Rezension
A. L. Kennedy

Also bin ich froh

Roman
Aus dem Englischen von Ingo Herzke

Berlin 2004
Verlag Klaus Wagenbach
Quartbuch, gebunden
288 Seiten
EUR 19,50 [D] / sFr 34,30 / EUR 20,10 [A]

ISBN 3-8031-3186-3

Nein, bei Alison Louise Kennedy, geboren 1965 in Dundee, hat man es nicht mehr mit einer jungen Autorin zu tun, einer, die es noch zu entdecken gilt, denn dazu ist anläßlich ihres jüngst auf Deutsch erschienenen Romans "Also bin ich froh" bereits ein wahres Trommelfeuer ausnehmend freundlicher Kritik über sie hinweggerollt.
Auch läßt sich keineswegs sagen, A. L. (denn nur diese Initialen werden dem Unkundigen zunächst serviert) Kennedy habe "ein neues Buch geschrieben", denn das fragliche ist bereits vor neun Jahren in Großbritannien erschienen und aus der Lage des Landes (Post-Thatcherismus) und der Welt um die Jahreswende 1993/94 (z.B. Bosnienkrieg) nicht herauszulösen.
Und für die aufdringlichen Journalisten gibt es - neben dem Text - ebenfalls wenig Neues zu erfahren, denn die häufig gestellten Fragen (FAQs) hat die zurückgezogen lebende Schottin bereits auf ihrer Homepage ein für allemal und, je nachdem, mit deutlicher Ironie oder gesetztem Ernst beantwortet.
Es scheint, als ziehe die gestandene, von zahllosen Preisen überhäufte Autorin, von der bereits sieben Bücher auf Deutsch vorliegen, nur solche Besprechungen ihrer Werke in Betracht, die ihr persönlich etwas Neues über diese Bücher mitteilen können. Was aber läßt sich sagen über ein nicht mehr ganz aktuelles Buch, von dem nichtsdestoweniger das hiesige Feuilleton bei seinem Erscheinen zur Leipziger Buchmesse regelrecht wachgeküßt worden ist?
Eines zumindest, und dies vorab, nämlich daß der Berliner Klaus Wagenbach Verlag das große Talent seiner Autorin richtig eingeschätzt und mittlerweile im ganzen Land publik gemacht hat.
Wie vom Himmel gefallen
A. L. Kennedy gehört nicht zu den Schriftstellern, denen es auf Aktualität ankommt. Die Geschichte, die "Also bin ich froh" zugrunde liegt, ist zeitlos und sie ist ziemlich absurd.
Jennifer ist eine Radiostimme, eine dieser ebenmäßig geformten, schnörkellosen Sprecherinnen, die selbst die größten Scheußlichkeiten zur vollen Nachrichtenstunde mit kühler Gleichmut verlesen können. Und sie ist von diesem Job gefrustet, die libertinären Liebesspiele ihrer Eltern und deren früher Tod haben sie hart und - besonders in Liebesdingen - gleichgültig gemacht, und was das knappe WG-Leben außerhalb der Tonstudios nicht hergibt, das holt sie sich in sadistischen Exzessen mit ihrem Ex-Freund Steve zurück. So weit, so unromantisch.
Doch nun fällt jemand vom Himmel, oder besser: er fällt in ihre Zeit, denn statt des erwarteten Zwischenmieters Martin steht auf einmal ein kleiner, kräftiger, leicht zerschrundener Mann in der Glasgower Gemeinschaftsküche. Er hat sein Gedächtnis verloren, er bewegt sich ungeschickt und formuliert altmodisch. Und der erweckt nun, weil er so völlig aus der Lethargie des Alltags herausfällt, Jennifers Aufmerksamkeit. Mit der Zeit gewinnt er sogar ihr Herz.
Es ist der Krieger, Abenteurer und Poet Savinien de Cyrano de Bergerac, dem A. L. Kennedy ein kleines, romaneskes Denkmal errichtet hat. Doch statt, wie man es etwa im "Tod in Venedig" findet, ihrer Hauptfigur nur Statur und Gesichtszüge einer historischen Person anzudichten, schickt Kennedy Savinien leibhaftig in unsere Zeit zurück, und das ganz ohne Zeitmaschine.
"Es gibt Räume, unermeßlich, ohne Ursprung, ohne Ende, in denen Gott diese Welt erschaffen und in die er sie gesetzt hat", zitiert Savinien bei seinem Besuch in der Pariser Bibliothèque Nationale seinen verehrten philosophischen Lehrer Gassendi. "Und ich habe diese Räume gesehen", fährt er fort, "ich habe Jahrhunderte in ihnen verbracht, und jetzt habe ich bewiesen, daß es jenseits der Materie etwas gibt."
Kennedy gebraucht keine abgestandenen SF-Tricks, sondern packt die Fabel ihres Romans, der aus ihrem frühen Interesse für Cyrano erwachsen ist, als sie sich als Studentin der Theaterwissenschaften mit seinen Werken auseinandersetzte, in eine wunderschöne, poetische Metapher.
Keine abgestandene Science Fiction
Manche möchten sich verstört abwenden, wenn sie von solchen Konstellationen lesen, und in der Tat hat das Buch gewisse Härten und Längen, insbesondere zu Beginn, wenn Jennifers Sprödheit in Liebesdingen allzu sehr breitgetreten wird. Doch gibt die Autorin auch hier schon einen Fingerzeig.
"Ich lasse mich ganz leicht von einem Wort oder einem unbedeutenden Ereignis verwirren, und dann kann ich nicht umhin zu fragen, warum mein Leben gerade so und nicht anders verlaufen soll." Wir können nicht abschätzen, in welche Richtung sich die Erzählung entwickeln wird. Zugleich gelingt es A. L. Kennedy virtuos, mit ihrer Sprache, den irren und witzigen, zarten und höchst ernsthaften Dialogen, deren stilistische Facetten von der Mitte des 17. bis ins späte 20. Jahrhundert reichen, nach und nach eine Spannung aufzubauen, der man sich nicht mehr entziehen möchte.
Savinien lernt zunächst in seinem neuen Leben regelrecht laufen. Für einen Menschen, der kurz nach dem 30jährigen Krieg gestorben ist, erscheint eine Welt voller Autos, Supermärkte und Müllhalden - vorsichtig gesagt - seltsam. Sei es aus adligem Trotz gegenüber seiner Gönnerin, sei es aus barocker Männlichkeit, büxt Cyrano einen Winter lang aus und lernt die schöne neue Welt von unten, aus der Perspektive eines Obdachlosen und Junkies kennen. An diesem Punkt, als die beiden Liebenden einander wie die unglücklichen Königskinder aus dem Volkslied auf den Straßen Glasgows wiederzufinden hoffen, zeigt sich Kennedys schöne, aus sozialem Gespür erwachsene Gabe für lebendige Details, beispielsweise wenn sie über die "Straßenmenschen" schreibt.
"Sie waren schon immer da - sie haben eine andere Farbe als andere Menschen, eine andere Gestalt, Gesichter, die nicht wie die anderen aussehen. Desinteressierte Fußgänger haben ihnen schon immer gelegentliche Blicke zugeworfen und waren tief im Innersten überzeugt, daß Straßenmenschen nie jung gewesen, zur Schule gegangen sein, in Häusern gewohnt, sich verliebt haben konnten. Daß sie bloß eine experimentelle Ausdrucksform des Elends waren: eher eine Art schiefer Poesie als Teil der Menschheit."
Cyrano kehrt wieder, wird von seiner Tablettensucht geheilt und verdingt sich in einer Weise als Gärtner, die ihn in die Hausgemeinschaft hineinwachsen läßt - bis ihn sein böser Geist aus der Zeit als Müllkippenbewohner einholt und sich ihm in einem Duell entgegenstellt. Doch der Anachronismus bleibt auch hier aus. Kennedy setzt eben gerade nicht auf den Verfremdungseffekt wie etwa Montesquieu in seinen "Lettres persanes". Worum es geht, ist die echte Liebe zu einem Schriftsteller, der sich, je länger seine körperliche Renaissance dauert, immer stärker in seinen alten Charakter hineinfindet.
Erst die abenteuerliche Reise in seine Heimatstadt Paris und nach Sannois, dem Ort seines Todes, führt diesen unwirklichen Roman zu einem wehmütigen, wenngleich nicht traurigen Ende.
Den Lauf der Zeit umkehren
Eine der Fragen, die der Autorin oft gestellt wird und die sie daher vorbeugend unter ihren FAQs beantwortet, lautet: "Do you enjoy being a writer?"
Es ist diese Art Fragen, die Journalisten nach einem ungeschriebenen Gesetz immer zu stellen scheinen und deren Beantwortung für einen Schriftsteller so diffizil wie heikel ist. Aber man muß nicht ihre Homepage zitieren, um diese alte, zwischen Kunst und Leben oszillierende Frage von A. L. Kennedy thematisiert zu finden.
"Wissen Sie, ich möchte den Lauf der Zeit umkehren oder zumindest aufhalten", schreibt sie an einer Stelle. "Ich stelle mich gegen die Naturgesetze, und das ist ebenso sinnlos wie der Versuch, einen Wasserfall festzunageln. Dumm und vielleicht sogar gefährlich. Und doch will ich in Minuten und Stunden leben, die vergangen sind, und auf die weniger befriedigende Gegenwart verzichten. Beim Schreiben kann ich das tun, aber wie zu erwarten, entdecke ich dabei auch den unvermeidlichen Preis. Am Ende einer Seite, eines Kapitels, eines Arbeitstages muß ich aufhören. Ich muß zurückkehren. Gerade wenn ich müde werde, wenn ich den Ereignissen gegenüber besonders empfindlich und empfänglich geworden bin, muß ich zurückkehren und alles hinter mir lassen."
Wer spricht hier, möchte man fragen, wen spricht die Ich-Erzählerin - wenn sie es denn ist - mit ihrem vertrauensheischenden "Wissen Sie" überhaupt auf den über 280 Seiten des Buches die ganze Zeit an?
Sind es ihre Radiohörer, denen sie, in einem ausufernden persönlichen Interview, ihre eigentümliche Liebesgeschichte ans Herz legt? Oder liegt Jennifer gar auf der Couch eines Therapeuten?
Etwas weiter unten erörtert sie die menschlichen Qualitäten wie Unschuld, Anstand, Hoffnung und ein gewisses Füreinander, Qualitäten, die nach dem Schock zweier Weltkriege einmal das Zusammenleben der Europäer geprägt hätten. "Als ich aufwuchs, spürte ich, daß mein Denken von der Epoche geformt wurde, in der diese Eigenschaften uns verließen. Es klingt vielleicht ein bißchen hart, aber ich hatte das Gefühl, im aufkommenden Zeitalter der dummen Lügen geboren zu sein."
An manchen Stellen ist das Papier des Romans so dünn geworden, daß die Autorin selbst durchscheint.
Das Papier wird durchscheinend
Es ist jedoch genau diese vielschichtige Ich-Perspektive, die das Thema des Buches, die Liebe und ihre praktische Unmöglichkeit, so überzeugend zur Sprache bringt. Die alles andere als konzise Handlung mit ihren Andeutungen und abschweifenden Zerwürfnissen, der zutiefst menschliche Lyrismus der wenigen Figuren und ihre einfühlende, verrätselte Sprache ziehen den Leser von "Also bin ich froh" mitten hinein ins Geschehen. Dabei ist der Roman zugleich, und das sollte nicht vergessen werden, eine poetische Auseinandersetzung mit einem großen Literaten, der durch Edmond Rostands Theaterstück von 1897 regelrecht unsterblich gemacht worden ist.
Aus den Interviews, die anläßlich der deutschen Ausgabe des Buches in vielen Zeitungen und Zeitschriften zu lesen waren, sprach ein wenig die Verwunderung einer Autorin, die nach einer relativ langen Zeit wieder mit einem Werk konfrontiert wird, mit dem sie lange schon abgeschlossen hat und dem inzwischen zahlreiche Bücher nachgefolgt sind.
Auf A. L. Kennedys Homepage steht auf die Frage "Do you like your books?" die denkwürdige Antwort: "Nein. Ich hätte es gern besser hingekriegt." Man darf sich also auf Neues freuen.

p.w. - red. / 2. Juni 2004


Bei Wagenbach außerdem erschienen:

Hat nichts zu tun mit Liebe. Erzählungen, 2003. WAT 403
Alles was du brauchst. Roman, 2002. Quartbuch, gebunden
Ein makelloser Mann. Drei Erzählungen, 2001. Quartbuch, gebunden sowie als LeseOhr, CD, gelesen von Sophie Rois Stierkampf, 2001. Quartbuch, gebunden
Gleißendes Glück. Roman, 2000. Quartbuch, gebunden

Siehe auch:

www.a-l-kennedy.co.uk