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Rezension

Saskia Noort: Das dunkle Haus

aus dem Niederländischen übersetzt von Annette Wunschel
Rowohlt Verlag
ISBN 3-8052-0798-0


Abortus, Geisteskrankheit, schwere Kindheit und zahlreiche Verdächtige: Ein Debutthriller reizt das Genre aus

Maria ist nicht unbedingt das, was man in manchen Kreisen unter einer konventionellen Frau versteht. Sie ist Soulsängerin in einer Band, die schon viel zu lange darauf wartet, den Durchbruch zu schaffen, Mutter zweier Kinder von unterschiedlichen und „schwierigen“ Vätern und den Ausschweifungen des Lebens ab und zu nicht abgeneigt. Trotzdem ist sie mit Liebe und Kraft bemüht, alles unter einen Hut zu bringen, den Kindern eine gute Mutter zu sein, ihren depressiven Freund Geert zu unterstützen ohne selbst dabei den Mut zu verlieren und nebenbei ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viel Unterstützung von ihrer Umwelt bekommt diese Frau nicht, das wird schon auf den ersten Seiten von Saskia Noorts spannendem Thriller klar. Maria ist eine Frau, der das Leben vielleicht nicht allzu gut mitgespielt hat, oder die halt einfach immer ein bisschen anders als der „Durchschnitt“ war, sich davon aber nicht hat unterkriegen lassen.

Als Maria wieder schwanger wird, ist ihr bewusst, dass sie unmöglich ein weiteres Kind allein großziehen kann und schon hat der Plot ein Gesicht: Gewohnt, in ihrer chaotischen Welt selbstständig Entscheidungen zu treffen, lässt sie eine Abtreibung durchführen. Dass ihr Lebensgefährte und Vater ihres zweiten Kindes mit dieser Entscheidung nicht glücklich sein wird, weiß sie. Seine bisher mangelnde Unterstützung lassen ihr ihrer Ansicht nach aber keine andere Wahl. Als ein erster Drohbrief kommt, der sich auf ihre Abtreibung bezieht, ist Maria einfach nur wütend. Niemand außer Geert hat von der Abtreibung gewusst, ergo kann nur er einen solchen geschrieben haben. Als er jedoch seine Unschuld beteuert und glaubhaft wird, dass der jungenhaft dargestellte Chaot nichts mit der Sache zu tun hat, wird die Situation unheimlich. Wer kann sie aufgrund einer Sache bedrohen, von der außer ihnen beiden niemand wusste? Anonyme AbtreibungsgegnerInnen? Menschen aus ihrem Umfeld oder ihrer Vergangenheit?

Zahlreiche spannungsverstärkende Elemente kommen hier bereits auf den Spielplan: Zum einen gibt es die üblichen zahlreichen möglichen Verdächtigen, die jedoch, in diesem speziellen Fall, durch Marias Geheimhaltung des Abortus theoretisch vorerst gar nicht verdächtig sein können. Einblicke in die Kindheit der Protagonistin zeigen, dass Marias Mutter an paranoiden Wahnvorstellungen litt, also an einer Psychose erkrankt war, unter der die Familie schwer zu leiden hatte. Zum anderen stellt sich also schnell die Frage, ob diese Veranlagung sich vielleicht in der Tochter fortsetzt und die Protagonistin sich gar selbst überlistet?
Die niederländische Journalistin und Kolummnistin für die „Marie Claire“, Saskia Noort, zeigt in ihrem Debutroman, dass sie die Grundregeln des Genres beherrscht und dabei kaum etwas auslässt. Abortus, Geisteskrankheit, schwere Kindheit und eine Vielzahl von Verdächtigen – was will das verwöhnte Lesepublikum von Thriller- und Kriminalliteratur mehr?

Die Bedrohung für Maria und ihre Kinder wird in Folge noch massiver. Eine tote Ratte und einen morgendlichen Besuch des Beerdigungsinstituts, das jemand gerufen hat, um Marias Leiche abzuholen, später, beschließt sie, die Polizei einzuschalten, die ihr aber vorerst nicht wirklich weiterhelfen kann. Also flüchtet sie zu ihrer Schwester Ans, zurück in das Haus ihrer Kindheit, zurück nach Bergen an der Zee, an den Ort, der mit Erinnerungen an eine Vergangenheit auf sie wartet, die sie selbst am Liebsten für immer hinter sich gelassen hätte...

Der Roman bedient sich durch die Ambivalenz des möglichen eigenen Wahnsinns der Protagonistin und einer Bedrohung von außen einer Ausgangssituation, die die Erzeugung eines komplexen Spannungsfeldes ermöglicht. Sogar die Hauptfigur selbst glaubt in schwachen Momenten an ihre Täterschaft. Verstärkt wird diese Verwirrung durch eine Vielzahl von zusätzlichen Verdächtigen, wovon einige jedoch sehr abrupt auf dem Spielplan stehen: Sei es Steve, der Vater von Marias erstem Kind, der plötzlich wieder in Amsterdam auftaucht, nachdem er jahrelang im Ausland war, oder ihr Schwager Martin, der erst vor kurzem selbst untergetaucht ist, nicht zuletzt weil seine Ehe nicht gut lief (oder hatte er einen anderen Grund?) und somit quasi aus dem Untergrund ebenfalls verdächtig erscheint, oder auch Marias neuer Bekannter Harry, der, trotzdem er sie kaum kennt, als Einziger bereit ist, ihr zu helfen.
Obwohl es natürlich zu einem guten Thriller dazugehört, den Leser/die Leserin möglichst lange im Dunkeln tappen zu lassen, tut Noort manchmal zu viel des Guten, um die Verwirrung um den/die anonyme BedroherIn aufrechtzuerhalten. Da fällt der Protagonistin beispielsweise plötzlich so nebenbei ein, dass ihr Lebensgefährte Geert erst kürzlich mit einem Bügeleisen nach ihr geworfen hat – zur sonstigen Charakterisierung seiner Figur als eine Art gutmütiger Brummbär passt das jedoch so überhaupt nicht. Mit einem ca. 2-Kilo-schweren Eisen nach jemandem zu werfen ist doch schon ein starkes Stück, mit dem Klischee vom Zerbrechen des Meissner-Porzellans nicht zu vergleichen und ein Wink mit dem Zaunpfahl, wenn es darum geht, auch an der letzten noch harmlos erscheinenden Figur einen aggressiven Zug zu montieren.
Wie auch immer sie es sonst anstellt, Frau Noort versteht ihr Handwerk und ich glaube, dass kaum jemand sofort ins Schwarze tippt, wenn es darum geht, hier die Täterschaft auszumachen – am Besten ist, man folgt den (Irr)pfaden der Protagonistin im Geiste und legt das Buch erst weg, wenn man damit fertig ist.



Friederike Schwabel, 5. März 2006
ID 00000002280


Siehe auch:
http://www.rowohlt.de




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