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Feuilleton

Unvergessene Weihnachten, Band 1

Erinnerungen an gute und an schlechte Jahre. 1918-1959
Zeitgut Verlag, Berlin.
ISBN: 3-933336-73-2, EURO 4,90


Als Einstimmung auf Weihnachten nutzen wir ein Angebot des Zeitgut Verlags zum kostenlosen Abdruck von Geschichten über "Weihnachten früher". Diese Geschichten sind wichtige Zeitzeugentexte, die den später Geborenen einen Eindruck von der Kinder- und Jugendzeit ihrer Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern vermitteln können.

Wir übernehmen nachstehend zwei Geschichten und empfehlen die preiswerten Bücher des Zeitgut Verlags als kleine Weihnachtsgeschenke.

Viel Freude, Nachdenklichkeit oder Rückerinnerung beim Lesen wünscht

Armgard Dohmel
Redaktion "kultura-extra"

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[Berlin-Reinickendorf;1943]


Hildegard Brandt

Retter in der Not

Auf Weihnachten freuten wir sechs Geschwister uns immer ganz besonders. Große Gaben hatten wir nicht zu erwarten, aber es gab immer einen Weihnachtsbaum, einen bunten Teller, etwas Praktisches und ein unerwartetes kleines Geschenk. Meine kleineren Schwestern träumten stets von allerlei schönen Dingen, die, obwohl wir schon im vierten Kriegsjahr waren, noch in den Spielwaren-Geschäften ausgestellt wurden. Diesmal hatten sie niedliche Püppchen gesehen, die ihnen der Weihnachtsmann bringen sollte.
Da das Geld immer sehr knapp war, kaufte meine Mutter oft schon im Herbst einige Kleinigkeiten für den Weihnachtstisch. Sie fing auch früh an, Nüsse, Marzipan und andere Süßigkeiten für den bunten Teller zu sammeln.
Eines Tages stellte Schwester Edith fest, daß die mittlere Schublade der großen Kommode verschlossen war. Nun ging die Raterei los, jede wüßte zu gerne, was da wohl schon versteckt sei. Ich war damals elf Jahre alt und nicht weniger neugierig als die Kleinen. Als meine Eltern einmal nicht zu Hause waren, überlegten wir, ob man nicht die obere nicht verschlossene Lade herausziehen könnte, um einen Blick in die untere zu werfen. Es war schwierig, das klobige Ding überhaupt zu bewegen. Schließlich gelang es uns, den Kasten auf den Fußboden zu bugsieren. Und nun konnte man sogar in die andere hineinfassen!
Große Freude bei uns allen, denn darin lagen vier Püppchen, wie sie sich meine Schwestern wünschten. Jede hatte ein andersfarbiges Kleid an. Trudchen, Erika, Elfriede und Mohrchen entschieden sich gleich für eine bestimmte Farbe. Sie wurden gedrückt und geknutscht und keine wollte das Püppchen wieder hergeben. Aber das ging ja nicht, die Zeit verstrich, und wir mußten ja die alte Ordnung wiederherstellen. Das war jedoch leichter gedacht als getan. Der schreckliche Kasten war so schwer, daß er sich kaum bewegen ließ. Und nun klingelte es auch noch!
Vor der Tür stand unser Nachbar, der bei uns in der Residenzstraße das wichtige Amt eines Blockwartes bekleidete. So richtig leise war es bei uns sehr selten, aber diesmal mußten wir wohl übertrieben haben, daß es den Ordnungshüter auf den Plan brachte. Er kannte alles und jeden im Haus, außergewöhnliche Dinge blieben ihm nicht verborgen. Mit den Worten: „Ist was passiert?“, schritt er schnurstracks ins Zimmer – und übersah die schwierige Situation sofort.
Ohne auf unsere Erklärungsversuche einzugehen, wuchtete er die Schublade in die Höhe und schob sie wieder in die Kommode! Wir hätten ihm jetzt vor lauter Dankbarkeit alles versprochen, mußten ihn aber doch inständig bitten, unseren Eltern nichts zu verraten. Wir haben nie erfahren, ob er dichtgehalten hat – rausgekommen ist letzten Endes doch alles.
Endlich war Weihnachten. Das Wohnzimmer, meistens etwas kühl, war am Heiligen Abend gut geheizt, der Baum wunderschön geschmückt. Kugeln und Lametta wurden von Jahr zu Jahr aufgehoben, und aus Resten hatten wir sogar Kerzen gegossen. Nach der Bescherung saß jedes Kind auf dem ihm zugewiesenen Platz am Tisch, als sich plötzlich ein fürchterliches Geschrei erhob. Die Kleinen zankten und schrien: „Ich will rosa!“, „Ich will grün!“ und gerieten sich fast in die Haare.
Unsere Eltern guckten erst etwas verstört, behielten zum Glück aber die Nerven und schlugen dann vor, sie sollten doch die Puppen tauschen.
Nun kehrte Frieden ein, Weihnachtslieder wurden gesungen, Gedichte aufgesagt und schon von den Köstlichkeiten des bunten Tellers genascht.
Als ich meine Mutter viel später einmal fragte, wieso sie bei dem Durcheinander Weihnachten nicht ausgerastet sei, meinte sie, längst hätte sie bemerkt, daß etwas im Busche gewesen war. Wir Kinder hätten uns damals ein paar Tage bemüht, freundlich miteinander umzugehen und auch artig zu sein. Der Clou war dann, dass sie beim Einteilen der Süßigkeiten für die Bunten Teller bemerkte hätte, daß von einem Marzipan-Schweinchen der Kopf abgebissen war.



Flüchtlingslager „Finnenhäuser“
zwischen Hüpede und Bennigsen bei Hannover;
1949


Klaus Seiler

Die Schüssel auf dem Schrank

Pfefferkuchen-Backzeit. Der Pfefferkuchen mußte ja rechtzeitig gebacken werden, damit die harten Plätzchen zu Weihnachten weich waren und ihr volles wunderbares Aroma entfalteten. Diese unvergleichlichen Pfefferkuchen meiner Mutter! Warum bloß hat sie das Rezept nie herausgerückt?
Sie hat es einfach mitgenommen. Manchmal denke ich, es gab gar kein geschriebenes Rezept, sie hatte es in den Händen –und es stimmte immer!
Der braune Teig war Knetarbeit: eine Mischung aus Mehl, Kunsthonig, erhitztem Sirup und anderen Zutaten und vor allem aus „Haima-Neunerlei“, der geheimnisvollen Gewürzmischung aus dem silbrigen Tütchen. Es lag ein betörender Duft im Raum, wenn meine Mutter den Teig zubereitete.
Der Teig wurde lange gewalkt, geknetet und zur Kugel geformt, bis schließlich für ihn eine Zeit des Ausruhens kam. In eine Blechschüssel gelegt, mit einem karierten Tuch bedeckt, in sicherem Abstand auf den Schrank gestellt. Da konnte er in Ruhe gehen.
Normalerweise jedenfalls. Nicht jedoch in dem einen Jahr. Es war wieder ein Junge zum Spielen gekommen. Meine Schwester weiß noch seinen Namen: Armin. Abgelenktes, halbherziges Spielen der Kinder in dieser Pfefferkuchen-Luft. Die Gewürze in der Nase, die Blicke immer wieder auf den Tisch gerichtet, auf dem das Mehl zum Ausrollen des Teigs schon ausgestreut war, die leicht verbogenen, genieteten Pfefferkuchenformen zum Greifen nah.
Nach der Ruhezeit für den Teig konnte endlich das Ausstechen beginnen. Tannenbäumchen, Engel, Herzen, Pilze, Karos ... Mein Vater verstand es außerdem, mit dem Messer breitbeinige Weihnachtsmänner auszuschneiden und ihren Mantel mit Walnußknöpfen und das Gesicht mit Haselnußaugen zu verzieren. Sie überstanden jedoch nur in seltenen Fällen die Backhitze, kamen meistens ziemlich arm- und beinverletzt aus dem Ofen. Es paßte in die Zeit.
Meine Mutter langt nach der abgelaufenen Zeit auf den Schrank, zieht das Tuch weg – die Schüssel ist leer!
Armin ist inzwischen verschwunden. Irgendwie unbemerkt. Er muß den Teig regelrecht in sich hineingestopft und verschlungen haben!
Wir haben sein Tun nicht bemerkt. Er muß dazu doch immer wieder aufgestanden, ja auf einen Stuhl gestiegen sein, so klein wie er war. Wir haben es nicht gesehen oder wollten es einfach nicht sehen. Er muß so ausgehungert gewesen sein. Irgend etwas muß uns blind gemacht haben ...
Wie es wohl der Kugel in seinem Bauch ergangen ist?
Sie war doch noch dabei zu gehen ...
Wir jedenfalls brauchten schnell einen neuen Backtag und dringend ein neues Tütchen „Haima-Neunerlei“ ...



Elisabeth Schmack / Klaus Seiler, Zeitgut Verlag
ID 3575


Siehe auch:
http://www.zeitgut.com





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