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AutorInnen-Porträts: Raymond Dittrich

Raymond Dittrich

rdittrich.biblio@bistum-regensburg.de



Online-Interview mit
Raymond Dittrich
vom 27.09.02


Buchrezension
"Gassenblicke"

Kurzbiographie

Raymond Dittrich
wurde 1961 in Hamburg geboren, studierte dort Musikwissenschaft und Philosophie und kam1993 als Bibliotheksreferendar nach München. Seit 1996 lebt er in Regensburg, wo er die Musikabteilung der Bischöflichen Zentralbibliothek leitet (e-mail: rdittrich.biblio@bistum-regensburg.de). Er ist seit einigen Jahren auch literarisch tätig mit einem Schwerpunkt in der Lyrik.

Bibliographie (Belletristik)

  • Figurentheater. Gedichte. Mit Zeichnungen von Michael Blümel, Schweinfurt: Wiesenburg-Verlag, 2000
  • Gewicht ihrer Tage. Gedichte. Mit Zeichnungen von Michael Blümel, Schweinfurt: Wiesenburg-Verlag, 2001
  • Gassenblicke. Texte und Fotos zu einem urbanen Thema, Scheinfurt: Wiesenburg-Verlag, 2002
  • Kaltnadelradierung. Gedichte. Unveröffentlichtes Manuskript, erscheint voraussichtlich 2003
Zur Zeit Arbeit an einem Band mit Übersetzungen des russischen Lyrikers Nikolaj Rubcov (zusammen mit Tamara Kudrjavceva, Institut für Weltliteraturen an der russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau)


Leseprobe
Werbewelten

Die Welt ein Lächeln,
die lächelnde Welt,

Und glaubt fast
selbst daran,

Wem zerschlagen aber,
wem müde
(verdächtig darum)

auf den Lippen
das Lächeln

erstorben ist.

(aus: Figurentheater)

Online-Interview mit
Raymond Dittrich


vom 27.09.02

Herr Dittrich, wie würden Sie Ihren literarischen Werdegang beschreiben? Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen und was waren die Motive dafür?

Geschrieben habe ich schon während meiner Schulzeit, auch später als Student, mit kürzeren oder längeren Pausen dazwischen. Damals war ich für kurze Zeit Mitglied im "Bundesverband junger Autoren", der auch heute noch sehr engagiert ist. Aber von den Texten aus dieser Zeit existiert nichts mehr, bis auf ein paar Beiträge in Anthologien der damaligen Kölner Autorenintiative um Axel Kutsch.
Die Motive? Mit dem Schreiben ist es wie mit Essen und Trinken: man hat keine Wahl, man muß einfach. Bei näherem Nachdenken lassen sich sicher rationalere Gründe finden: sich scheibend über etwas klar zu werden, eine Lebenswirklichkeit konzentriert, eben "verdichtet" zu erfassen. Aber das eigentliche "Urmotiv" des Schreibens ist, scheint mir, irrational.


Sie sind ein junger Autor mit einem scharfen Blick für Vergangenes sowohl in ihrem Buch `Gassenblicke´ als auch in ihren Gedichten. Woher kommt die Freude an der Recherche für das Vergangene?

Vergangenes hat mich schon immer fasziniert. Der erste Auslöser ist dabei vielleicht der Reiz des Fremden. Aber jeder, der sich ernsthaft mit der Vergangenheit beschäftigt, wird sehr schnell Bezüge zur Gegenwart erkennen und herstellen können. Um unseren gegenwärtigen Standort zu verstehen, ganz gleich, ob auf kulturellem oder gesellschaftlichem Gebiet, ist eine Beschäftigung mit der Geschichte meines Erachtens unerläßlich. Wir schweben ja nicht so "grundlos" im Raum, sondern haben schon einen weiten Weg hinter uns (und - hoffentlich - noch vor uns).


Als ich Ihre Gedicht las, habe ich mir vorgestellt, wie und wann sie diese schreiben. Vielleicht in der Nacht bei Kerzenschein oder tagsüber, wenn die Inspiration sich in Worte faßt und schnell auf ein Blatt Papier gekritzelt wird? Wie muß man sich ihr Schaffen vorstellen?

Ich bin kein hauptberuflicher Schriftsteller, sondern habe als Musikbibliothekar, der mit historischen Quellen arbeiten darf, einen ebenso spannenden Beruf, wobei ich beide Bereiche strikt auseinander halte. Das heißt, für das eigene Schreiben bleiben nur die Abende und die Wochenenden. Allerdings habe ich immer ein paar Zettel in der Tasche, auf denen ich schnell einzelne Worte oder Ideen notieren kann, die sonst womöglich vergessen wären. Aber die Ausarbeitung, die eigentliche literarische Arbeit, findet dann am heimischen Computer und bei elektrischem Licht statt (wie kommen Sie auf Kerzenschein???).


Sie zeichnen sich aus als Autor mit viel Liebe zum Detail. So schaffen Sie es in `Gassenblicke´ eine "Lebenswirklichkeit" zu kreieren, die weit über eine rein kulturhistorische Betrachtung des Wortes Gasse hinausgeht. Man könnte es fast eine psychologische Betrachtungsweise des Phänomens der Gasse nennen oder welche Worte würden Sie wählen?

An Psychologie bin ich eigentlich nicht interessiert. Ich würde eher von einer poetischen Betrachtungsweise der Gasse sprechen.


Ihre Gedichte sind häufig Naturbeschreibungen oder beziehen sich auf literarische, philosophische und biblische Figuren. Erzählen Sie uns damit etwas über ihre Gefühls- und Gedankenwelt oder sind es Darstellungen von Impressionen und Assoziationen, die durch genaue Beobachtungen zustande kommen?

Die Naturgedichte beruhen ja häufig auf Metaphern, Bildern, Vergleichen. Sie entwickeln keine eigentliche Aussage. Von daher steht bei ihnen die Impression und Assoziation stark im Vordergrund. Die anderen Themen spiegeln dagegen durchaus wider, was mich gedanklich oder gefühlsmäßig beschäftigt.


Oft wünschen sich Autoren so etwas wie eine Botschaft, eine Aussage zu vermitteln. Sie betonen, daß es Ihnen beim Schreiben auf eine `poetische Verbindlichkeit´ ankommt. Liegt darin so etwas wie ihre Botschaft an den Leser?

Worauf es mir beim Schreiben (insbesondere von Gedichten) ankommt, ist etwas, das ich "poetische Verbindlichkeit" nenne. Dieser Begriff meint nicht eine bestimmte Form oder ein bestimmtes Thema, er ist in dieser Hinsicht sehr offen. Die Verbindlichkeit, von der ich spreche, hat zwei Seiten. Die eine ist nach außen gerichtet, auf den Leser hin. Dieser soll sich verbindlich von einem Text angesprochen fühlen, die innere Notwendigkeit des Gedichtes erspüren können, gleichgültig, ob es sich um ein Naturbild oder ein engagiertes kritisches Gedicht handelt. Die andere Seite ist poetologischer Art, richtet sich auf den Text selbst, auf die "Verbindlichkeit der Worte zu- und untereinander".
Für die poetische Verbindlichkeit gibt es kein Rezept. Sie muß mit jedem Gedicht neu gesucht und verwirklicht. werden. Für mich zählen hierzu häufig poetische Mittel wie Aussparung, Andeutung, Bildhaftigkeit, Verdichtung ... Es können für einen anderen Autor aber andere Mittel sein, der Begriff ist, wie gesagt, sehr offen. Wichtig ist letzlich nur, ob das Gedicht den Anspruch der Verbindlichkeit einlöst, sowohl der Poetik gegenüber wie dem Leser.
Der Begriff der "poetischen Verbindlichkeit" ist inhaltlich nicht festgelegt, das kann man ihm leicht vorwerfen. Er ähnelt darin ein wenig dem Kantschen "Kategorischen Imperativ", der ja auch nur "formal" bestimmt ist. Ich will meinen Lesern nicht eine bestimmt Meinung aufzwingen, sie von diesem oder jenem überzeugen. Aber von dem, was ich ihnen sage, sollen sie sich verbindlich angesprochen fühlen, das wäre mein Wunsch. Ob das jeweils gelingt, ist eine andere Frage.


Sie sind in Hamburg geboren und aufgewachsen. zogen 1993 nach München und leben seit 1996 in Regensburg. Ihr Buch `Gassenblicke´ scheint mir u. a. von ihrem jetzigen Lebensraum inspiriert. Zu welchen Themen könnte Sie ein anderer Lebensraum inspirieren?

Es ist richtig, daß die Umgebung, in der einer lebt, auch sein Schreiben prägt. So ein Gassenbuch wird wohl nur jemand schreiben, der längere Zeit in einer alten, gassenreichen Stadt gelebt hat. Obwohl ich einige Naturgedichte gemacht habe, bleibt aber die Stadt mein bevorzugtes Thema, ich bin ein reiner Stadtmensch, mich fazinieren Städte und ihre Geschichte. Meine Prosatexte spielen alle in der Stadt, nie auf dem Land, ich würde dort auch nicht wohnen wollen. Würde ich wieder in einer modernen Großstadt wie Berlin oder Hamburg leben, würden sich die Themen dementsprechend sicher variieren, aber das städtische Thema, die städtische Kulisse würde bleiben.


Welche weiteren literarischen Projekte dürfen wir von Ihnen erwarten?

Zur Zeit arbeite ich an Übersetzungen von Gedichten des russischen Lyrikers Nikolaj Rubcov, der 1971 erst 35-jährig gestorben ist. Seine Gedichte sind in Russland sehr populär, sind auch vertont worden, drei oder vier russische CDs gibt es mit Liedern nach seinen Gedichten. In Deutschland ist er noch so gut wie unbekannt. Seine Texte stehen der Lyrik von Sergej Jessenin nahe, sind aber doch sehr eigenständig. Die Anregung zu dem Projekt gab eine Moskauer Germanistin am Institut für Weltliteraturen an der Russischen Akademie der Wissenschaften, Tamara Kudrjavceva. Mit ihr zusammen entstehen die Übersetzungen. Da 2003 in Deutschland das "Russische Jahr" ist, würden die Texte gut dazu passen. Nebenbei bemerkt, es ist eine ausgesprochen gute Übung, fremdsprachige Lyrik ins Deutsche zu übersetzen, eine Übung, die jedem Lyriker wärmstens zu empfehlen ist. Und dann steht weiter noch ein Band mit eigenen Kurzprosatexten an, aber zunächst haben die Übersetzungen Vorrang.


Was würden Sie als Ihr Wunschthema bezeichnen, was Sie gerne in der Zukunft einmal anpacken würden? Wie müßten sich ihre derzeitigen Lebensbedingungen ändern, das die Verwirklichung der Idee machbar wäre?

Theaterstücke würde ich gerne schreiben, ich bin ein begeisteter Theatergänger. Aber das ist wirklich noch Zukunftsmusik. An meinen Lebensbedingungen bräuchte sich dazu nichts ändern.


Wir Leser erfahren gerne auch etwas über das Privatleben eines Autors. Wie würden sie ihre private Lebenssituation beschreiben?

Nun, mein Leben wäre für einen Beobachter sicher sehr unergiebig. Die meiste freie Zeit verwende ich aufs Lesen und Schreiben. Da sitzt man stundenlang für ein paar Worte. Ein Zuschauer würde einschlafen. Übrigens bin ich ziemlich unsozial, aber das muß ein Autor zumindest zeitweise wohl auch sein, weil ihm sonst die Zeit davonlaufen würde. Eine Vorliebe? Durch fremde Städte gehen, ohne Reiseführer, auf eigene Faust.

Ich bedanke mich recht herzlich für das Interview
i.k. - red


Siehe auch:
Buchrezension: "Gassenblicke"
 
siehe auch / Literatur:
AutorInnen- und Verlags-Porträts

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