Rezension

Mein Orange. Mehr als eine Generationenfarbe

Hrsg. von Sabine Weißler im Auftrag des Kultur- und Bibliotheksamtes Steglitz-Zehlendorf von Berlin
Jonas Verlag, Marburg 2006
78 Seiten, 10 EUR
ISBN: 3-89445-373-7



Die Karriere einer Oberflächenfarbe

Orange ist wieder da: vor dem Waschbecken liegt der strubbelige, billige Badezimmerteppich von Ikea, Handtücher und ein Seifenspender in derselben Farbe und aus demselben Hause ergänzen das Ensemble. Auf den Straßen begegnet man orangefarbenen Autos, auch jenseits der Straßenmeisterei. Und wer sich am dritten Juniwochenende diesen Jahres zufällig von Westen her über die Autobahn der Stadt Leipzig näherte, konnte in Cabrios mit gelben Kennzeichen komplett orange eingekleidete Menschen beobachten, während andere niederländische Patrioten „Op weg naar Berlijn!“ in orangenen Lettern ans Heckfenster ihres Kombis geschrieben hatten.
Keine Frage – Orange ist wieder in. Aber die wenigen, zugegebenermaßen eher zufälligen Beispiele deuten schon auf die unterschiedlichen Bereiche hin, in denen die Farbe Orange neuerdings oder auch schon immer augenfällig wird. Eine kleine Auswahl all dessen, was inzwischen damit in Zusammenhang steht, ist vor kurzem in einem schmalen Bändchen unter dem Titel „Mein Orange – Mehr als eine Generationenfarbe“ beim Marburger Jonas Verlag erschienen.

Die Lifestylefarbe

Kein Zufall – die Herausgeberin Sabine Weißler, Kunsthistorikerin und Kulturamtsleiterin in einem Berliner Stadtbezirk, geht von ihrem persönlichen Erleben aus. Orange als Lifestylefarbe, als Farbe von Mode und Design – das scheint die Geburtsstunde auch des ganzen Buches zu sein: Creme 21 und Pril-Blumen, die Emsa-Dose für Watte, die orangefarbenen Plastikschüsseln im Haushalt, die Kunststoffklamotten und Möbelaccessoires in schreienden, warmen Farben. Eine gefällige, modern-leichte Welt voller erschwinglicher, künstlicher Produkte, die man gegebenenfalls auch wegwerfen konnte, wird da erlebbar gemacht. Das alles ist unweigerlich verbunden mit dem gesellschaftlichen und ökonomischen Aufbruch der 60er Jahre in Westeuropa, mit seinem Höhepunkt um das Jahr 1968 und dem sozial-liberalen Jahrzehnt in der alten Bundesrepublik der 70er Jahre. Kein Wunder also auch, daß die meisten Autoren, die hier über Orange schreiben, in dieser Zeit ihre Kindheit und Jugend erlebten.
Doch dann kamen die Öko- und die Friedensbewegung auf, mit ihrem deeskalierenden Zurück-zur-Natur-Denken, Grün setzte sich allmählich als Farbe der Stunde durch. Und in den Wirren der Wendejahre und der deutschen Wiedervereinigung verwischten endgültig die klaren Konturen – ästhetisch, designerisch, politisch. Die 90er Jahre und erst recht die Jahre seit der Jahrtausendwende gelten als eklektizistisch, die Farbe Orange erscheint unter dem Label „Retro“ – nicht mehr getragen von etwas Neuem, Anderem, sondern als gezielte, auch kommerziellen Zwecken dienende Rückbesinnung. Von einem „Karneval der Kulturen“ spricht denn auch Harald Martenstein bei seiner Reflexion über „das Neue im Retro“, wofür ihm die Wiedereinführung des Karnevals von Venedig im Jahr 1979 als Beispiel gilt.
Fast tränen einem ein bißchen die Augen, soviel Lebenswelt kommt da über die Farbe Orange aufs Tapet. Nach Sabine Weißler schreibt Thomas Rogalla über den höchst erfolgreichen Werbefeldzug der (West-) Berliner Stadtreiniger in ihrer neuen Markenfarbe, die sich mit abenteuerlichen Motti wie „We kehr for you“ eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung schufen. Das Kunsthändler- und Designerpaar Brigitte Glenk und Christian Hansen geben einen kurzen Einblick in des Funktionieren von „Retro“-Wellen auf dem Kunstmarkt. Fast dankbar liest man den kleinen Abriß der Industriedesignerin Marion Godau über „Orange und Design seit den 60er Jahren“, in dem sehr schön nachempfunden ist, wie Orange, assoziiert mit Künstlichkeit, Wegwerf-Gesellschaft und Umweltsünden, seit den 1980er Jahren als „out“ galt, nun aber als freundliche, warme und zukunftsorientierte Farbe wieder die Logos von ZDF, CDU und dem Berliner Radio Eins gestaltet.

Vom Vaucluse über Nordirland bis zur Ukraine

Hier nun wird klar, daß Orange tatsächlich „mehr“ ist als nur eine Generationenfarbe. Denn wie Katja Tichomirowa mit ihrem Artikel über die sogenannte Orangene Revolution in Kiew 2004 zeigt, waren es vor allem die energetischen Qualitäten der Farbe, die die Massen im eisigen November für die Bewegung von Kandidat Juschtschenko einnahmen, gerade gegenüber dem Blau des Wahlbetrügers Janukowitsch („eine sehr kühle und distanzierende Wirkung auf den Zuschauer“ spricht denn auch der Styleguide des ZDF der Farbe Blau zu, wie Marion Godau berichtet). Einen anderen, höchst politischen Aspekt der Farbe Orange beleuchtet Ralf Sotscheck in seiner Reportage über Mitglieder des nordirischen „Orange Order“, des protestantischen Oranierordens, die sich zwischen jahrhundertealter loyalistischer Vereinskultur mit antikatholischer Stoßrichtung und einem zusammenwachsenden Nordirland nach dem Karfreitagsabkommen 1998 positionieren müssen.
Doch die wichtigste Frage ist bisher gar nicht gestellt worden: Woher kommt Orange? Darauf versucht Paul Stoop in seinem Aufsatz „Du bist Holland“ über die „Bananenmonarchie“ der Niederlande eine wohlformulierte Antwort. Hier nun scheint auch, zumindest politisch und historisch, der Nabel des ganzen Buches zu liegen. Denn verwunderlicherweise hängt der Name des niederländischen Königshauses Oranien-Nassau mit der französischen Kleinstadt Orange im Département Vaucluse zusammen, die ein gräflicher Statthalter der Niederlande im 16. Jahrhundert erheiratete. Mit diesem Titel geschmückt zog denn auch Wilhelm III. von Oranien-Nassau in seinen Krieg gegen den katholischen englischen König James II. und wurde 1690 selber englischer König, mit dem hübschen Beinamen „William the Conqueror“. Die antikatholischen Oranier in Nordirland berufen sich bis heute auf ihn.
Einige Aspekte läßt allerdings auch Stoop beiseite – aber nur weil sie wirklich zu absurd erscheinen. Beispielsweise entbrannte nach Wilhelms III. Tod 1702 ein Streit zwischen den niederländischen Statthaltern, Ludwig XIV. und Friedrich I., dem frischgebackenen König von Preußen, die alle Ansprüche auf die Stadt Orange anmeldeten. Er wurde dahingehend geschlichtet, daß Orange zwar de facto dem landhungrigen Sonnenkönig zufiel, aber sowohl die niederländischen Nassauer als auch der preußische König den Titel eines „Prinzen von Oranien“ tragen durften – so erklärt sich im übrigen auch die Existenz der brandenburgischen Städtchen Oranienburg und Oranienbaum.

Mehr als eine Frucht, mehr als eine Stadt – woher kommt Orange?

Und doch: woher kommt Orange? Im Lexikon finden sich immer zwei Einträge, einer für die Frucht und einer für die Stadt. Während die eine sich von einem persisch-arabischen Wort herleitet, das im spanischen Wort naranja noch recht urtypisch erhalten ist, hieß die andere in römischer Zeit Arausio. Wo also liegt der eigentliche, der letztgültige Nexus zwischen Orange und Orange, der zumindest die Farbe zu einer politischen und höchst modernen werden ließ?
Soweit geht das Buch nicht, das zu ergründen. Es bleibt weitgehend an der Oberfläche, weil Orange eine Oberflächenfarbe ist – und das ist auch nicht weiter schlimm. Ein wenig mehr Systematik hätte man sich trotzdem gewünscht, die vor Wiederholungen schützt und statt dessen zum Beispiel die Frage hätte aufwerfen können, ob Orange im anderen Teil Deutschlands, in der Welt von "Plaste und Elaste aus Schkopau", auch so zahlreiche Anhänger hatte. Eine schöne Einführung in die Karriere einer Farbe ist das Büchlein auch so. Und vor allem – trotz einiger Einschränkungen bei der Farbabstimmung – très orange.


p.w. / red. – 4. September 2006
ID 2638


Siehe auch:
http://www.jonas-verlag.de