreanische Geheimdienst als erster von der Hinrichtung von Kim Jong Uns Onkel, Jang Song Thaek, berichtet, der aus der Führungsriege gesäubert worden war. Nachfolgende Medienberichte – von denen man jetzt annimmt, dass sie falsch waren – sagten, er sei getötet worden, indem man ihn an eine Meute wilder Hunde verfüttert habe.

Es ist Teil einer befleckten Erfolgsgeschichte von südkoreanischen Medien bei Berichten über Säuberungen und vom Staat befohlenen Morden im öffentlichkeitsscheuen Norden.

Die Zeitung Chosun Ilbo – die auch die Exklusivmeldung vom Freitag verbreitet hatte – berichtete 2013, dass Hyon Song Wol, eine nordkoreanische Künstlerin, die sie als Kim Jong Uns 'Ex-Freundin' beschrieb, öffentlich hingerichtet worden sei unter der Anschuldigung, dass sie und andere Künstler pornographische Videos verkauft hätten. Zumindest ein Teil dieser Geschichte erwies sich später als auffällig unwahr: Hyon machte im Januar 2018, sehr lebendig, einen zweitägigen Besuch in Seoul.

Weder die südkoreanische Regierung, noch die US-Regierung haben den Bericht über Kim Hyok Chol öffentlich bestätigt. Außenminister Mike Pompeo, am Freitag nach dem Bericht befragt, sagte nur, dass die Verwaltung ihn gesehen habe.

'Wir tun unser Bestes, das zu überprüfen', sagte Pompeo während einer Reise durch Deutschland. 'Ich kann dem heute nichts anderes hinzufügen.'

Ein westlicher Diplomat, der unter der Bedingung der Anonymität sprach, da er nicht autorisiert war, offiziell zu sprechen, sagte, er sei 'sehr skeptisch'. US-Amtsträger sagten, dass die Verwaltung nichts von Kim Hyok Chols Hinrichtung gehört hätte, bevor die Geschichte bekannt wurde, und dass sie nicht in der Lage gewesen sei, sie am Freitag zu bestätigen."



Auch die BBC mahnt zur Vorsicht:


"Aber es gibt einen Grund, warum wir Berichte über die Hinrichtung von nordkoreanischen Amtsträgern mit extremer Vorsicht behandeln. Die Behauptungen lassen sich unglaublich schwer verifizieren, und sie sind sehr oft falsch.

Sowohl die südkoreanischen Medien, wie auch die Regierung in Seoul haben in der Vergangenheit von Säuberungen berichtet – und die 'hingerichteten' Amtsträger sind wenige Wochen später lebendig und wohlauf neben dem nordkoreanischen Vorsitzenden Kim Jong Un aufgetaucht."



Nichts von diesen Bedenken war auf SPIEGEL ONLINE zu lesen. Dem um Tatsachen besorgten Medium reicht der knappe Einschub „einem südkoreanischen Zeitungsbericht zufolge“. Die Skepsis überlässt es seinen Lesern. Hoffentlich fruchtet das – nicht nur, wenn es um Aufklärungs-Sprechstunden auf ZEIT ONLINE geht. Ein schwacher Trost, dass der Bericht, der sich lediglich auf Behauptungen einer einzigen ungenannten Person stützt, nicht nur von SPIEGEL ONLINE, sondern auch von The New York Times, Reuters, The Wall Street Journal, The Hill, The Daily Beast, Fox News, CNBC, TIME, ABC News, The Financial Times, The Telegraph, VICE, Rolling Stone, The Independent, The Washington Times, The New York Post, HuffPost, France 24, The Japan Times, Haaretz, The Times of Israel, Democracy Now, Radio Free Europe / Radio Liberty und vielen mehr, darunter zahlreichen deutschsprachigen Medien, verbreitet wurde.

Dass die Meldung aus Korea schwammig und unseriös war, konnte jeder halbwegs aufmerksame Leser sofort erkennen, der sich noch Zeit für den vom Nachrichtenmagazin zum Klatschblatt gewandelten SPIEGEL nimmt. Es gibt hinreichend Gründe, den Medien im allgemeinen und dem SPIEGEL im Besonderen zu misstrauen. Und es gibt Fälschungen mit großer und mit geringer Relevanz. Es muss nicht einmal eine bewusste Fälschung sein. Meist reicht es, wenn man als Tatsache behauptet, was allenfalls ein Verdacht oder ein Gerücht ist. Helmut Markwort hat für seinen SPIEGEL-Rivalen Focus mit dem Slogan „Fakten, Fakten, Fakten“ geworben. Man sollte sich nicht täuschen lassen. Man lügt nicht, sondern man tut, als wüsste man, wo man lediglich vermutet. Dafür gibt es das schöne Wort „Halbwahrheit“. Im Fall von Kim Hyok Chol war sie nicht einmal halb. Und es hängt mehr davon ab als von den Phantasmagorien der Marie Sophie Hingst. Mit Lügen dieses Kalibers sind schon Kriege ausgelöst worden.

Am 3. Juni berichtete die Washington Post:


"Ein hochrangiger nordkoreanischer Amtsträger, der als wegen des gescheiterten Atomgipfels mit Washington gesäubert gemeldet worden war, wurde am Montag in den Staatsmedien gezeigt, wie er in der Nähe des Vorsitzenden Kim Jong Un ein Konzert genoss.

Nordkoreanische Druckschriften zeigten am Montag Kim Yong Chol fünf Sitze vom klatschenden Kim Yong Un entfernt in der selben Reihe mit anderen Spitzenamtsträgern während eines Konzerts von Frauen von Offizieren der Koreanischen Volksarmee."



Auch die Süddeutsche Zeitung besann sich am 3. Juni:


"Der keineswegs Nordkorea-freundliche Informationsdienst NKNews, der von Überläufern aufgebaut wurde, ermahnte die Medien am Montag, sorgfältiger über Nordkorea zu berichten. Gewiss sei die Bestätigung von Meldungen extrem schwierig, aber es gäbe durchaus Wege, wenigstens ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Etwa, indem man sie mit den Berichten des südkoreanischen Geheimdienstes (NIS) abgleicht, die öffentlich gemacht werden. (...) Ratsam sei auch ein Blick in Nordkoreas Staatsmedien. NKNews schließt nicht aus, dass es zu Bestrafungen, vielleicht sogar zu Hinrichtungen gekommen sei, wie Chosun Ilbo behauptet. Aber bisher gebe es dafür keine Hinweise. Südkoreas Nachrichtenagentur Yonhap ignorierte den Bericht deshalb. Und das Blaue Haus, der Sitz des südkoreanischen Präsidenten, mahnte schon am Freitag zur  Vorsicht."


Auf SPIEGEL ONLINE war nichts davon zu lesen. Offenbar war man zu sehr mit den Versäumnissen von ZEIT ONLINE beschäftigt, um sich um die eigene Berichterstattung zu kümmern. Andere Medien, die die Meldung von Chosun Ilbo ohne Bedenken verbreitet hatten, haben es nun eilig, wortreich zu erklären, wieso, was nicht war, doch hätte sein können. Der Standard aus Österreich titelt: Angeblich verbannter Funktionär Nordkoreas zu Konzert mit Kim verdonnert. Wenn er schon nicht zur Zwangsarbeit verurteilt worden ist, dann muss er wenigstens zum Konzert „verdonnert“ worden sein. Man kennt sie ja, diese Burschen. Ohne Nötigung geht bei denen nichts ab, nicht einmal ein Konzertbesuch. Man ist nachsichtig mit den eigenen Verfehlungen. Auf der Strecke bleibt die Glaubwürdigkeit der Medien.

Am 4. Juni meldete CNN:


"Der nordkoreanische Diplomat, von dem Südkoreas größte Zeitung gesagt hatte, er sei durch ein Exekutionskommando hingerichtet worden, ist nach der Aussage von Mehreren, die mit der Situation vertraut sind, lebendig und in Staatsgewahrsam.

Nordkoreas Sondergesandter in den Vereinigten Staaten, Kim Hyok Chol, wird wegen seiner Rolle bei dem gescheiterten Hanoi-Gipel verhört, das zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Donald Trump und dem nordkoreanischen Vorsitzenden Kim Jong Un im Februar stattgefunden hat, sagten die Quellen."



Doch damit hat sich die Geschichte nicht erledigt. Am 9. Juni legte YouTube nach:


"Kim Jong Un hat einen seiner Generäle hingerichtet, indem er ihn nach Berichten in ein mit Piranhas gefülltes Fischbecken geworfen hat. Der nordkoreanische Despot benützte das Becken, das speziell als neue Methode der Hinrichtung gebaut wurde, angeblich in seinem Präsidentenpalast in Pjöngjang. (…) Andere Hinrichtungsmethoden, die um Pjöngjangs Residenz kursieren, schließen das Verfüttern von Opfern an Tiger, Köpfen, Verbrennung von lebenden Opfern und sogar die Sprengung mit einer Panzerabwehrkanone ein. Die Nachricht über seine jüngste vermutliche Hinrichtung kommt Tage nachdem Kim angeblich den Tod von fünf Beratern angeordnet hat. Kims blutige Rache an seinem Verhandlungsteam beim Vietnam-Gipfel wurde von der südkoreanischen Zeitung Chosun Ilbo enthüllt. Der rundliche Tyrann soll einem Erschießungskommando befohlen haben, Kim Hyok Chol und vier seiner Untergebenen unter der Behauptung, sie hätten Informationen an die Amerikaner verkauft, zu töten."


Am 16. Juli berichteten der in London erscheinende Telegraph und andere Medien:


"Nachrichten über den Tod von Kim Hyok Chol durch ein Erschießungskommando als Teil einer Säuberung an der Spitze der nordkoreanischen Amtsträger wurden zuerst in Südkoreas Zeitung Chosun Ilbo Ende Mai verbreitet und haben Schlagzeilen in der ganzen Welt hervorgebracht.

Der Nationale Geheimdienst hat dieser Darstellung jedoch am Dienstag widersprochen und einem Treffen von Parlamentariern hinter geschlossenen Türen mitgeteilt, dass Berichte über seinen Tod stark übertrieben seien.


(…)

Im Juni suggerierte ein Bericht auf CNN, dass Kim Hyok Chol in staatlichem Gewahrsam sei und gegen ihn, zusammen mit dem Chefübersetzer Sin Hye Yong, wegen seiner Rolle im Gipfel ermittelt werde.

Frühere Nachrichten über seine angebliche Hinrichtung beleuchteten die Schwierigkeiten bei der Nachprüfung von Fakten aus dem Einsiedlerkönigreich und können jetzt zu einer wachsenden Liste von hochrangigen Amtsträgern hinzugefügt werden, von denen man glaubte, sie seien hingerichtet worden, nur damit sie von den Toten zurückkehren konnten."



Damit wir uns nicht missverstehen: Sie sind keine Lämmchen, die Machthaber in Nordkorea. Aber wer soll die Nachrichten über ihre Missetaten noch für wahr halten, wenn die Söldner online und im Druck unaufhaltsam schreien: „Ein Wolf! Ein Wolf!“

Thomas Rothschild - 22. Juli 2019
ID 11578

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