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Villa Merkel, Esslingen am Neckar

Das Bild des Menschen von der Natur: Die Ausstellung "Encyclomania" von Mark Dion


Park: Mobile Wilderness Unit, 2001 / Mixed Media, 290/170/380 cm / Foto: Fotostudio Otto, Wien / Courtesy Galerie Georg Kargl, Wien

Eine spannende bisweilen irritierende Werkschau des us-amerikanischen Künstlers Mark Dion beleuchtet das ambivalente Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Die zwischen 1992 bis heute entstandenen Zeichnungen und Installationen - die Projekte werden stellvertretend durch Modelle und Zeichnungen illustriert - wurden auf subtile Weise in den Räumen der Villa Merkel in Esslingen arrangiert. Blickachsen, inszenierte Überraschungsmomente und ruhiger gestalteten Zonen, die zur Vertiefung anregen sollen, bilden das Gliederungsgerüst der Ausstellung, die den Betrachter in ein Wechselbad der Gefühle taucht, ihn aber niemals langweilt!

Erstaunlich gut harmonieren Dions Arbeiten mit der nach klassischem Vorbild gebauten Industriellen-Villa aus dem späten 19. Jh. Dafür lässt sich leicht eine Erklärung finden: Beide, die Villa mit ihrer Architektur im Stile der Neorenaissance und die Arbeiten von Dion nehmen Bezug - wenn auch auf unterschiedliche Weise - auf den Forschungs- und Aufklärungsgeist der Neuzeit, der bis heute die Methoden liefert, um unser kollektives Wissen zu erweitern.

Mit welchen bildnerischen Mitteln nähert sich nun Mark Dion dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur an? Obwohl Mark Dion mit den inszenatorischen Mitteln eines Naturkundemuseums arbeitet, befinden wir uns deshalb noch lange nicht in einem. So wird Besucher der Villa Merkel, wenn er den Haupteingang passiert, unmittelbar mit einem ausgewachsenen Europäischen Wisent ("Park: Mobile Wilderness Unit") konfrontiert, dass sich - glücklicherweise! - als Tierpräparat erweist. Schon im nächsten Raum kann er das Skelett eines inzwischen ausgestorbenen Bären ("Grotto of the Sleeping") in einer Glasvitrine bewundern.
Bei genauerem Hinsehen stellen sich jedoch kleine Irritationen und Befremdlichkeiten ein. Wieso befindet sich das Wisent in einem teilweise geöffneten Bauwagen? Das sorgfältig rekonstruierte Bärenskelett ist auf einen waldbodenartigen Untergrund mit Laub und Moos gebettet. Soweit entspricht es der Konvention. Fast beiläufig erkennt man jedoch eine zerbrochenen Tasse, einen Wecker, eine Axt, eine Patronenhülse..?!
Geht man weiter, hören die Dissoziationen nicht auf. In einem anderen Raum steht ein Schrank mit einer verglasten Frontseite ("Theatrum Mundi"), so wie man ihn aus dem alten Biologie-Schulzimmer zu kennen glaubt. Dieser gibt den Blick auf Bücher, Folianten, Vogelpräparate, Tierknochen, Mikroskope, Werkzeuge etc. frei. Doch was haben darin Comic-, Mattel- und Star-Wars-Figuren zu suchen?

Die Zusammenführung von einem Kunstmuseum mit naturwissenschaftlichen Objekten erscheint zunächst ungewöhnlich, steht aber innerhalb einer längeren Tradition. In den Wunder- und Schatzkammern zu Beginn der Aufklärung wurden Versteinerungen, Tierpräparate, kunsthandwerkliche Preziosen, kostbare Kunstwerke zusammen in eigens dafür entwickelten Schränken aufbewahrt und archiviert. Bei gegebenem Anlass präsentierte der Besitzer stolz seine Sammlung handverlesenen Gästen. Erst mit den Museumsgründungen im 19. Jh. wurden diese vielen privaten Sammlungen institutionalisiert. Eine Spezialisierung in einzelne, eng umgrenzte Fachdisziplinen fand nun statt: Im Laufe der Entwicklung entstanden zahlreiche Naturkunde-, Kunst, Ethnologie-, Anthropologiemuseen. Im 20. Jahrhundert beschleunigte sich diese Entwicklung zusehends; mit der heutigen Vielfalt von unterschiedlichen Museumstypen - vom Technik- bis zum Puppenmuseum - scheint man noch nicht am Endpunkt dieser Entwicklung angekommen zu sein.

The Desk of a Tropical Ecologist (Guyana Field: Semang Creek), 1999 / Mixed Media, Maße variabel / Foto: Fotostudio Otto, Wien / Courtesy Galerie Georg Kargl, Wien

Marc Dion kommt nun der Verdienst zu, diese Entwicklung für den kurzen Moment eines Museumsbesuches rückgängig zu machen. Staunend lässt der Besucher sein Auge über die vielfältigen Details der Ausstellung gleiten. Möglicherweise wird ihm beim Betrachten der altmodisch erscheinenden Forschungslabore bewusst, wie allzu brüchig und vergänglich die "Wahrheiten" der Naturwissenschaften sein können.

Das schöne an der Ausstellung ist, dass Marc Dion dem Besucher größtmögliche Freiheit in Bezug auf Auslegung und Deutung von "Encyclomania" lässt. Ich für meinen Teil habe meine "Wahrheit" in der Ausstellung gefunden: "Science-Fiction" muss nicht unbedingt in der Zukunft angesiedelt sein!

Library for the Birds of the Villa Merkel, 2002 / Mixed Media / Courtesy Villa Merkel, Esslingen am Neckar

k.s. - red / Januar 2003

Marc Dions "Encyclomania" bis 2. Feb. 2003 in der Villa Merkel in Esslingen, Di 11-20 Uhr, Mi-So 11-18 Uhr, Führungen: Di 18 Uhr und So 15 Uhr.
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