Veranstaltung


09. November bis 08. Dezember 2005 Berlin - Zehlendorf, Rathaus

„Hass-Schmierereien fotografiert und vernichtet von Irmela Schramm“

„Wer schweigt, stimmt zu!“


„Hass-Schmierereien fotografiert und vernichtet von Irmela Schramm“

Zivilcourage ist in Deutschland nicht jedermanns Sache, für die 59-jährige Irmela Mensah-Schramm jedoch eine Selbstverständlichkeit. Sieht sie ein Hakenkreuz an eine Hauswand geschmiert kann sie nicht daran vorbeigehen. Sie muss es wegwischen.
Es geht nicht anders.
Die Berliner Heilpädagogin, nach ihrer Heirat Mensah-Schramm, geht seit vielen Jahren nicht mehr „ohne ihre Putztasche", den Jutebeutel, aus dem Haus. Aceton, Farbeimer, Schwamm, Pinsel, Spachtel und ein kleines Küchenmesser sind immer dabei.
Bundesweit und über die Grenzen Deutschlands hinaus ist sie tätig.
"Hass-Schmierereien fotografiert und entfernt von Irmela Schramm“ heißt es auf dem Plakat, 1995 – 2005, 10 Jahre Ausstellungsprojekt. Bisher zählte sie 210 Ausstellungen, die 212. wird derzeit im Rathaus Zehlendorf gezeigt, wie ihre allererste vor 10 Jahren. Zeitgleich wurde in Löbbau die 211. Ausstellung eröffnet.

Optisch haben sich die Tafeln verändert, die Inhalte leider nicht. Rechtradikale, ausländer-, schwulen- und lesbenfeindliche Aufkleber, Plakate, menschenverachtende Schmierereien und Beleidigungen werden dokumentiert. Neonazistische Zeichen, bekannte und unbekanntere Symbole. Die meisten davon stehen auf dem Index des Verfassungsschutzes. Die Delikte heißen Volksverhetzung und Beleidigung - in der „Qualität“ von: „Haste Hunger, ist dir kalt, geh‘ zurück nach Buchenwald“ aus Kirchhain, Hessen, 2003.
Auf einer Tafel hängt eine Karte Mitteleuropas, die viele rote Punkte darauf markieren "Orte des Geschehens". Ein riesiges rotes Feld ergießt sich um Berlin. „Hier wohne ich,“ sagt Irmela Mensah-Schramm bei der Eröffnungsrunde durch das Foyer des Rathauses. „Wenn ich in Hamburg wohnen würde, oder in Dessau, wäre es um diese Orte knallrot.“
Immer noch sind die FreundInnen und UnterstützerInnen der Zehlendorfer Friedensinitiative dabei.
Irmela Mensah-Schramm zieht alleine los. Bevor sie ganze Hauswände übermalt, fotografiert sie, was sie dort vorfindet. Ihre Wut ist größer als die Angst, keine Mühe ist ihr zuviel. In der S-Bahn bittet sie schon mal Fahrgäste aufzustehen, weil sie ein Hakenkreuz vom Sitz entfernen will.

Die, wie sie sagt, „wegen meiner politischen Arbeit in den Frühruhestand gemobbte“ führt ihren ureigenen Kampf gegen Rechtsradikalismus. Sie fotografiert, entfernt und diskutiert resolut. Aber sie geht keinem Gespräch aus dem Weg.
Und Angst? "Angst kann ich mir nicht leisten", sagt sie energisch, und "so richtig passiert ist mir ja auch noch nichts, außer mal angespuckt, geohrfeigt, viele Anzeigen wegen Sachbeschädigung und eine Morddrohung auf dem Anrufbeantworter."
Nun hat die streitbare Mensah-Schramm ein neues Verfahren am Hals. Am „Tag der Deutschen Einheit“ dem 3. Oktober wurde sie in Potsdam festgenommen. Sie war in der brandenburgischen Landeshauptstadt unterwegs und wollte mit einem Plakat davor warnen, das die Menschen sich an Neonazischmierereien gewöhnen. Sie wollte Mut machen, aktiv dagegen vorzugehen. Auf dem Plakat stand über kleinen Fotos von Nazisymbolen und volksverhetzenden Parolen der große Schriftzug „Wer schweigt, stimmt zu!“ Eines ihrer Leitmotive.
Dieses Plakat brachte ihr den Vorwurf »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen« (Paragraph 86a, Strafgesetzbuch) ein. Polizeibeamte nahmen die Lehrerin fest und führten sie zu Fuß auf die Wache. Nur wenige PassantInnen protestierten dagegen. Im Revier beschlagnahmten sie das Plakat und ein Schriftstück, in dem sich Irmela Schramm gegen die Gerichtsentscheidung zur Straffreiheit der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ wandte.

Irmela Mensah-Schramm läßt sich von einer Verhaftung nicht einschüchtern. „Wenn ich es nicht mache, wer macht es dann?“ sagt sie dazu. Aber die Bemerkung des Polizeiobermeisters, der sie in Potsdam verhaftete, wird ihr noch eine Weile im Kopf bleiben: „Das, was Sie tun, ist Sachbeschädigung und damit strafbar.“
In ihrem Foto- Archiv sind bereits 8000 Bilder aufgenommener Hass-Schmiereien. Fast täglich werden es mehr.
Oft fährt Irmela Mensah-Schramm spontan los und findet intuitiv Hass-Symbole. Manche Stellen sucht sie regelmäßig nach neuen Schmierereien ab. Trotz angegriffener Gesundheit ist sie ständig auf der Suche. Das Handeln gibt ihr Kraft. An manchen Stellen war sie schon hundert Mal. Auch im Urlaub sind die "Putztasche" und der Fotoapparat immer dabei. "Ich muss sofort wegputzen, was da steht. Das ist ein innerer Zwang. Weil die Würde der Betroffenen verletzt wird, kann es dort einfach nicht stehen bleiben." Hinterher ist sie zufriedener.
„Das bringt doch nichts", spotten immer noch viele über ihre Aktivitäten. Doch neuerdings gibt es neben Ignoranz und Hohn auch Zustimmung. Nach und nach nehmen Presse und Öffentlichkeit von ihr Notiz.
1996 erhält sie für ihre "Putzarbeit" die Bundesverdienstmedaille. Barbara John, die Berliner Ausländerbeauftragte, zeichnet sie 1998 mit dem "Band für Mut und Verständigung" der Initiative "Gemeinsam für Ausländer" aus.
1998 feiert der Verfassungsschutzbericht von Brandenburg die mutige Kämpferin mit dem Abdruck mehrerer Fotos. Im Polizeipräsidium in Eberswalde stand ihre Ausstellung im Flur - persönliche Schirmherrin war die damalige Polizeipräsidentin Uta Leichsenring.
Liedermacher Gerhard Schöne ehrt sie mit dem Song "Die couragierte Frau".
Die Bundesverdienstmedaille gibt sie am Tag des "Aufstands der Anständigen" mit Wut zurück. Anlass ist die Verleihung der Medaille auch an Heinz Eckhoff aus Stade, einst Mitglied der Waffen-SS und nach 1945 aktives Kreistagsmitglied der NPD.
2005 verleiht ihr der Presseclub Dresden auf Schloß Albrechtsberg den Erich Kästner-Preis. Der konservative bayerische Landtagspräsident Alois Glück (CSU) hält die Laudatio, die Berliner waren nicht bereit dazu. Der Preis ehrt sie. Er betont ihren Einsatz für Toleranz, Humanität und Völkerverständigung und stellt sie neben Ignatz Bublis und Ärzte ohne Grenzen. Bei der Preisverleihung macht sie jedoch klar, dass ihr das Engagement keineswegs leicht gemacht wird. „Aber es gibt für mich keinen anderen Weg der Auseinandersetzung. Mit Nichtstun erreicht man nichts. Es ist nicht leicht gegen den Strom zu schwimmen. Aber manchmal ist es der einzige Weg.“
Seit November 2005 ist sie auch Ehrenmitlied der Opferberatung der Regionalen Ausländer Aktion (RAA) in Dresden. 2006 werden zwei Ausstellungen in Dresden folgen.

Zu ihrem politischen Repertoire gehört auch die aktive Teilnahme an der Verhinderung eines Nazi-Aufmarsches in Halbe sowie Workshops und Referate an verschiedensten Schulen und Bildungseinrichtungen.
Für das neue Jahr 2006 hat sie bereits neun Anmeldungen in der Tasche. Es interessieren sich die Uni in Luxemburg, die Fachschule für Sozialpädagogik in Berlin sowie die Europäische Akademie in Waren an der Müritz. Bei den Nahzielen gibt es bereits Zusagen. Die fernen Ausstellungsort-Ziele, wie der Menschenrechtsgerichtshof Straßbourg, das Hiroshima Museum in Japan, der Bundestag, das Rote Rathaus, das Abggeordnetenhaus in Berlin, die Synagoge in Berlin, überhaupt jüdische Einrichtungen halten sich bedeckt.

Umso mehr verletzt und empört sie auch die Gleichgültigkeit des Bürgermeisters von Steglitz-Zehlendorf Herbert Weber, der im April diesen Jahres durch eine Diskussion zum Volkstrauertag ins Gerede kam. Er vergass es einfach, eine Presseerklärung herauszugeben und die Ausstellung im Rathaus Zehlendorf publik zu machen.
Die Worte Martin Luther Kings „Es gibt Zeiten, in denen Schweigen Verrat ist“ sind auf der letzten Tafel zu lesen. Dies wird den BesucherInnen als Mahnung mit auf dem Weg gegeben und ist auch ein Leitmotiv für ihr Engagement.
An Aufhören denkt sie nicht, außer natürlich, es gäbe nichts mehr wegzuwischen und "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" wären schon Wirklichkeit. Doch bis dahin ist noch ein langer, steiniger Weg.
Hilde Meier

Irmela Mensah-Schramm
10 Jahre Ausstellungsprojekt 1995 - 2005

„Hassschmierereien fotografiert und vernichtet von Irmela Schramm“
Berlin, Rathaus Zehlendorf
Kirchstr. 1/3

09. November bis 08. Dezember 2005
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag
9.00 – 18.00 Uhr, Eintritt frei
S-Bahn Zehlendorf


h.m. red-berlin/22.11.2005
ID 00000002134

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