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Kinder- und Jugendliteratur: Rezensionen

Rezension 2

Franz Hohler / Nikolaus Heidelbach (Illustration)

Der Riese und die Erdbeerkonfitüre. ( Laut Kataloge: Ab 7 J.).


Ersterscheinung Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH 1993 / In neuer Rechtschreibung München 2000
dtv / 96 Seiten
DM 14,50

Erhielt 1994 den Schweizer Jugendbuchpreis

Das Buch besteht aus 31 Kurzgeschichten. Ich kann mir nicht vorstellen, an welche Altersgruppe es gerichtet sein soll. Für Kinder ist es in meinen Augen - bis auf wenige Ausnahmen - viel zu brutal. Für Jugendliche, die interessiert daran sind, ein gutes, vielleicht lehrreiches oder spannendes Buch zu lesen, halte ich dies für viel zu diffus, z.T. selbst für Jugendliche viel zu brutal und irrsinnig, und im großen und ganzen fernab von jugendspezifischen Thematiken und Interessen.

Wenn ich sage wenige Ausnahmen der 31 Geschichten halte ich für einigermaßen lesenswert, so meine ich etwa die Geschichte "Vom Stein, der sich kratzen wollte": Einen Stein juckte es ganz unerträglich auf dem Rücken, der schon ganz von Moos, Flechten und Tannennadeln überzogen war. Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Er nahm seine ganze Kraft zusammen und drehte sich solange hin und her bis er das Gleichgewicht verlor und den Abhang hinunterkullerte. Zu guter Letzt landete er auf dem Pausenplatz der Dorfschule. "...und weil sich in jeder Pause ein Schulkind auf ihn setzte, juckt es ihn seither nicht mehr, sondern er liegt zufrieden da und freut sich fast so sehr auf die Pausen wie die Kinder." - Eine nette Geschichte, für Kinder ab 6 Jahren, zum Vorlesen oder Selbstlesen gut geeignet.
Ein weiteres, eher lehrreiches Beispiel aus dem Buch: Die Geschichte "Vom Mann auf der Insel" soll lehren, dass es sehr wichtig ist, selbst etwas an der eigenen Situation zu ändern, ansonsten kann es passieren, dass einfach über einen entschieden wird und man keinerlei Einfluss mehr auf sein Leben hat. In diesem Fall: Als die Insel anfing zu zittern beschließt der Mann abzuwarten, was passiert. Die Insel geht kurze Zeit später für immer unter, mit ihr der Mann. Diese Geschichte eignet sich in meinen Augen für ältere Kinder und Jugendliche. Ein eher lustiges Element findet man in der Geschichte: "Wie die Rinde recht bekam", und dafür der Baumstamm zwei Glas Bier trinken konnte.
Oder wie ein Fußpilz den "ungleichen Kampf" gegen ein fußpilzvernichtendes Spray verliert.

Den überwiegenden Rest der Sammlung halte ich nicht nur für nicht lesenswert, sondern schlimmer - z.T sogar für vollkommen unfassbar, wie derartige Geschichten in einem Kinder- und Jugendbuch auftauchen können. Dazu 3 haarsträubende Beispiele:

"Die Riesen im Parkhaus". Die Geschichte handelt von drei Schlägertypen, die offensichtlich nichts besseres zu tun vermögen, als in ein Parkhaus zu gehen, jeder mit einer Eisenstange bewaffnet, drei Autos zertrümmern und anschließend auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Hinzu kommt, dass dieser literarische Irrsinn mit Hilfe einer erschreckend brutalen Zeichnung verstärkt wird.

Illustration zur Geschichte "Die Riesen im Parkhaus" / Copyright: dtv

Die Illustration zeigt drei Gestalten, die in meinen Augen ganz unverkennbar drei Skinheads im Sinne von rechtsradikalen Glatzen, jede bewaffnet mit einer Eisenstange, darstellen sollen. Im Übrigen hat jeder der Drei eine kleine blaue Blume hinters linke Ohr gezeichnet bekommen??? Mit einiges an gutem Willen, kann man versuchen zu verstehen, was einen Autor dazu bewegt, eine solche Geschichte zu schreiben. Natürlich kommt es in der Realität sehr häufig vor, dass derartige Straftaten begangen werden, oftmals ohne dass die Täter gefasst werden können.
Und gerade deshalb wäre es aus pädagogischer Sicht absolut notwendig - wenn es offenbar sein muss, ob sinnvoll oder unsinnig sei im Moment dahingestellt, das Problem der (Jugend-)kriminalität in Form einer Geschichte zu veröffentlichen - den jugendlichen Lesern zu verdeutlichen, dass keine Straftat ohne Konsequenzen bleiben darf. Ich bin der Ansicht, dass die Geschichte, die unumstritten den Hergang eines Vergehens beschreibt, als sei es eine ganz normale, alltägliche, von jedermann durchgeführte Handlung, einen Jugendlichen unter Umständen dazu animieren kann, genauso gewissenlos und sorgenfrei zu handeln.
Sie sehen, es gelingt mir beim besten Willen nicht, die Beweggründe des Autors zu verstehen und der Geschichte in irgendeiner Form etwas Gutes, Lehrreiches oder Sinnhaftes abzugewinnen.

Ein nächstes "Highlight" des Buches bietet uns die Geschichte vom "unternehmungslustigen Prinzen". Sie handelt von einem Prinzen, der ganz offensichtlich in seinem bisherigen Leben mit keinerlei moralischen oder ethischen Begriffen vertraut gemacht wurde. Als es ihm nämlich eines Tages langweilig war, beschloss er, mit dem Bus zum Zoologischen Garten zu fahren. An der Bushaltestelle standen bereits zwei alte Frauen. Sie musterten den Prinzen misstrauisch. " `Es ist schon allerhand, wie sich die Jungen heutzutage anziehen,' sagte die eine zur anderen" und wies dabei auf das grüne Samtwams des Prinzen. Der Prinz wurde daraufhin so wütend, "dass er sein Schwert zog und beiden die Köpfe abschlug. Als der Bus hielt, lud der Prinz die zwei Frauen ein, setzte sie auf den hinteren Sitz und legte ihnen ihre Köpfe in den Schoß. Dann verlangte er dreimal Zoologischer Garten. Der Bus-Chauffeur sagte ihm, er müsse das Billet am Automaten lösen, und fuhr ohne ihn weiter."
Und dann die vollkommen abgedrehten Fortsetzung: der Prinz löst ein Billet am Automaten, der sich im selben Moment in eine wunderschöne Prinzessin verwandelt. Die beiden wollen, wie soll's anders sein, "auf alle Fälle" heiraten, zuvor jedoch die geplante Busfahrt zum Zoologischen Garten machen. Als ein Kontrolleur kommt und die Billets der beiden sehen möchte, haben sie keine, und der Prinz schildert ihm sein völlig unglaubwürdiges Erlebnis mit dem Automaten. Zum Glück wird just in diesem Moment über Funk die Geschichte der beiden geköpften Frauen durchgegeben. Der Bus-Chauffeur und der Kontrolleur ergreifen daraufhin die Flucht. Der Prinz setzt sich ans Steuer und fährt, bis er an eine polizeiliche Straßensperre kommt.

Illustration zur Geschichte "Der unternehmungslustige Prinz" / Copyright: dtv

Anstatt zu lebenslänglicher Haft verurteilt zu werden, beschließen der Prinz und die Prinzessin, sich für sieben Jahre in Billetautomaten zu verwandeln.
Diese wahnsinnige Geschichte endet mit den Worten: "Ach, was mit den beiden Frauen noch war? Nichts weiter. Die waren tot und wurden nicht wieder lebendig. Manchmal genügt eben eine blöde Bemerkung und man ist erledigt."
Ich frage mich, was soll dieser Quatsch!!! Ich schwöre, ich habe die Geschichte nahezu so wiedergegeben, wie sie im Buch steht. Ich bin mir sicher, keine Details unterschlagen zu haben, die dem Ganzen einen Sinn geben könnten!

Illustration zur Geschichte "Die verschwundenen Leintücher" / Copyright: dtv

Noch ein letztes Beispiel aus dieser überaus sonderbaren Sammlung diffusester Geschichten. Die Geschichte mit dem Titel "Die verschwundenen Leintücher" handelt von einer Mutter, die sämtliche Leintücher ihrer Tochter, nachdem sie sie frisch gewaschen hat, gierig verschlingt. Eines Tages beobachtet dies das Mädchen voller Entsetzen. Sie spricht ihre Mutter nie darauf an, aber: "...sein Vertrauen in die Erwachsenen war seit diesem Erlebnis dahin." Dazu eine scheußliche Illustration der Mutter, der gerade noch der letzte Zipfel eines braunen Leintuchs aus dem Mund hängt! - Widerlich!

Natürlich ist es unumstritten, dass Erwachsene Dinge tun, die Kinder einfach nicht begreifen können und zuweilen gibt es auch Situationen, die Kinder dazu bringt, dass Vertrauen in die Erwachsenen zu verlieren. Aber muss es denn gleich ein derart abstruses Beispiel sein!?

Übrigens: das Buch gibt es seit April 2000 in ungekürzter Ausgabe in neuer Rechtschreibung. Ich frage mich, was das noch bringen soll.

s.v.b. - red
08.06.2000

 
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