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Rezension

"Dresden. Eine literarische Einladung"

Herausgegeben von Detlev Schöttker
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006
141 Seiten, rotes Leinen (SALTO)
13,90 Euro [D] / 14,30 Euro [A] / 25,10 sFr
ISBN 3-8031-1239-7



Landschaft als literarische Kategorie

Wer in Dresden lebt, weiß: es ist der Nabel der Welt. Wer nicht dort lebt, weiß zumindest, daß es da diese Stadt gibt, von der man schon soviel gehört hat. Ihr Renommee, man muß es leider sagen, zieht die sächsische Landeshauptstadt von heute allerdings vor allem daraus, daß sie vor sechzig Jahren grausam zerstört wurde. Man kann es drehen und wenden, wie man will: die heutige Annäherung an die Stadt fängt immer mit dem Februar 1945 an.
Darum ist es nur konsequent, wenn der Literaturwissenschaftler Detlev Schöttker das von ihm zusammengestellte Dresden-Bändchen, das vor kurzem als literarische Einladung in der roten SALTO-Reihe des Berliner Wagenbach-Verlags erschienen ist, mit der Rubrik „Verwüstungen“ beginnen läßt. Es kommt eben keiner vorbei an Victor Klemperers authentischem Tagebuchbericht von der Zerstörung der Stadt, die ihm, dem Juden, dessen Deportationszug quasi schon bereitstand, das Leben rettete. Damit ist das Fanal benannt – alle weiteren Gedichte, Romanauszüge, Erzählungen oder kurzen Essays betrachten es eher von weitem, durchs Vergrößerungsglas persönlicher Momentaufnahmen, im Lichte einer flackernden, sehnsuchtsstarken Erinnerung.

Provinzstadt mit großer Vergangenheit und lückenhafter Erinnerung


Neunzehn Namen hat Schöttker in seiner kleinen Anthologie versammelt, neunzehn Autoren, die in unterschiedlicher Weise mit der Stadt verbunden sind. Da gibt es die ältere Generation der in den 30er Jahren Geborenen, die die Stadt noch haben brennen sehen. Wider Erwarten sind aber nicht alle Texte so schwerlastig wie B. K. Tragelehns Verlustgedicht „Grundschule“. In Karl Mickels „Frauenkirche“ von 1984 erhebt sich eine zarte Frauengestalt aus der Ruine. Und Volker Brauns „Sächsische Flut“ handelt sowieso nur noch vom Wasser. Inzwischen sind auch Jüngere nachgewachsen, die mit poetischer Macht versuchen, ihr Verhältnis zur Geburtsstadt zu artikulieren. Ihnen allen, den Brauns und Czechowskis wie den Grünbeins und Tellkamps gemeinsam ist die Flucht aus Dresden, aus der Enge einer DDR-Provinzstadt mit großer Vergangenheit und lückenhafter Erinnerung.
Schön sind die Texte, aus denen die kinderäugige Erkenntnis spricht, daß man das eigene Schreiben der mit der Jugend überwundenen Stadt zu verdanken hat, die plötzlich wieder auf einen zurück fällt. Ingo Schulze ist da, wie so oft, am ehrlichsten: „War nicht gerade das, wovon man sich früher hatte distanzieren, was man hatte ignorieren wollen, war es nicht gerade das, was einen geprägt hat, was zu einem gehört, was das eigene Dresden ausmacht?“
Eine andere Gruppe sind die Neuzugänge, der bekennende Westler Marcel Beyer etwa, der sich in seinen Texten Dresden, wo er seit zehn Jahren lebt, regelrecht erarbeitet hat. Der Blick von außen, der Touristenblick, spricht aus Michel Leiris’ verwunderter Notiz über das „Hotel, das angeblich im Zentrum lag“. „Man brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß die Angaben weder ein Irrtum noch eine Lüge waren – es war tatsächlich das Zentrum – eine Mitte, die sich schlichtweg in Luft aufgelöst hatte.“ Die Wunden im Stadtkörper, die Oberflächlichkeiten und Widersprüche zu verstehen und die unendlich vielen Nischen aller Art, die sich in Dresden überall auftun, zu finden – das ist das große Thema der Neudresdner Autoren.

Das alltägliche Wunder Dresden


Den Beweis für das alltägliche Wunder Dresden – und nicht nur das Blaue – führt hingegen die dritte, im Buch versammelte Gruppe von Autoren: die der aktiven Dresdner. Michael Wüstefeld, von dem das konkrete Gedicht auf dem Frontispiz stammt, und Thomas Rosenlöcher mit seinen immer wieder gern gelesenen „Dampfschiffnudeln“ sind nur zwei von ihnen, altbewährt. Daß die kleine, aber quietschlebendige Szene der Stadt ansonsten kaum Eingang in das Buch gefunden hat, enttäuscht hingegen etwas. Das mag daran liegen, daß eine Szene immer etwas mit dem besonderen metropolitanen Blick auf eine Stadt zu tun hat. Dresden hingegen ist, da hat Herausgeber Schöttker sicher recht, zwar eine Großstadt, aber eben ohne großstädtischen Charakter – Gedicht und Essay sind hier eher angesiedelt als der Roman.
So versammelt die kleine Anthologie eine schöne Auswahl aus dem literarischen Schaffen, das sich um die wundersame, in ihrem mythischen Glanz schwelgende Elbestadt rankt. Aktualität scheint ebenfalls oberstes Gebot gewesen zu sein. Uwe Tellkamps Roman Der Turm, aus dem der Autor derzeit auch innerhalb des Stadtgebiets gerne mal liest, ist noch gar nicht erschienen. Und die Essays von Durs Grünbein und Ingo Schulze wurden anläßlich der gerade laufenden Ausstellung „Mythos Dresden“ verfaßt – im Ausstellungskatalog wie im Begleitprogramm des Deutschen Hygiene-Museums kann man die Langversionen genießen.
Mythisch ist das ganze Stadtprojekt ohnehin. Es gehört in Dresden zum guten Ton, die alten Geschichten immer und immer wieder zu erzählen. Die besondere landschaftliche Prägung zum Beispiel, das weite Tal, der Fluß, das besondere Licht – die deutsche Romantik war davon tatsächlich ganz angetan, worauf Detlev Schöttker immerhin verweist. Welche literarische Einladung in eine Stadt versammelt schon Texte unter der Rubrik „Landschaft“? Wäre von Italien – dem Land, dem sich Klaus Wagenbach in seinem verlegerischen Schaffen wohl am meisten gewidmet hat – die Rede, würde man damit rechnen. Aber wird nicht auch immer gerne der italienische Charakter Dresdens hervorgehoben?
Ganz ernst gemeint ist das alles ohnehin nicht. „Die Hauptmethode, sich Dresden zu nähern“, schreibt Thomas Rosenlöcher in den „Dampfschiffnudeln“, „ist die, wieder abzufahren.“ Man wird den Besuch kaum bedauert haben. Egal, wie lang er dauert.


p.w. – red. / 7. Juli 2006
ID 2532


Siehe auch:
http://www.wagenbach.de




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