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Feuilleton

Ulrich Schacht

Lesung mit dem Dresdner Stadtschreiber im Kulturhaus Loschwitz




Ein Dresdner Lutheraner

Mit einer Reihe von Veranstaltungen beendet der diesjährige Dresdner Stadtschreiber Ulrich Schacht in den kommenden beiden Wochen seinen Aufenthalt an der Elbe. Eine davon fand am vergangenen Montag, dem 10. September, im Kulturhaus Loschwitz statt: vor kleinem Publikum las der 56jährige Autor Naturgedichte aus seinen letzten beiden, in der Edition Pongratz erschienenen Gedichtbänden „Treppe ins Meer“ und „Weißer Juli“ sowie die Erzählung „Ade, ade“, die um eine Begegnung im Milieu ehemaliger Emigranten seiner Wahlheimat Schweden kreist. Musikalisch untermalt wurde die quasi familiäre Veranstaltung von dem Cellisten Rainer Promnitz von der Dresdner Philharmonie.

Mit Ulrich Schacht verabschiedet sich wohl einer der umstrittensten Schriftsteller, die von dem seit 1996 bestehenden und von der Stiftung Kunst und Kultur der Ostsächsischen Sparkasse finanzierten Stipendium profitieren konnten. Bereits Anfang des Jahres hatte die SPD-Fraktion im Stadtrat versucht, die Entscheidung für Schacht, die die zuständige Jury einstimmig getroffen hatte, zu hintertreiben. Am 20. Februar 2007 titelte die Berliner taz: „Dresdner Stadtschreiber schreibt rechts“. Und wirklich scheinen einige Fakten dieses Diktum zu bestätigen. So gibt Schacht selber auf seiner Homepage an, über seine langjährige Tätigkeit als Chefreporter für Kultur bei der „Welt“ und „Welt am Sonntag“ hinaus neben „Zeit“ oder „Süddeutscher Zeitung“ auch für die „Junge Freiheit“ und „Preußische Allgemeine Zeitung“ gearbeitet zu haben.
Für die Parteien als störend empfunden wird dabei, daß der Mann parteipolitisch schlecht einzuordnen ist. Das liegt offenbar auch sehr stark in seiner Biographie begründet. Schacht wurde 1951 als Kind einer Deutschen und eines russischen Leutnants in der berüchtigten Festung Hoheneck nahe dem sächsischen Stollberg geboren, wo die Mutter aufgrund dieser verbotenen Liaison einsaß, und wuchs in Wismar auf. In Rostock und Erfurt studierte er evangelische Theologie, bevor er 1973 aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit mit der DDR-Staatssicherheit in Konflikt kam und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Ende 1976 von der BRD freigekauft, lebte Schacht fortan in Hamburg, studierte Politikwissenschaft und Philosophie und wurde Mitglied der SPD, der bis 1992 treu blieb. Nach zwei Jahrzehnten vornehmlich journalistischer Tätigkeit zog er 1998 nach Schweden, wo er heute als freier Schriftsteller lebt.

Wer Schacht in Dresden erlebt, sich gar mit ihm unterhalten hat, stieß auf einen freundlichen, aber streitbaren Mann, der sich eine Zurechnung zu einem politischen Lager zu recht verbittet. Mag sich der elegante Erzähler und tiefschürfende Lyriker, der in seinen Gedichten immer ein Stück jenseits der Sprache liegender Wirklichkeit für die Poesie zu erobern sucht, in einer sehr deutschen Tradition verorten lassen, so ist er sich doch auch für Besuche bei der kleinen, aber selbstbewußten Dresdner Slammer-Szene nicht zu schade – ganz im Gegenteil. Er ist einer von denjenigen, die über alles diskutieren können. Das mag bei manchem Stirnrunzeln hervorrufen, und auch seine Vergleiche zwischen den 68ern und der Stasi müssen als überzogen gelten, aber es ist bei Schacht einem tiefsitzenden, antitotalitären Reflex geschuldet, der authentisch und damit auch überzeugend ist. „Dem generösen Amt des Stadtschreibers wurde aus billiger Political Correctness Schaden zugefügt“, wird Schacht in der besagten taz-Ausgabe zu den Anwürfen aus den Stadtratsfraktionen zitiert. Und wirklich erscheint er wie ein wandernder Widerspruch, einer, der nicht zu unrecht sagen kann: Wer behauptet, ich sei rechts, hat mich nicht gelesen.
Der Abend im Kulturhaus Loschwitz begann mit einer kleinen Eloge an den Ort, den romantischen, von Künstlern frequentierten Stadtteil am Rande Dresdens, wo einst Clara Wieck, die spätere Frau Robert Schumanns, zuhause war, und nahm die ein paar Monate zuvor am selben Ort stattgehabte Begegnung mit dem Freund Hans-Joachim Schädlich, mit „Tallhovers Vater“, wie es etwas plakativ im Gedicht hieß, zum Anlaß. Anschließend plauderte Schacht darüber, was es ihm bedeutet, in Dresden zu leben, betonte die große lutherische Tradition der Stadt und pries den „weißen Protestantismus“ seiner neuen Heimat, in dem das Luthertum mit seinen katholischen Wurzeln versöhnt sei. Dann las er, und nachdem die letzten Worte gelesen und die letzten Töne der Musik verklungen waren und endlich die älteren Damen unter den Zuhörern ihren angenehmen Dämmer abgeschüttelt hatten, setzte Autor Schacht sein verschmitzt-ironisches Gesicht auf und sprach: „Sie wissen, daß Sie mich alles fragen können.“

Bei aller Diskussion um politische Vereinnahmung scheint dieser Aspekt im Wesen des Ulrich Schacht von niemandem bisher so recht beachtet worden zu sein: hier saß einer – und konnte nicht anders, in bester lutherischer Manier; einer, der politische Korrektheit schlichtweg nicht nötig hat und der seine Heimat Wismar schon immer, als lästerlicher Anti-DDR-Witz wie als kritische Volte gegen den „Augiasstall“ der heutigen Bundesrepublik, als „Südschweden“ bezeichnet.
Am 26. September gibt Schacht im Dresdner Literaturbüro in der Villa Augustin seine Abschiedslesung, in der alle zehn Poeme, die er während seines sechsmonatigen Aufenthalts zu Dresden verfaßt hat, erstmals zum Vortrag kommen. Und irgendwann wird man vielleicht feststellen, daß gerade in einer Zeit, wo über die Zukunft der Birthler-Behörde diskutiert wird und die Politik – wie immer – ratlos vor Übergriffen wie im sächsischen Mügeln steht, ein Stadtschreiber wie Ulrich Schacht gut war für Dresden.


p.w. – red. / 14. September 2007
ID 3436


Siehe auch:
http://www.kulturhaus-loschwitz.de/_buchhaus.htm





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