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Rezension

Anne Weber - "Gold im Mund"

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2005
128 Seiten. Gebunden.
14,80 EUR [D]
ISBN 3-518-41713-4


Ein Schreibarbeitsbuch

Es gibt Bücher, zu denen muß man einfach etwas sagen, auch wenn schon eine ganze Lawine von Belobigungen darüber hinweggerollt ist. Anne Weber, die deutsche Autorin aus Paris – man könnte auch sagen: die französische Autorin und Übersetzerin aus Offenbach –, hat beim diesjährigen Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt für einen Auszug aus ihrem neuesten Buch den 3sat-Preis verliehen bekommen, und für „Gold im Mund“, so der Titel, gab es noch ein paar ausgesprochen freundliche Rezensionen obendrein.
Aber obwohl das leider nur 128 Seiten schmale Büchlein im deutschsprachigen Literaturapparat so gut ankam, ist es eigentlich ein Buch, das gegen den Apparat geschrieben ist. Schon seinen Inhalt zu bestimmen, ist nicht ganz leicht – weshalb es eher von dem Projekt her zu denken ist, das dahinter stand: Weber verbrachte mehrere Monate in einem Großraumbüro der Dentalfirma Cendres & Métaux im schweizerischen Biel (frz. Bienne). Doch während ihre Kollegen Zahnmodelle frisierten, saß sie an einem ihr zugewiesenen Schreibtisch und versuchte, die neue Arbeitsumgebung auf sich wirken zu lassen. Ein echtes Arbeitsbuch also, aber eines, das der Lohnarbeit des Büromenschen aus dem Weg geht, indem es darüber nachdenkt.
Von klassenkämpferischem Pathos oder altlinker Ideologie findet sich jedoch keine Spur. Es geht Anne Weber eher darum, die Normalität zu durchbrechen, die die Schreibtischarbeiter in ihrem Berufsalltag gefangen hält und zugleich in Sicherheit wiegt. Die freundliche, doch kühle Zuvorkommendheit der Kollegen mit den ‚romanesken‘ Namen in der „Asche-&-Metall-Firma“ pariert sie mit den Mitteln der Schriftstellerin, die eben das tut, was der Büromensch sich nicht erlauben kann: ihren Eingebungen nachzugehen, und zwar bis ans bittere Ende:

„Am Ende wird es voraussichtlich nur noch zwei mächtige Konzerne geben, einen, der das Monopol des Zerstörens, und einen, der das Monopol des Reparierens hat. Und obwohl sie einander so dringend brauchen, wird der Stärkere nicht umhinkönnen, den Marktgesetzen zu folgen und den Schwächeren früher oder später zu schlucken, und das wird das Ende des Kapitalismus sein.“

„Gold im Mund“ ist nicht wirklich eine Essay, sondern eher ein Buch, das im wesentlichen aus Abschweifungen besteht. Darin besteht die eigentliche „Arbeit“, die Anne Weber an ihrem Schreibtisch im Großraumbüro geleistet hat. Die zahlreichen Sprünge, die der Text macht, erklären sich aus den vielen Beobachtungen, den Blicken aus dem Fenster, den Situatiönchen und eben aus den Gedanken, die die Autorin daran knüpft. Das macht den Text auf den ersten Blick nicht eben leicht zu lesen – allerdings ist jeder dieser Gedankensprünge es wert, gelesen zu werden.
Auch der von allen Autoren immerfort – so eine Anmaßung – geduzte Leser wird da gelegentlich mit einbezogen in den Schreibprozeß, der so überhaupt erst sichtbar wird – schließlich ist „der Leser“ eine Art Kunde und der Weg zu seiner Zufriedenstellung zugleich das Ziel des ganzen Unterfangens. Kleine, von einem gewissen Technizismus nicht ganz freie poetologische Aussagen fangen die Absichten der Autorin ein. „Ich will ja der Realität nicht habhaft werden“, schreibt sie an einer Stelle, „sondern ihr als Stimme, als Filter, als Durchlauferhitzer und Kühlapparat dienen.“
Das Gegenstück zum spielerischen Ton von „Gold im Mund“ sind die 31 Kurzkapitel des früher entstandenen Textes „Liebe Vögel“, den die Autorin noch aus der Position einer selbst bei einem Pariser Verlagshaus lohnabhängig Beschäftigten heraus geschrieben hat. Die unverhohlene Verachtung, mit der sie darin ihrer eigenen und der „ewigen“ Büroarbeit überhaupt gegenübersteht – das „Wir sind tot“ –, klingt in ihrem Bericht aus der Heimatstadt Robert Walsers (die im Text als solche, anders als im Umschlagtext verheißen, keine Rolle spielt) wesentlich verhaltener. Zwar wollte Anne Weber die „Wirklichkeit“ erkunden, jedoch nicht, um sie zu bekämpfen, und so findet sie eine recht schlichte Erklärung dafür, warum das Leben so ist, wie es eben ist.
„Zuletzt“, so ihr Resümee, war es die Wirklichkeit „wahrscheinlich leid, immer in grellen Farben von einer Kinoleinwand abgemalt zu werden. Also schob sie uns einen Bürostuhl auf Rollen unter und rollte uns in ein friedliches, sauberes und zufriedenes Leben.“


p.w. – red. / 8. September 2005
ID 2023


Siehe auch:
http://www.suhrkamp.de




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