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Rezensionen
Rezension 11

Max Goldt

Der Krapfen auf dem Sims

Betrachtungen, Essays u.a.

176 Seiten mit Fotos
Gebunden 29.80 DM
ISBN 3-8286-0156-1

Max Goldt:
Der Krapfen auf dem Sims

In seinem neuen Buch erläutert Max Goldt die Wahl des Titels. Und obwohl der Autor eine 30%ige Fehlerquote bei Rezensionen prognostiziert, da oberflächliches Lesen den Krapfen zum Karpfen werden lässt, ist er zufrieden.
Goldt-Fans werden die im edlen Buchformat vereinten Texte, die 1998-2000 in den Zeitschriften "Titanic", "Der Rabe" und "jetzt" veröffentlicht wurden, gewiss mit der gebotenen Gründlichkeit lesen und 100%ig zufrieden sein.
Die Sammlung wird mit "Bartschattenneid" komplettiert, einem Beitrag, der im Mai 2000 in der Berliner Zeitung unter einem Pseudonym erschien.

Max Goldt gewährt auf höchst unterhaltsame Weise Einblicke in sein Privatleben. Man erfährt, dass er nicht rülpst, weshalb er keine Zellstofftaschentücher benutzt und auch kein Cola-Trinker ist.
Goldt erzählt in spöttisch trockenem Ton von einem skurrilen Nachbarn mit fragwürdigen Redewendungen und anderen feinsinnigen Beobachtungen.
Offensichtlich hat sich die Fähigkeit, solch unverwechselbare, hintergründige und witzige Essays schreiben zu können, bereits in der Kindheit des Autors entwickelt: "Ich wusste nicht, was man mit Sachen spielen soll, die dafür da sind, dass man mit ihnen spielt."
Seither spielt er mit Gedanken und Geschichten. Vordergründig scheinen Alltäglichkeiten Auslöser für seine Betrachtungen zu sein, doch sind es ausgelassene Gedankenflüge, hart an der Grenze zwischen Realität und Traumwelt, die der Wortkünstler in erfrischende literarische Formen packt. So ähneln die Lesestücke Maruschka-Figuren. In einer Geschichte stecken viele köstliche Abschweifungen und Überraschungen.

Selbst die Verlusterfahrung wird auf phantasievolle Weise und mit Gewinn verarbeitet. Goldt bringt das Kunststück fertig und beschreibt, was aus einem im ICE verloren gegangenen Entwurf zu einer Geschichte hätte werden können. Der Erinnerungsfaden eröffnet einige für die John Lennon-Forschung höchst spannende Aspekte, insbesondere wegen der Lennon zugeschriebenen Sympathie für den bewaffneten Kampf in El Salvador und wegen eines verlorengegangenen Filmdokuments. Beiläufig informiert die Geschichte über das Filmarchiv des Tennos, Yoko Onos Terminprobleme, die als Witwe häufig Versteigerungen beiwohnt, sowie über Schwierigkeiten bei Schenkungen. Die ohnehin mit abenteuerlich kuriosen Wendungen gespickte "Handlung" wird angereichert mit Überlegungen zu Imelda Marcos Schuhsucht und mit dem Hinweis auf eine überflüssige und dennoch erwähnenswerte Filmreportage über Ehepaar, das in Ludwigshafen am Rhein wohnt und dessen bevorzugtes Urlaubsziel seit Jahrzehnten Ludwigshafen am Bodensee ist.

Die wahrlich blühende Phantasie verstellt keineswegs den distanzierten Blick des kritischen Zeitgenossen Goldt.
Modeerscheinungen und die Marktstrategien der Süßwaren-Industrie werden mit neuen Denkansätzen beleuchtet und lassen den überzeugenden Schluss zu, dass sich die Kultur im Gegensatz zur Natur additiv verhält. Ausgehend von der Feststellung, in der Kinderschokolade könne, entgegen der Werbeversprechungen, nur Magermilchpulver enthalten sein, krönt Goldt seine plausible Beweisführung mit dem Hinweis, dass Milch ja auslaufen würde.
Konträre Betrachtungsweisen über Bedürfnisse und Mangelempfindungen dienen dem seit 1977 in Berlin lebenden Autor, dafür, das deutsch-deutsche Verhältnis vergangener Tage mit einem der Schlüsselsätze der Deutschen Teilung zu illustrieren: "Eh manīs wegwirft...".

"Der Krapfen auf dem Sims" ist auf den ersten Blick ein irritierender Buchtitel. Doch wer eine Leseprobe nimmt, weiß: Der mehrfach mit Literaturpreisen dekorierte Goldt spürt Auswüchse und Verflachung unserer Sprachkultur wie ein unbestechlicher Staatsanwalt auf. Seine Aufzeichnungen machen ihn jedoch nie zum Richter über Dirnen und Zuhälter des Zeitgeistes, sondern zum nonchalanten Advokaten mit Menschenverstand und schier unerschöpflichem humoristischem Instinkt.

v. - red / 24.02.2001

 
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© 2001 Kultura-Extra (alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar.)
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