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Weimar

Nach dem Feuer

Das Treiben in der Kulturstadt Weimar hat auch durch den Brand in der Anna Amalia Bibliothek nicht gelitten


Brandkatastrophen, die den Kernbestand herrschaftlicher Repräsentanz betreffen, kennt man in Weimar seit Goethes Zeiten. Nur ein Jahr bevor der spätere Superminister 1775 in die Hauptstadt des kleinen Herzogtums von Sachsen-Weimar und Eisenach kam, war der fürstlichen Familie das Schloß abgebrannt. Als Geheimer Rat der obersten Landesbehörde, als Verantwortlicher für das Straßen- und Wasserbauwesen und Chef der Finanzverwaltung wirkte Goethe an der Neugestaltung des Schlosses genauso mit wie an einer anderen Institution, die von der Herzogin Anna Amalia in den Jahren 1761–66 als solche überhaupt erst geschaffen worden war: der Bibliothek, die noch heute ihren Namen trägt.
Der teuerste Kurzschluß in der Geschichte der Stadt
Diese Bibliothek ist am 2. September 2004 durch einen Dachstuhlbrand schwer beschädigt worden. Die oberste Galerie des Rokokosaales mit ihrer kostbaren Musikaliensammlung ist fast vollständig vernichtet, außerdem 33 Gemälde und ca. 30.000 Bücher. Noch einmal doppelt so viele wurden durch Feuer und Löschwasser schwer beschädigt und befinden sich seit einigen Wochen zur Gefriertrocknung im Leipziger Zentrum für Bucherhaltung.
Mittlerweile ist, nach den 4 Millionen Euro, die Kulturstaatsministerin Christina Weiss als Soforthilfe zur Verfügung gestellt hatte, ein erster Haushaltsplan für die Rekonstruktion des Gebäudes erstellt worden. Der Bund und das Land Thüringen haben bis 2007, wenn sich der Todestag der Herzogin zum 200. Mal jährt, jeweils 3,5 Millionen Euro zugesagt, weitere 1,4 Millionen hat die Allianz-Stiftung für die Renovierung des Rokokosaales aufgebracht. Ungleich teurer kommt die Restauration der beschädigten Bücher: abgesehen von den unwiederbringlich verlorenen Originalen werden hierfür bis zu 60 Millionen Euro veranschlagt. Das dürfte für Weimar der teuerste Kurzschluß seiner Geschichte gewesen sein.
Die historische Ironie ist umso größer, als das „Grüne Schloß“, in dem die Herzogin Anna Amalia Bibliothek untergebracht ist, nur einen Steinwurf vom Schloß entfernt liegt, wo die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen (SWKK) ihren Sitz hat. Wenn Hellmut Seemann, der Präsident der Stiftung, zu der auch die Bibliothek gehört, an einem der schönen Herbsttage nach der Katastrophe das Fenster seines Arbeitszimmers öffnete, konnte er nicht nur das leise Geklimper von der nahen Franz-Liszt-Musikhochschule hören, sondern auch den Dachstuhl rauchen sehen und den Brandgeruch riechen. Mittlerweile ist das Dach mit einer Plattenkonstruktion versiegelt, das Gebäude muß schleunigst getrocknet werden, damit künftiger Frost nicht das in alle Ritzen gedrungene Löschwasser dehnt und die Bibliothek abrißreif macht. Erst dann kann mit der eigentlichen Renovierung begonnen werden.
Zugleich Klassik und Moderne
Als hätte es nicht schon genug Wind um die Stiftung gegeben in diesem Sommer. Anfang Juli hatte der Wissenschaftsrat ein Gutachten über den Zustand der SWKK vorgelegt, in dem er das Gesamtkonzept, aber auch verschiedene Neuerungen, die Präsident Seemann seit seinem Amtsantritt 2001 eingeführt hatte, scharf kritisiert. Ihren Grundbestand, die Bibliothek, das Goethe-Nationalmuseum im Goethehaus, die Archive und Dichter-Nachlässe, aber auch 16 Schlösser und Erinnerungsstätten sowie fünf Parkanlagen, hatte die Stiftung 1991 von ihrer DDR-Vorgängerinstitution, den „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur“ (NGF) übernommen. Ein einmaliges Ensemble, das nicht nur in Deutschland seinesgleichen sucht.
Doch während Helmut Holtzhauer, der die NGF in den 50er und 60er Jahren aufbaute, noch daran interessiert war, den klassenkämpferischen Beitrag der Klassiker, allen voran Goethes, ihren Einfluß auf Hegel, Marx und Engels zu würdigen, sind die Dinge, vor allem seit die Stiftung im Jahr 2003 mit den Kunstsammlungen vereint ist, komplizierter geworden. Eine Strukturkommission unter der Leitung des Direktors der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, soll die Forderungen des Wissenschaftsrates umsetzen und Wege aus der Krise finden. Die von Seemann eingeführte Direktion Forschung und Bildung steht nach wie vor ohne Geld, Personal und damit Einfluß da.
Einzig das neue Konzept des Stiftungsrates, das neben der Klassik auch die „Moderne in Weimar“ betont, scheint vielversprechend zu sein. Immerhin bestand seit 1860 eine Kunstakademie, an der Arnold Böcklin und Max Liebermann wirkten. In den Jahren nach 1900 wurde auch das Kunstgewerbe für Weimar stilprägend. 1902 wurde Henry van de Velde zum Aufbau einer Gewerbeschule des Großherzogtums berufen, und im Jahr 1919 gründete Walter Gropius in Weimar das Bauhaus. Mit der Sammlung Paul Maenz im Neuen Museum am Weimarplatz wird die Tradition der Moderne sogar bis in die jüngste Zeit fortgesetzt.
Kulturstadt mit Doppelbegabung
Inmitten des brummenden Weimarer Kulturbetriebs ist gegenwärtig noch bis zum 24. Oktober im Goethe-Nationalmuseum eine Ausstellung zu sehen, die unter dem Titel „Diesseits und Jenseits von Arkadien“ die beiden Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe und Günter Grass in ihrer Eigenschaft als Doppelbegabungen vorführt. Im Erdgeschoß von Goethes Wohnhaus sowie in der Treppengalerie der ständigen Ausstellung fällt die kleine Schau leider kaum auf, die 53 Zeichnungen von Goethe und 36 Graphiken sowie drei Skizzenbücher von Grass versammelt, garniert mit Briefzitaten, Tagebucheinträgen und Gedichten der Autoren.
Ihre Herangehensweise an das von der Ausstellung formulierte Oberthema „Arkadien“ könnte allerdings konträrer kaum sein. Als Autodidakt erwandert Goethe seine Umgebung sehend und zeichnend und nähert sich, seit seinen ersten Bildern von Ilmenauer Bergwerksstollen oder einer leuchtenden Wolke über dem Gartenhaus, durch seine Italienreise bis hin zu den 22 Handzeichnungen von 1810 dem utopischen Ort an. Währenddessen kommt Grass vor allem in den Radierungen und Lithographien aus den 80er Jahren, parallel zu seinen Texten, als entzauberter Illusionist daher. Die Rättin als undurchschaubare apokalyptische Figur, „Totes Holz“ und die von Menschen besiedelten Müllberge von Kalkutta, schließlich die Lausitzer Braunkohlegruben im Jahr 1990 – statt Arkadien spricht aus diesen Bildern immer wieder „paradise lost“.
Die Bedeutung der Ausstellung, die nach dem Lübecker Grass-Haus und dem Weimarer Goethe-Nationalmuseum noch in der Dresdner Bank am Pariser Platz in Berlin zu besichtigen sein wird, liegt für Weimar denn auch weniger im künstlerischen Detail – dazu hat besonders Goethe, trotz großer Präzision in den Einzelheiten, sein eigenes bildkünstlerisches Werk viel zu kritisch gesehen. Eher könnte man in ihr die Ansprüche, aber auch die gegenwärtigen Probleme einer Stiftung, die auf bildkünstlerischem wie literarischem Gebiet agiert, widergespiegelt finden.
Bleibt zu wünschen, daß sich die Doppel- und Mehrfachbegabung der Kulturstadt Weimar nach dem Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek wieder stärker akzentuieren läßt. Was sich aus der Asche des letzten, 230 Jahre zurückliegenden Feuers erhob, ist ja bekannt.


p.w. – red. / 10. September 2004
ID 1275

Weitere Infos siehe auch: http://www.swkk.de






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