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Rezensionen
Rezension 8

Schmid, Ulrich

Der Zar von Brooklyn

Eichborn 2000.
516 Seiten.
DM 49,80

Ulrich Schmid:
Der Zar von Brooklyn

Die wilde Wirklichkeit des neuen Russlands

Man kennt diese Szene. Da versucht ein junger Mann seine Unterlagen dem Chef persönlich vorzulegen. Im Vorzimmer fängt ihn die Sekretärin ab. Doch für diesen jungen Mann geht es um Leben und Tod. Und man merkt, er meint es wortwörtlich. Wir sind in Russland, Ende der 90er Jahre. Der junge Mann heißt Alexander Michailowitsch Zwetkow, von Freunden Sascha genannt. Die Unterlagen sind eine Art Rechenschaftsbericht. Und der Mann, auf dessen Nachsicht Sascha hofft, heißt Iwan Andrejewitsch. Schon in der Sowjetunion besaß er den Willen und die Macht, Leben zu zerstören.
Dem Schweizer Journalisten Ulrich Schmid ist mit "Der Zar von Brooklyn" sowohl ein Portrait des gegenwärtigen Russlands gelungen als auch das Psychogramm eines Menschen, dessen Lebensplan durch eine "Verkettung unglücklicher Umstände" zerstört wird. Am Anfang lebt Sascha in einer festen Beziehung und hat im Beruf Erfolg. Am Ende ist davon nichts mehr übrig. Dieser Abstieg beginnt mit einer Reportage über eine korrupte Bergwerksleitung.
So rückt Sascha ins Blickfeld jener Männer, die sich durch Enthüllungsjournalismus in ihren Geschäften behindert sehen.
Sascha ist kein Idealist. Er ist ein schwacher Mensch. Die Reportage fiel ihm geradezu in den Schoß. Und so fragt er nicht groß nach den Hintergründen, warum man ihn danach in die USA schickt, um über die an der Ost-Küste lebenden Exil-Russen zu berichten. Dabei kommt Saschas Liebesleben nicht zu kurz.
Doch Ulrich Schmid entrinnt dem Klischee und macht aus der Affäre seines Helden eine kulturvergleichende Momentaufnahme.
Offenherziges Lächeln einer Frau etwa bedeutet in Russland etwas anderes als in den USA. Diese Szenen verwebt Schmid mit Thrillerelementen. Denn Sascha lernt auch einen an Lungenkrebs erkrankten Exil-Russen kennen, der von Schutzgelderpressern bedroht wird. Sascha hat Sympathie für den Mann und engagiert sich später für ihn. Dass dieser nicht der ist, der er zu sein vorgibt, lässt Saschas Leben in Russland ungemütlich werden. KGB, veruntreute Gelder und Auslandskonten sind hier die Stichworte.

Ulrich Schmid, Jahrgang 1954, war als Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung von 1990 bis 1995 zunächst in Moskau, dann bis 1999 in Washington.
Sicher finden sich Erlebnisse dieser Jahre in "Der Zar von Brooklyn" wieder, doch die Sprache des Romans ist keineswegs journalistisch. Ulrich Schmid erzählt in einem langsamen Rhythmus, in den man sich hineinfinden muss. Da gibt es verschachtelte Sätze über mehrere Zeilen, Sätze, wie sie heute nur selten geschrieben werden.
Ulrich Schmid beherrscht sein Handwerk. Subtil entwickelt er Spannungsbögen und hält auf der langen Erzählstrecke die Fäden der Geschichte beisammen. Voller Bildmacht lässt er Sascha berichten und schafft so eine dichte Atmosphäre, die die Fremdheit der russischen Wirklichkeit spürbar macht. Allerdings verschiebt Ulrich Schmid in der zweiten Hälfte des Romans dessen erzählerisches Zentrum. Der Thriller mit seinen spannungssteigernden Versatzstücken rückt nach vorne. Nicht viel, aber doch so sehr, dass er die Persönlichkeit seiner Figuren nicht mehr so tief ausloten kann. Es ist ein kleiner Makel an einem sonst beeindruckenden Roman.

Ralf Koss / 21.11.2000

 
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