Frau K ist neugierig
Frau K, mit ihrem Sinn für das Praktische, fragte, wozu das Leben da sei und
was man daraus machen solle. Dieser Gedanke hämmerte von überall auf sie ein,
man mußte unbedingt wissen, was man aus dem Leben machen sollte, und Frau K, die
nicht wie eine Ignorantin dastehen wollte, begann, sich zu erkundigen.
Wozu ist das Leben da, fragte sie, und was soll man daraus machen? Die Reaktionen,
die sie auslöste, verschlugen ihr die Sprache. Tränen, Trauer, Reue, jeder empfand
die Frage als Demütigung. Ja, du hast recht, ich führe das Leben eines Taugenichts,
genauso sinnlos; wie ein Spießer laufe ich allen anderen hinterher, ich gelange nirgendwo
hin und entscheide nichts, weil ich ein Feigling bin, ein fauler Sack, weil ich
es bequem haben will, weil ich es lieber mag, mir keine Fragen stellen zu müssen,
und überhaupt, weil ich nie Glück gehabt habe, niemals, ich wollte es wissen,
aber man hat es mir nicht in den Schoß gelegt, nie hatte ich die Möglichkeit dazu
- solcherart waren die Antworten, zahllos und doch unveränderlich, die Frau
K jammernd an den Kopf geworfen bekam.
Frau K fragte weiter, aber nun dämpfte sie ihr Fragespiel mit rhetorischer Watte.
Jetzt war sie präziser: ich möchte nicht wissen, wozu das Leben da sein noch was
man daraus machen sollte, sondern lediglich wozu es tatsächlich dient und was ihr
jetzt und hier daraus macht. Frau K sah sich derselben Jammerei ausgesetzt.
Soso, dachte Frau K, es ist also dasselbe zu fragen, wozu das Leben da ist und
wozu es da sein soll. Ich weiß zwar immer noch nicht, wozu es da ist - dies habe
ich aber immerhin gelernt.
L.S. 2003 Email: l_s@gmx.net
Übersetzung aus dem Französischen:
Patrick Wilden und C. Chauvin Zum Originaltext: Mme K est curieuse
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