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Konzertbericht

Ohren staunen

10-jähriges Jubiläum der Konzertreihe Something Noise im Sudhaus

14. Dezember 2002



Im Hintergrund eine Geräuschkulisse, die wir gewohnt sind - aber nicht von Konzerten. Es könnte das Rauschen des Meeres, des Computers, oder Lärm von der Baustelle sein. Man spitzt die Ohren, und stellt sich vor, im Kosmos zu sein. Es beept, es dooingt, es rrummst - und trotzdem harmoniert es, um wieder in etwas auszubrechen, was sonst als Krach bezeichnet wird. Harmonie ist allerdings das falsche Wort, denn gerade aus diesen Konventionen wollen die Noise-Musiker ausbrechen. “Space is a place” flüstert Koho Mori ins Mikro. Dann zupft er an einem Draht, den er um seine Hüfte gewickelt und quer durch den Raum an einem Pfeiler befestigt hat. Auf der E-Geige fiedelt Achim Braun ein dumpfes Vummern, laut, dann lauter. Die Stimmen von Ulrike Helmholz und Lauren Newton lassen die Ohren aufhorchen, ein mystischer Sing-Sang, dann Sprechen, Lachen, Tiergeräusche, wie aus dem Urwald. Irgendwoher tönt eine Mundharmonika, doch sie ist in der Band nicht zu erblicken. Dem Zuhörer staunen die Ohren, während die Augen nach dem Instrument suchen, welches das Geräusch macht. Ist es vielleicht Björn Eichstädt am Plattenteller? Und so hörte das Konzertsymposium der neun Noise-Musiker aus Tübingen und Reutlingen auf. Schade. Sie hatten sich warmgespielt, nein, sie schwitzten, Koho Mori riss sich das T-Shirt vom Leib, und wollte sich gerade die Stahldrähte um die Hüfte wickeln. Aber es ist spät und die Musiker wollen aufhören. Noch am Anfang des Konzerts hatte Mori erklärt, dass er normalerweise halbnackt musiziere, und wenn er sich bewegt, schneiden die Stahldrähte in die Haut, bis es blutet, aber heute abend wäre es dafür zu kalt.

Something Noise, das ist die Konzertreihe, die sein 10-jähriges Bestehen an diesem Abend feiert. Was ist Noise? Geräusche, schräge Töne. Ebenso spontan wie natureigene und urprüngliche Geräusche ist die Philosophie der Geräusch-Musiker: Noise wird frei improvisiert. Das heißt, von einem Moment zu einem anderem klingt es anders. Und jeder Gegenstand, der Geräusche erzeugen kann, wird als Instrument betrachtet. Was dem Dadaismus der Literatur oder der Kunst, das ist Noise der Musik.

Zum Ursprung des Namens “Something Noise” erzählten die Musiker eine Anekdote: Es war Sylvester und sie wünschten sich „Guats Neus“ (Frohes Neues Jahr), oder “Ebbs Neus” = was Neues auf Schwäbisch, und es war Rick Newton, der im Vorbeischlendern es direkt ins Englische übersetzte zu Something Noise.

Manche können sich vielleicht an Yoko Ono’s schrägen, fast schafähnlichen Gesang zu den harmonischen Tönen von John Lennon erinnern. Wer es verpasst hat, kennt vielleicht den mit an bekanntesten Improvisationsmusikern John Cage. Zu Hippiezeiten entwickelte sich die Improvisations-Musik zu einem eigenem Genre. Als dann Anfang 80er der Punk abging, fuhren Pit Schmidt, Koho Mori und Ulrike Helmholz (Mitbegründer vom Sudhaus) kreuz und quer durch die Republik, um die Improvisations-Musiker live zu hören. Bis sie schliesslich die Idee hatten, sie nach Tübingen ins Sudhaus einzuladen, und damit die Konzertreihe Something Noise begründeten. Ralf Meinz kam dann 1996 dazu. Elliot Sharp, Marc Ribot, Roger Turner - um nur einige zu nennen - machten das Sudhaus in der Provinz die Ehre. Stars, die diese Musik-Szene in Tübingen mitgeprägt haben.

Jede und jeder der neun Musiker aus Tübingen und Reutlingen erzählten zu Beginn, wie sie auf Noise-Musik gekommen sind, und welches Instrument, welches verfremdetes Instrument - beziehungsweise Geräusch - sie spielen. Und alle neun gaben ein Soli. Lauren Newton hatte nach dem Studium von Gesang immer einen anderen Weg gesucht, sie wollte singen ohne Noten - sie brauchte mehr Freiheit, und fühlte sich nicht aufgehoben in der klassischen Musik. In verschiedenen Chören und Bands entwickelte sie vor Publikum eine eigene Sprache. Friedemann Dähn demonstrierte, welche schrille Töne er auf seinem elektrischen Cello hervorbringen kann. Er fiedelte ganz unten am Stachel des E-Cellos – über Rückkopplungen klang, als ob ein Flugzeug älteren Models rumorte. Dann richtete er sich auf und lockte aus dem Instrument Geräusche, als kratze jemand auf Plastikfolien.

Pit Schmidt holte sein Saxophon hervor und spielte im Duo mit seiner Loop-Maschine Töne, die kreisende Möwen assozieren liessen. Töne, die immer wieder zurückkamen in unregelmässigen Abständen. Der Sound und die Loops klangen am Ende nach einem ganzem Sax-Orchester. Faszinierend.

Lauren Newton - Stimme / Foto s.t.


Ulrike Helmholz - Stimme / Foto s.t.

Thomas Maos - E-Gitarre / Foto s.t.


Ralf Meinz - Drum, Samples / Foto s.t.

Koho Mori - E-Drähte, Wandbehänge / Foto s.t.

Koho Mori und Achim Braun - E-Geige / Foto s.t.

s.t. - red / 18. dezember 2002

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