Literatur - Porträts - Ashmania
John Ashman - ASHMANIA



Für eine Handvoll Digitales (Redux)

Es gibt mal wieder nur Interessantes an diesem Montag hier im norddeutschen Flachland, dem ersten Arbeitstag einer neverending Woche. So ein Tag, bestückt mit flüchtigen Momenten, die scheinbar über ein Eigenleben verfügen, bekommt eine dynamisch-depressive Melancholie, die einem die Luft aus dem Darm zieht. Hier, auf den geschnittenen Bäumen der hiesigen Boulevardpresse, ballten sich namenlose Gedankenfetzen mit den seltsamsten Prägungen von überforderten Vorstadtpublizisten. Da wird Analfisting als °lympische Disziplin gefordert. Bei eBay werden Kontinente versteigert, Seelen angeboten oder Mitfahrgelegenheiten in andere Milchstraßen gedealt.

Wenn klatschspaltenleckende Schreiberlinge nicht wissen, was sie kritzeln sollen, fragen sie wohl ratlos in der abendlichen Saufrunde herumlungernde Kollegen, die mit wundgebecherter Leber allerhand berichten können.

Und zweitens: Gefesselt von so gehaltvoller Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik inspiziere ich hochinteressiert wie ein anerkannter Sportpsychologe, Hundescheiße durch eine Fensterscheibe, die ein Köter gerade genüsslich ablegt. Man kann den lähmenden Geruch förmlich sehen, den der Klumpen in der Kälte verströmt. Dem Straßenzustandsbericht zufolge gibt es viele von den Dingern in diesem Stadtteil. Ich habe mich bereits kundig gemacht, ob das urheberrechtlich auch o.k. ist.

Denke an früher. Früher, als alles noch besser war, gab’s ja den bedeutungsschwangeren Possen-Dragoner Dirty Harry, der uns im heimischen TV-Erlebnispark mit nimmersatten Nixen auf Motorhauben vor aus welchen Gräbern auch immer hervorgekrochenen Dschungelzombies rettete. Das war Liebe auf den gesenkten Blick, wie mit dem siebten Teil der Trilogie „Tim und Struppis Abenteuer im Darm des Pottwales“. Immer wenn ich darin blätterte, schlüpfte mein Geist in verschiedene Rollen: die des keuschen Schulmädchens, das gerade die Scharniere seines Tagebuchs ölte, oder einer durchgeknallten Mörderin, die in schwülen Nächten (wie diesen) seltsam glatzköpfige Politiker mit ihrer Federboa quälte und nicht zuletzt einer verliebten Kunsthistorikerin aus der bayrischen Provinz, die davon träumte, eine gutverdienende Hure zu sein.

Doch das war früher, und früher – da sind sie wieder, diese Gedanken. In letzter Zeit kommen sie häufiger, nicht mehr so unerwartet wie sonst, aber dennoch äußert erschreckend und konsumfeindlich. Gedanken, die den Abpfiff favorisieren, um als Punk auf einer versunkenen Insel „Den Kurs in Wundern“ zu studieren oder als Organspender bei den Illuminaten in einer anarchischen Freihandelszone sein Geld zu verdienen. Wohlwissend, dass „happy end“, das feuchte Toilettenpapier von Penny mit dem Kamillearoma, dahin nicht geliefert wird.

Hang °n! Was bleibt, nachdem ich die amerikanische Flagge feierlich in einer Kirche verbrannt hatte? Na klar, ab ins Internet. Im Freiflug in unendliche bizarre Klischee-Welten reisen, damit wir lechzend digitale und emotionale Zusammenbrüche von Rechnern und deren Sklaven live miterleben können. Um ganz trendy mit schrägen Subkulturen, Hunde-Striptease und Pferde-Geburten live zu verfolgen, auf einer der vielen Sodomie-Cams, die sich derzeit zuhauf im Web tummeln. Das ist so echt und alles ohne die Angst vor einschlägigen Entzündungen oder Geschlechtskrankheiten.

Ein wenig geschwächt durch innere Konflikte stochere ich das Gefühls-Chaos ohne Umwege ins Keyboard. Google öffne dich! Mit dem Rhythmus eines Teebeuteltrockners, extrem bemüht, ohne Hektik die Begrenzungen des virtuellen Raums aufheben, denn Hetzen schien unnötig und Zeit reichlich vorhanden.

Aber dann, ein Popup! Genervt von fortschreitender Hirnverbiegung will ich es gerade wegdrücken, da tauchen Infos über Hacken und Password-Spoofing auf, die mich sofort in ihren Bann ziehen. Da steht was von dem „Hackerbuch 2008“ als Pdf. Ich nicke und klicke voll von gieriger Hoffnung, dabei schießen Adrenalinstöße und Asbestverseuchtes Blut in unbekannte Körperregionen. Das war easy going – ein Kinderspiel. Doch was ist das, das so hoffnungsvolle Fenster in die Freiheit, der coole Link, entpuppt sich als Pornoaccount. Popups, wie sülziger Schlagerschleim à la Eurovision, fließen über den Screen. Auf einer gestrickten Kamelpeitsche sitzt da ungefiltert ein Mädel in einer Hatha-Yoga-Stellung und behauptet:

„Das leichte Kleben meiner Nippel an den Körbchen des BHs, der sanfte Druck des Slips gegen meine Lustkirsche und selbst dein Atem, der mein feuchtes Höschen angenehm berührt, erregen mich. Denn ich fühle mich heiß und unschuldig zugleich.“

Es wird Zeit, ob ich will oder nicht. Der Rechner gibt Warnsignale. Blonder, schüchterner Trojaner äußerst anhänglich und arbeitswütig möchte dich kennen lernen. Das flaue Gefühl in der Kniekehle und der tropfende Schweiß im Schritt lassen sich nicht länger ignorieren. Obwohl die Ration Vitaminpillen gegen Fußballfieber heute fehlt, leitet ein mir bis jetzt unbekannter Überlebenstrieb eindeutige Aktionen ein. Da der steckbrieflich Gesuchte schnell gehängt ist, bleibt noch ein wenig Zeit zum Atmen, bevor ich abends um 22:58 Uhr, politisch korrekt im Stechschritt, durch meine groteske Wohneinheit zur Küche eile, die eher an ein alternatives Bahnhofsklo erinnert.

Kurz vor dem Megakoma, genannt Schlaf, ist mir noch nach etwas Dreidimensionalen.

Die Reiseroute der Nahrungsmittel ist nicht mehr umzubuchen, taumelnd vor Entsetzen treffen sie auf willige Magensäfte. Bei diesem Ereignis überkommt mich wieder diese suizidale Müdigkeit. Schleppend kullere ich in die bleiernde Schlafvorrichtung und träume von einem glücklichen, gleichgültigen Punkerleben irgendwo zwischen Hamburg, den Lofoten und Idaho. Ohne immer an die tiefen Abgründe des Alltags erinnert zu werden, die permanent an einem knabbern. Ständig aber rein zufällig relaxte Schatten treffen, nicht diese Tippfehler-Terroristen oder andere Nickbomben von hier. Die würden zwar reizend als Dekoration auf der stubenreinen Jubiläumstorte für die Stiftung der Hormon-Spender aussehen, passen aber nicht in meinen läppischen Traum, den ich seit Ewigkeiten träume.

Angelo John Ashman, Hamburg Juli 2006
siehe auch: John Ashman
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E-Mail: John Ashman