AutorInnen-Porträts:
Nikola Hahn |
Info zum Buch aus dem Verlagsprogramm des Ullstein Taschenbuchverlags:
Seit achtzehn Jahren rackert sich Hedi nun schon ab. Beruflich als
Krankenschwester, privat für den Polizisten-Ehemann Klaus und ihre
pubertierenden, ziemlich ungnädigen Kinder. Als sich eines Tages eine alte
Schulfreundin bei ihr meldet, die ein gänzlich anderes, "total
selbstverwirklichtes" Leben führt, beschließt Hedi, es der smarten Vivienne
nachzumachen. Und als sie dann noch die geliebte alte Wassermühle ihrer Tante
erbt, verläßt sie kurzentschlossen ihre Familie und zieht mit Vivienne dort ein.
Klaus muß nun nach dem stressigen Dienst auch noch den Haushalt schmeißen.
Natürlich will er seine Frau zurückerobern, denn einerseits fehlt Hedi ihm, und
andererseits kommt Vivienne ihm nicht gerade koscher vor. Also betätigt sich der
Streifenpolizist nach Feierabend als Privatdetektiv ...
Leseprobe
Kissel wartete, bis alle Geräusche im Raum verstummt waren. "Meine Herren! Ich darf Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß Frau Polizeikommissarin zur Anstellung Dagmar Streibel ab heute in Ihrer Dienstgruppe Dienst versehen wird. Ganz besonders freut es mich, daß es mir gelungen ist, die seit längerem vakante Stelle von Kollegin Schmidt wieder mit einer jungen Dame besetzen zu können."
"Blablabla", raunte Klaus seinem Streifenpartner Uli ins Ohr.
"Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, meine Herren, geht mein Bestreben dahin, in allen Dienstgruppen mindestens eine weibliche Beamtin zu haben. Im Gegensatz zu so manchem Gestrigen in unseren Reihen, bin ich nämlich durchaus der Meinung, daß Frauen für die Polizei eine Bereicherung darstellen. In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen verraten, daß unsere junge Kollegin die Polizeifachhochschule als Jahrgangsbeste abgeschlossen hat. Der eine oder andere unter Ihnen wird also einiges von ihr lernen können, was rechtstheoretische Fragen angeht."
Kommissarin z. A. Streibel bekam einen roten Kopf.
Klaus fand, daß sie höchstens zwei Jahre älter aussah als Dominique. Da sie mit ihrer Ausbildung fertig war, mußte sie jedoch mindestens einundzwanzig sein. Die Ärmel ihres Uniformhemds waren zu lang, die Manschetten über ihre schmalen Handgelenke gerutscht. Die flotte Kurzhaarfrisur paßte nicht zu ihrem unsicheren Auftreten. Klaus fragte sich, welcher Teufel sie geritten hatte, zur Polizei zu gehen.
Jochen Kissel reichte ihr die Hand. "Ich darf mich vorerst von Ihnen verabschieden?" Er wies auf Michael. "Der Dienstgruppenleiter der Dienstgruppe Dora, Herr Stamm, wird sich um Sie kümmern und Ihnen einen kompetenten Beamten zur Seite stellen, der Sie in die Dienstgeschäfte einweisen wird. Sollten Sie darüber hinaus irgendwelche Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, zu mir kommen. Ich werde stets ein offenes Ohr für Ihre Sorgen und Nöte haben." Er lächelte ihr zu und verließ den Raum.
Michael Stamm stand auf. "Am besten kommst du erst mal mit mir nach vorn auf die Wache, und wir erledigen den ganzen Papierkram."
Dagmar Streibel nickte erleichtert. Sie gingen hinaus.
"Ich werde stets ein offenes Ohr für Ihre Sorgen und Nöte haben", äffte ein junger Polizist Kissel nach. "Ich möchte wissen, warum die Sesselfurzer um die Weiber immer so ein Geschiß machen! Zu mir hat er vor einem Jahr gesagt: Da ist die Wache! Den Rest erklärt Ihnen der Dienstgruppenleiter."
"Vielleicht hättest du dich sorgfältiger schminken sollen, Stampe!" sagte ein solariumgebräunter Beamter in Klaus' Alter.
Alle lachten.
"Du mußt gerade dein Maul aufreißen, Hans-Jürgen!" sagte Stampe gereizt. "Wo du im Umkreis von zehn Kilometern keinem Rock widerstehen kannst!"
"Die Kleine ist ein bißchen zu dünn für meinen Geschmack", sagte Hans-Jürgen süffisant. "Aber einen knackigen Hintern hat sie."
"Ganz im Gegensatz zu dir", sagte Stampe und hatte die Lacher auf seiner Seite.
"Zeit für eine Streife, oder?" sagte Klaus zu Uli.
"Seid ihr nicht neugierig, wem Michael unsere weibliche Beamtin zuteilt?" fragte Stampe.
"Da unser Herr Kissel etwas von einem kompetenten Beamten erzählt hat, wird es Kollege Winterfeldt kaum treffen", sagte Hans-Jürgen grinsend.
Klaus zog es vor zu schweigen.
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Nikola Hahn: "Worte", Tuschezeichnung, 2000 - Abbildung aus dem Buch "Die Wassermühle"
copyright nikola hahn/ullstein verlag münchen 2000
Weiter Zeichnungen von Nikola Hahn:
http://www.nikola-hahn.de
Es lohnt sich!!
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Aus dem Exposé
Nikola Hahn, die als Kriminalhauptkommissarin im Ballungsraum Rhein-Main
arbeitet und lebt, ist genau wie ihre Romanhelden Hedi mit einem Polizisten
verheiratet, aber kinderlos. Aus ihrem weitläufigen Bekannten- und
Verwandtenkreis weiß sie nur zu gut, um die Schwierigkeiten, Mutterpflichten und
Berufsanforderungen unter einen Hut zu bekommen, und für die im Roman
geschilderten Querelen mit dem Nachwuchs haben einige real existierende Kinder
als Vorlage gedient. Die Episoden aus dem Berufsleben des Schutzpolizisten Klaus
Winterfeldt und seiner jungen Kollegin Dagmar gründen weitgehend auf
Erlebnissen der Autorin, die vor dem Wechsel zur Kriminalpolizei als
Streifenpolizistin arbeitete. Die durch authentische Details angereicherte
Schilderung der kleinen und großen Widrigkeiten des Polizeidienstes verleihen
dem Roman einen besonderen Reiz. In der Figur der Malerin Vivienne Chantal
verarbeitet Nikola Hahn einen weiteren Teil eigener Erfahrungen: Als Ausgleich
zu ihrem stressigen Beruf widmet sie sich nicht nur dem Schreiben, sondern
zeichnet abstakt gegenständliche Bilder, mit denen sie bereits an kleineren
Ausstellungen teilnahm.
Interview mit Nikola Hahn geführt von Gabi Beusker/Presse Econ Ullstein List Taschenbuch |
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Frau Hahn, wie kommt eine Kriminalhauptkommissarin dazu, Romane zu schreiben?
Erste Geschichten schrieb ich schon als Kind in Schulheften auf - meine Passion
fürs Schreiben ist also viel älter als meine inzwischen 16jährige Berufslaufbahn
bei der Polizei.
Hilft Ihnen das Schreiben, Erlebnisse aus Ihrem beruflichen Alltag zu
verarbeiten?
Irgendwo wahrscheinlich schon, aber wohl eher unbewußt. Ich liebe es, mir
Geschichten auszudenken, Menschen und Welten zu erfinden. Natürlich fließen da
auch eigene Erlebnisse und Erfahrungen ein, aber weniger, um sie für mich zu
verarbeiten (das kann ich besser im stillen Kämmerchen), sondern, um sie für den
Leser in eine spannende, unterhaltsame Geschichte einzuweben.
Inwieweit fließen Ereignisse ihrer Polizistinnen-Laufbahn in Ihre Romane ein?
"Die Details werden dem einen oder anderen bekannt vorkommen" : Dieser Hinweis
steht bewußt am Anfang der "Wassermühle", und jeder, der mich kennt, wird beim
Lesen merken, was ich meine. Auch in meinen historischen Roman "Die Detektivin"
sind gewisse Erfahrungsmomente aus meinem Dienstleben eingeflossen, aber da
mußte ich sehr behutsam vorgehen, da das Buch in einer völlig anderen Zeit
spielt. In "Die Wassermühle" hatte ich da herrliche Freiheiten, und so findet
sich in dem Roman auch das eine oder andere Authentische aus Polizeiprotokollen
und der "Begegnung" zwischen Polizisten und Bürgern.
Welche Personen oder Situationen der "Wassermühle" haben reale Vorbilder?
Die Hauptpersonen in meinen Romanen sind immer fiktiv; ich will vermeiden, daß
jeder, der mich kennt, Angst haben muß, daß er im nächsten Roman vorkommt. Bei
Situationsschilderungen liebe ich es, Fiktion und Reales so miteinander zu
verquicken, daß der Leser die Fiktion für Realität und die Realität für Fiktion
hält. Das ist ja das Schöne beim Schreiben: hemmungslos fabulieren zu dürfen.
"Richtig" authentisch ist eigentlich nur der in einer Nebenrolle auftretende
Kommissar "Kunze" samt seiner im ganzen Polizeipräsidium Offenbach berüchtigten
Teekanne.
Ihr erster Roman "Die Detektivin" war ein historischer Roman. Mit der
"Wassermühle" machen Sie einen großen Sprung in die Gegenwart ...
Ja. "Die Detektivin" erzählt eine tragische Geschichte aus den Anfängen der
Kriminalistik im 19. Jahrhundert, ich nehme den Leser sozusagen auf eine Reise
zu dem Wurzeln meines Berufstandes mit. Bei Lesungen wurde ich öfter gefragt,
warum ich nicht mal etwas aus dem Polizeialltag von heute schreibe. "Die
Wassermühle" ist die Antwort darauf. Und ein bewußter Gegenentwurf zu den heute
üblichen "Frauenromanen" mit ihren trendy durchgestylten Superheldinnen.
Sie begeben sich sozusagen beruflich und privat auf Verbrecherjagd. Sehnen Sie
sich nicht manchmal nach einem weniger kriminellen Milieu?
Das habe ich mir schon geschaffen: Ich bin seit Jahren in der
Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren aktiv, arbeite dort in der
Redaktion einer Literaturzeitschrift. Ebenfalls seit Jahren helfe ich Menschen
dabei, Brieffreunde in aller Welt zu finden, ich liebe Gartenarbeit, sammele
seltene Kräuter; wie die Bäuerin Elli in "Die Wassermühle" vermehre ich alte
Tomatensorten, wie Künstlerin Vivienne Belrot male ich, allerdings nicht in Öl,
sondern mit Farbstiften, gegenständlich-abstrakt. Und die wenigsten meiner
Freunde und Bekannten sind bei der Polizei.
Verarbeiten Sie auch aktuelle gesellschaftliche Themen in Ihren Romanen? Durch
die tödlichen Schüsse auf vier Ihrer Kollegen ist ja in letzter Zeit eine heiße
Mediendiskussion entbrannt ...
1987 mußte ich miterleben, wie zwei meiner Kollegen an der Startbahn West am
Frankfurter Flughafen erschossen wurden. Natürlich macht man sich Gedanken,
redet, diskutiert, fragt nach dem Warum. Ich weiß, daß es keine absolute
Sicherheit geben kann, daß die Gefahr, verletzt oder sogar getötet zu werden,
zum Risiko des Polizeiberufs zählt, aber im Alltagsgeschehen denkt man wenig
darüber nach. In der "Wassermühle" schildere ich eine Routinekontrolle, die
unversehens eskaliert. Daß das allerdings von der Realität so bald auf tragische
Weise überboten würde, konnte ich beim Schreiben nicht ahnen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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