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Rezension

Simon Beckett - "Tiere"

Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011
ISBN: 976-3-499-24915-0


Nigel ist kein Held. Aber er mag Heldenfiguren, insbesondere Comic-Helden. Und er liebt Filme, vor allem Disneyfilme. Aber auch Heldenfilme wie etwa Star Wars. Die sieht er sich auf Leihvideos immer wieder an. Leider ist er so gar nicht wie die Heldenfiguren: Er ist nicht der Hellste. Vielmehr scheint er eher etwas zurückgeblieben zu sein und versteht meist die Witze nicht, die im Büro über ihn gemacht werden. Er ist anderen Menschen gegenüber scheu und verklemmt. Außerdem hat er Angst, im Dunkeln auf die Straße zu gehen. Es könnte ihm ja ein „Irrer“ auflauern. Trotz allem ist er mit seinem Leben zufrieden. Er hat eine Arbeitsstelle und seine Kollegin Cheryl, die er mehr aus der Ferne anhimmelt. Er wohnt zurückgezogen in dem alten Pub, den früher seine Eltern betrieben haben. Das heißt allerdings nicht, dass er alleine dort wohnt. Denn in seinem Keller hält er seine „Tiere“…

„Manche Menschen sind Tiere“ weiß Nigel und meint damit den menschlichen Abschaum, wie Trinker, Prostituierte, Penner. Für ihn sind sie Sachen, keine Menschen. In vergitterte Kellerverschläge hat er sie gesperrt. Er füttert sie mit Hundefutter und Wasser. Manchmal lässt er sie um ihr Futter spielen oder versucht sie zu dressieren. Doch was mit ihnen geschehen soll, dass weiß Nigel eigentlich gar nicht. Warum er sie eingesperrt hat, auch nicht. Aber er ist der Meinung, dass es seinen „Tieren“ so besser gehen würde, als in der Freiheit. Zurzeit hat Nigel Vier: Das Schwarze, das Alte, das Dicke und –sein neuestes – das Rothaarige. Unabhängig vom Geschlecht spricht Nigel nur von „es“, nie von „er“ oder „sie“. Für ihn ist es egal, denn es sind ja nur „Tiere“. Es macht ihm deswegen auch nicht viel aus, wenn eines stirbt. Das passiert schon mal. Er bringt sie ja nicht um.

Cheryl will mit den Kollegen Karen und Pete Nigels Pub sehen und kommen ihn besuchen. Während im Keller die Menschen – pardon, die „Tiere“- ihre Gefangenschaft erdulden, trinken die Drei mit Nigel Bier und Tequila, machen sich über Nigel lustig, essen Hot Dogs und sehen sich einen Porno an. Als Nigels Kollegen den Keller und die „Tiere“ entdecken, erfasst sie das Grauen und machen, dass sie fortkommen. Nigel versteht ihre Panik nicht und schaut sich dann halt eben „Bambi“ an…Er hat ja nichts falsch gemacht.

*


Tiere ist Simon Becketts zweiter Roman, der erst jetzt in Deutschland erstmalig als Taschenbuch erschienen ist. Die englischsprachige Originalausgabe erschien bereits 1995 unter dem Titel Animals und wurde bereits mit dem „Marlowe“ der Raymond Chandler Society als „Bester internationaler Spannungsroman“ ausgezeichnet. Beckett bezeichnet Tiere selbst in seinem Vorwort als sein bisher bösestes Buch. Das kann unterstrichen werden. Ihm ist es sehr gut gelungen, die Banalität des Bösen dem Leser aufzuzeigen. Durch die Erzählperspektive des Nigels ist man ganz dicht an ihm und seiner gestörten Gedankenwelt dran. Durch kurze, einfache Sätze gelingt es Beckett, die Einfältigkeit seiner Hauptfigur zu verdeutlichen. Dabei schafft er das Kunststück, dass der Leser einerseits natürlich mit den Opfern mitleidet, entsetzt ist, über ihr Schicksal. Andererseits hegt man Sympathien mit Nigel, der nie Liebe erfahren hat. Aufgewachsen in einem gestörten Elternhaus mit einem sich zu einem Trinker entwickelnden Vater und einer Mutter, die Sex augenscheinlich verteufelt. Eine ungestörte Entwicklung seiner Sexualität, die zum Erwachsenwerden dazugehört, war durch sein Elternhaus nicht möglich. Doch man fragt sich unwillkürlich: Darf man mit jemanden wie ihm mitfühlen?

Aber das ist genau das, was Beckett mit diesem Buch beabsichtigt hat. Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Hinter einem Peiniger kann eine sehr erschütternde und mitleiderregende Geschichte stehen, ohne dass es die Taten entschuldigt oder herabsetzt.

Die Idee hinter Tiere ist wirklich gut. Jedoch ist diese Umsetzung nicht für jeden Leser geeignet. Wer in einem Thriller Spannung und Action erwartet, sollte lieber die Finger von diesem Roman lassen. Die Geschichte kommt eher seicht herüber. Objektiv gesehen passiert nicht all zu viel. Es gibt keinen großen Spannungsbogen und auch der Schluss ist eher ernüchternd, wenn Nigel unbeeindruckt davon ist, dass seine Kollegen seine „Tiere“ gefunden haben, und sich so, als wenn nichts gewesen wäre, vor dem Fernseher setzt. Dennoch schafft es das Buch, wenn man sich auf seine Art einlässt, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Man will wissen, wie es ausgeht. Vorhersehbar ist das Buch keinesfalls. Vielmehr denkt man, dass nun eine Wendung kommt, die jedoch ausbleibt. Beckett schafft eine Atmosphäre, die schockiert und erschreckt. Insbesondere über sich selbst, wenn man bemerkt, wie man Sympathien mit Nigel entwickelt, obwohl man weiß, was in seinem Keller vorgeht. Empfänglich muss man jedoch für diese Art Spannung sein. Nur Leser, die sich emotional auf die Personen einlassen und sich in sie hinein fühlen, werden die unterschwellige Spannung wahrnehmen und sich von Tiere fesseln lassen. Es bleibt zu sagen, dass Becketts Tiere ein schockierender Roman ist, der Spuren beim Leser hinterlassen kann.

Sara Hoeft - red. 9. April 2011
ID 5145
Simon Beckett, „Tiere“
Roman
Erscheinungsdatum: 24.02.2011
Taschenbuch
Preis: 9,99 €
ISBN: 976-3-499-24915-0
Rowohlt Taschenbuch Verlag



Siehe auch:
http://www.rowohlt.de





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