home
kunst
musik
literatur
theater
film
compu Art
extra
 
redaktion
 
junior
Besprechung

Starttermin: 19. August 2004

COFFEE AND CIGARETTES

USA 2003, 96 min.
Buch und Regie: Jim Jarmusch

Darsteller: Roberto Benigni, Steven Wright, Iggy Popp, Tom Waits, Cate Blanchett, Bill Murray, RZA, GZA u.a.



Was machen zwei Menschen, wenn sie in einem Café zusammenkommen? Sie unterhalten sich über dies und jenes, manchmal angeregt, oft belanglos. Und mit größter Wahrscheinlichkeit trinken sie (mindestens) eine Tasse Kaffee und rauchen dazu vielleicht (mindestens) eine Zigarette.

Tom Waits und Iggy Pop in "Coffee and Cigarettes" (c) filmstarts.de
Jim Jarmusch hat über Jahre seine Freunde – Schauspieler und Musiker – an schwarz-weiß karierte Tische gesetzt und sie bei diesem Ritual beobachtet. Daraus sind Variationen in elf Bildern entstanden: über Menschen und ihre genüßlichste Nebenbeschäftigung.

Und noch mehr. Denn zwischen dem Schwarz des Kaffees und dem Weiß des Zigarettenrauchs läßt Jarmusch viele Nuancen jener elementaren Stimmungen aufscheinen, die Menschen zumindest für diesen einen flüchtigen Augenblick zusammenhalten.

Dabei können durchaus skurrile Situationen entstehen. Zum Beispiel wenn zwei Unbekannte aufeinandertreffen, Roberto (Roberto Benigni) und Steven (Steven Wright). Und weil Roberto für den ganzen langen Tag noch nichts anderes vor hat und Steven keine Lust auf Zahnarzt, kann sich Roberto an Stelle von Steve sofort auf den Weg zu seiner nächsten Bekanntschaft machen.

Daß solche Bilder für sich allein sprechen, liegt daran, daß Jarmusch die Kamera unprätentiös den Tischen zugesellt. Wie in dieser so nähert sie sich auch in den restlichen Szenen den zweisamen Mikrokosmen nur vorsichtig aus sicherer Distanz heraus. Die Tischgesellschaften verwandeln sich in kleine einsame Inseln inmitten des leeren Cafémobiliars und werden dort sich selbst überlassen, nur gelegentlich gestört von einem Ober. Und wenn die Kamera ab und an die panoptische Stellung einnimmt, um uns über die halbleeren Tassen und halbvollen Aschenbecher hinweg vom Zustand dieser Universen zu berichten, tut sie das ohne weitere Hintergedanken.

Wo Schwarz und Weiß sind, kann keine Langeweile aufkommen. Daß aus dem Miteinander-Reden dennoch kaum richtige Gespräche werden, liegt weniger an den unüberwindbaren Gegensätzen zwischen den Tischnachbarn. Die Kraft dieser Capriccios entspringt vielmehr der Paradoxie, daß hier die berühmten Menschen eigentlich sich selbst mimen. Aber Jarmusch läge nichts ferner, als daraus etwa eine Selbstbespiegelung oder gar Introspektion in die Seelen der Berühmten vorzunehmen.

Der Zigarettendunst erweist sich als Schleier, hinter dem man sich gut verstecken kann. So handelt dieser Film im Grunde vom Spiel der Masken. Niemand kann Tom Waits abnehmen, daß er Arzt ist und zudem am Straßenrand Verletzte mit einem Kugelschreiber notoperiert – auch Iggy Pop glaubt das nicht. Zueinander finden diese zwei auf ritualisierte Weise erst über die Komplizenschaft der ehemaligen Raucher, die, seit sie aufgehört haben, endlich ohne Gewissensbisse zum Glimmstengel greifen dürfen. Was jedem auf der Zunge bzw. auf dem Gaumen liegt, wird nicht ausgesprochen, sondern unmißverständlich vorgespielt.

Wozu allzu viel Offenherzigkeit führen kann, zeigt in der folgenden „Zwillings-Szene“ das Beispiel des geschwätzigen Kellners Steve (Steve Buscemi), der sich in verschwörerischem Ernst über den wahren und den falschen Elvis verbreitet. Wer tatsächlich ernst meint, was er sagt, macht sich lächerlich. Der Mensch ist eben sein eigener Zwilling; will heißen, es sind stets zwei unterschiedliche Antworten auf eine Frage möglich.


Cate Blanchett in "Coffee and Cigarettes" (c) filmstarts.de
Einen wahren Höhepunkt erreicht der Film in der „Kusinen-Szene“, die das Rollenspiel auf die Spitze treibt. Denn Cate Blanchett spielt nicht nur sich selbst als Movie-Star; sie ist auch ihre Kusine Shelley. Die eine versucht mit verklemmt-bescheidenem Gestus ihren Glamour herunterzuspielen – oder besser gesagt, sich die neuerworbene Maske nicht durch die neidisch-bissigen Attacken der Kusine herunterreißen zu lassen. Die andere gibt den aufsteigenden Stern am Musikhimmel, entpuppt sich dann aber nur als die Freundin eines eher unberühmten Drummers. Diese Selbsttäuschung kann sie nicht einmal vor sich selbst souverän verbergen.

Kaffeetrinken und Rauchen sind geradezu das Sinnbild des Alltäglichen: flüchtig, beiläufig, kurzweilig. Droht der Alltag einen schalen Beigeschmack zu bekommen, läßt sich seiner Schwerkraft nicht genüßlicher entgegentreten als mit einem Schluck Kaffee im Zigarettendunst. Zum Beispiel in Verbindung mit der Vision von einem „Tesla-Trafo“, der Energie und Kommunikation in einen kostenlosen Rohstoff verwandeln und auch den Armen der Welt zugänglich machen soll. Daß die Vorführung dieses Traums durch Jack (Jack White von der Gruppe White Stripes), wie einst bei Tesla selbst, dann doch daneben geht, bringt das Zukunftsprojekt nicht zum Stillstand; vielmehr inspiriert es Meg (Meg White, die Trommlerin der Gruppe) dazu, anhand ihrer eigenen Kaffeetasse den Satz „Er sah die Erde als Leiter akustischer Resonanz“ zu verifizieren. Über dessen Sinn muß sie aber weiter rätseln.

Oder durch die Reminiszenz auf die viel rosigere Vergangenheit, vor allem wenn man an die Goldenen 20er in Paris oder die 70er in New York zurückdenkt. Die Gegenwart bietet halt nichts weiter als lausigen Automatenkaffee, den die zwei Lebemänner von einst (Taylor Mead, Bill Rice) im Dämmerlicht nach Feierabend dennoch anmutig in einen edlen Schluck Champagner zu transsubstantiieren wissen. Denn sie sind „der Welt abhanden gekommen“ – wie in der Mahler-Arie, der sie nachlauschen.

So werden wir mit dieser letzten Szene schließlich in heiter-melancholischer Stimmung nach Hause entlassen. Und können uns genüßlich eine Zigarette anzünden – die Nicht-mehr-Raucher mit umso ruhigerem Gewissen.

Bill Murray, RZA und GZA in "Coffee and Cigarettes" (c) filmstarts.de


Jovica Lukovic, 3. September 2004
ID 00000001219

Weitere Infos siehe auch: http://www.coffeeandcigarettesmovie.com






Inhalt Celluloid:

Kurzinfos und Meldungen

Drehbücher, Projekte und Arbeiten

Themen:
Film-Kritiken, Besprechungen, Tipps

Feuilleton:
Berichte, Diskussionen, Beiträge

Zeitgenössisches Judentum im aktuellen Kino

Reihe Türkischer Film

Kinematographische Kuriositäten

0.99 EURO FILME

Stiefkind des Monats:


Schwarzes Brett in Sachen Film:

Veranstaltungen, Termine, Links, Kalender
einfach eintragen!
enter yourself.

 


[Home] [Kunst] [Musik] [Literatur] [Theater] [Celluloid] [CompuArt] [Redaktion] [Extra] [Junior]
Rechtshinweis
für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und die Inhalte haben!

© 2004 Kultura-Extra (alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar.)
esetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und die Inhalte haben!

© 2004 Kultura-Extra (alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar.)