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Johanna König
Textauszug aus
"Das Engelskind oder Die dünne Haut der Bäume"
- vorraussichtliche Veröffentlichung des Romans 2003
Zwei Gedichte Biographie



Textauszug aus

"Das Engelskind oder Die dünne Haut der Bäume"

Das Spital der Unschuldigen hatte sie aufgenommen. Sie wurden durch den Innenhof geführt, wo sich am Ende des Gartens, der in der Mitte lag, eine weitverzweigte Schlucht von Gängen und Türen auftat. Benjamin konnte im Dunkel nicht gut sehen. Er folgte Gaitano und dem Engelskind, denen ein verhüllter Priester voraneilte.
Als sie endlich in einen erhellten Raum traten, war Benjamin beeindruckt von der glanzvollen Bestückung an Mobiliar darin. Lackierte Mahagoniholztruhen, verschnörkelt geschnitzte Stühle und ein riesiger Tisch, gedeckt mit edelstem Porzellan und kühl schimmerndem Silberbesteck. Aus den Schüsseln dampfte es. Suppen, Gemüse, Gebratenes standen zum Verzehr bereit. Dennoch, der Raum schien ein geheimes Zimmer zu sein, ein Versteck. Es wunderte Benjamin nicht, dass es so ein Zimmer gab, bei den strengen, asketischen Vorschriften in Florenz. Auch der Klerus war ein besseres Leben gewöhnt und wie es aussah, nicht so leicht bereit, das gute Leben und die Annehmlichkeiten aufzugeben.
Sie wurden eingeladen Platz zu nehmen und tüchtig zuzulangen.
Die Gegensätzlichkeit der Szenerie von vorhin und der Vornehmheit dieses Speisezimmers, nahm Benjamin nicht den Appetit. Er begann, auf Geheiß zu essen und auch das Engelskind und die beiden Brüder Gaitano und Pietro aßen beherzt mit ihnen. Die lange Wanderung hatte sie hungrig gemacht. Sie aßen schweigend. Schon in der Kemenate in Circae hatten sie schweigend gegessen und getrunken.
Der Priester setzte sich zu ihnen und begann zu sprechen.
"Es ist notwendig, euch von der Kinderpolizei zu erzählen. Denn sie werden schon bald kommen, um das Engelskind zu holen."
Benjamin hatte sich abgewöhnt, immer gleich alles zu hinterfragen. Erst wollte er sich, dabei essend, die Erklärungen anhören um dann seine Fragen zu stellen.
"In Florenz haben wir in diesen Tagen stets die harte Melodie des marschierenden Kinderpolizeikontingents in den Ohren. Immer wieder erleben wir die düstere nackte Atmosphäre der Auslieferung." Der Priester sprach leise, besorgt.
Benjamin beobachtete ihn und stellte in der ruhigen Haltung doch so etwas wie Anspannung fest. Der Priester hatte sich zu ihnen gesetzt, in vorgebeugter Haltung sprach er, als wüchsen aus der Wand Ohren.
Sein rasierter Haarwirbel glänzte matt im Kerzenlicht. Beim Eintritt ins Kloster wurde den Männern der Haarwirbel rasiert. Die Kutte, die dem Kleid der Frau symbolisch glich und die Tonsur als sichtbare Zeichen der Kastration.
Das Begehren in den Augen des Priesters war offensichtlich auf Pietro gerichtet und Benjamin war fasziniert von der Ungeniertheit des Gesichtsausdrucks.
Als der Priester fortfuhr mit seinen Erklärungen, musste Benjamin sich anstrengen aufmerksam zu bleiben.
"Savonarola stellt Florenz auf den Kopf. In jeder sexuellen Betätigung wirft er den Bürgern Ausschweifung vor. Selbst Eheleuten wird an bestimmten Feiertagen Enthaltsamkeit auferlegt und mit Hilfe von Vor- und Nachfristen, werden diese Zeiten ausgedehnt. Was der Frate nicht darf, scheinen seine Schäfchen auch nicht zu dürfen."
Währenddessen strich der Blick des Priesters zärtlich an Pietros Gestalt hoch. Wie immer Benjamin diesen Blick deuten mochte, der Gesichtsausdruck bedeutete Zärtlichkeit. In Benjamins Gedanken rollten Sehnsüchte durcheinander. Ausbrüche der vergangenen Traumreisen verwoben sich, mit, vor nicht langer Zeit Erlebtem. Hier, inmitten von Verboten und Strafandrohungen, einer von Kindern tyrannisierten Einwohnerschaft, wo ein frustrierter Dominikaner die Stadt in Schach hielt, eskalierte in den Straßen die Gewalt.
"Sieh nur zu, dass dir deine Gedanken keiner ansieht..." mahnte Zaddik in Benjamins Gehirn und brachte ihn wieder dazu, sich den Priester näher zu betrachten. Obwohl er absolut vertrauenswürdig schien, hatte er etwas zweideutiges an sich. Benjamin lauschte gespannt der Erzählung. Das Engelskind saß still. Als würde es das alles nichts angehen. Zuweilen sah es Benjamin in die Augen und was er da sah, deckte sich mit dem Gehörten. Verachtung lag im Blick des Kindes.


Johanna König 2003


 
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© 2003 Kultura-Extra (alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar.)
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