Konrad Klejsa / Schamma Schahadat (Hg.) - „Deutschland und Polen: Filmische Grenzen und Nachbarschaften“
Schüren Verlag, 2011 ISBN: 978-3-89472-569-3
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Permanenter Balanceakt
Ein Aufsatzband über die wechselvollen deutsch-polnischen Beziehungen am Beispiel der Filmgeschichte
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Das filmhistorische Sachbuch Deutschland und Polen: Filmische Grenzen und Nachbarschaften bietet nicht nur Cineasten eine Fülle informativer Fakten und Anekdoten, sondern generell all jenen, die an der gemeinsamen Historie der ungleichen Nachbarländer Interesse haben. Schon bei der Gründung der jeweiligen Filmproduktions- und Verleihfirmen (Ufa/Tobis, Warschauer Kinematografische Aktiengesellschaft) waren die Regierungen beider Länder beteiligt und die de-facto-Verstaatlichung der deutschen Filmindustrie zwischen 1933-45 und der polnischen zwischen 1945-90 führte zu einem von ständigen Kalamitäten, Missverständnissen und Provokationen belasteten Verhältnis. Kein Wunder also, dass z. B. die Autorin Urzula Biel bei ihren Recherchen für die Darstellung des deutsch-polnischen Filmaustausches von 1933-39 insbesondere in den Archiven der jeweiligen Außenministerien fündig wurde.
In ihrem aufschlussreichen Aufsatz berichtet Biel, wie 1933 von der Reichsfilmkammer sogar als Filmhändler getarnte Spione gen Warschau entsandt wurden, die dort über die Präsentation deutscher Filme auf polnischem Gebiet Berichte verfassen sollten. Zwar wurden die damaligen bilateralen Gespräche zwischen Vertretern der Filmindustrien durch die vielen nationalistischen Töne von Politikern und Unternehmern des Nazi-Reiches schwer belastet, rissen aber doch bis kurz vor Kriegsausbruch nie ganz ab. Zu bedeutsam erschien deutschen Produktions- und Verleihfirmen das große Polen als Absatzmarkt, wie umgekehrt polnische Kinobetreiber aufwändig produzierte Filme made in Babelsberg als besonders kassenträchtig schätzten. Verblüffend zu lesen, dass selbst deutsche Boykottaufrufe gegen Kinos jüdischer Bürger Polens, die damals 60 Prozent aller Lichtspieltheater ausmachten, nur kurzfristig zu Verwerfungen führte. Immer wieder verhandelten Vertreter der beiden Filmwirtschaften bis 1937 erfolgreich Kompromisse aus, bis die Nazis daran kein Interesse mehr hatten.
Andere Autoren beschreiben in ihren jeweils akribisch recherchierten Aufsätzen die Phasen der kriegsbedingten Abkühlung, wobei unterhaltsame TV-Serien wie Sekunden entscheiden über heroische polnische Widerstandskämpfer – bis heute nachwirkende – propagandistische Abziehbilder vom ‚bösen (West-)Deutschen‘ produzierten. Ganz anders hingegen der Einfluss des „anderen“ polnischen Nachkriegskinos, die in den 70er und 80er Jahren zu Kooperationen westdeutscher Produzenten (in Berlin z. B. Artur Brauner und Regina Ziegler) und Fernsehsender mit anerkannten polnischen Regisseuren wie Wajda und Kieslowski führte. Aufgrund staatlicher Zensurmaßnahmen waren die Früchte dieser Annäherung in Polen selbst leider kaum je zu sehen.
Ein spannendes Kapitel ist auch die wechselhafte Rezeption polnischer Filme in der DDR-Zeitschrift Filmspiegel: Galten die Filme aus dem sozialistischen Bruderland zunächst als ästhetische Offenbarung und auch für DEFA-Maßstäbe als vorbildlich, wurden sie nach den Erfolgen der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc im Magazin totgeschwiegen. Schwer vorstellbar, dass es noch irgendeinen Aspekt der deutsch-polnischen Filmgeschichte gibt, den diese vorbildliche, von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung geförderte Publikation übersehen hätte.
Max-Peter Heyne – red. 13. Dezember 2011 ID 5535
Deutschland und Polen: Filmische Grenzen und Nachbarschaften
Herausgegeben von Konrad Klejsa / Schamma Schahadat
304 S. mit zahlreichen Abb.
Schüren Verlag, Marburg 2011
Preis: 29,90 €
ISBN: 978-3-89472-569-3
Siehe auch:
http://www.schueren-verlag.de
Post an den Rezensenten Max-Peter Heyne
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