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Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Der Befall
oder vom Verlust der Tiefe

Versuch über Arbeiten von Janet Cardiff & George Bures Miller

Teil 1: Geräusch und Surrealismus

Text. Gerald Pirner
Foto: Adel

Indem ich den, der nicht mehr im Zimmer ist, von meinen Wahrnehmungen des von ihm bewohnten Zimmers aus erfasse, wäre ich notwendig zu einem Denkakt gezwungen, den kein vorheriger Zustand bestimmen oder motivieren kann, kurz, zu einem Bruch mit dem Sein in mir selbst.[…] Jeder psychische Nichtungsprozeß impliziert also einen Schnitt zwischen der unmittelbaren Vergangenheit und der Gegenwart. Dieser Schnitt ist genau das Nichts. (Jean-Paul Sartre)

Diese Mörder die jetzt tot sind, haben zu mir gefunden und jedes Mal, wenn ein solcher Trauerstern in meine Zelle fällt, schlägt mein Herz wie der Trommelwirbel, der die Kapitulation einer Stadt ankündigt [….]Die Männer hinter diesen Gesichtern erschrecken mich, wenn ich mich durch sie hindurchtaste, aber was für ein Schwindel erfasst mich, wenn ich mich nähere […]
Ich weiß nicht, sagte ich, ob es wirklich die Köpfe meiner guillotinierten Freunde sind, aber an sicheren Zeichen habe ich erkannt, […] dass ihre Körper auserwählt sind, um von schrecklichen Seelen beherrscht zu werden.
(Jean Genet)

Herausgelöst aus Bewegung und Herkunft hielt Geräusche er sich wie Wesen, in deren Kreisen um Weg und Wollen er verhandelte. Keine Äußerung von etwas, das über sie hinausginge waren sie ihm, und was an ihnen erkannt, sprach nur von seiner eigenen Wiederholung. Freilich wollte alles, was da zu hören, seinen Bestand in Zeit versichert wissen, dabei aber von Wirkung zu Ursache werdend, weil bildlos eben alle Abstammung verschwunden und das garantierte ihnen seine Erblindung. Alle Tiefe austrocknend - und tatkräftig half das Gedächtnis bei solch erbarmungslosem Realismus mit - hieß er die Geräusche alles was vermeintlich hinter ihnen abstreifen; hieß sie sich entblößen; hieß sie die Fiktion des Sehens verraten, das da glauben machen will, hinter der Fassade gehe es hinein ins Bewohnbare. Alles Mögliche vom Geräusch aufgerufen und einmal erschienen noch anwesend, wenn es längst verschwunden. Von keinem Bild mehr vom Körper fern gehalten, wusste er es im Fleisch, versuchte an ihm sein Gedächtnis um es zu verlieren und um es - und ganz leibhaftig - überhaupt erst zu gewinnen.

In tosender Wucht es in die Halle geborsten. Ungerührt schwerfällig der Vorhang davor. Schutz in letzter Instanz vor einem Laboratorium, dessen Decke eben weggerissen worden zu sein scheint. Ausladend bauchige Falten samten unter der Hand und die ertastet einen lederversteiften Saum. Der Zutritt vom Wächter verwehrt und der spricht nur mit Sehenden, die haben ein Gesicht und da sieht man wo das Wort hingehört – da rutscht das Sprechen nicht ab. Empfindliche Instrumentarien, wie er sagt, und dass das mit dem Stock nicht gehe, dass Sie auf ihn aufpassen müsse… Nur von Augen verbürgte Zusagen nimmt er an, wohl wissend, dass Hören ohne Sehen nicht funktioniert und da hat er Recht, denkt der Blinde, dem ja wirklich keinen Meter über den Weg zu trauen.


Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Jenseits des Verhangs. Akustische Fernbilder tief hineingestellt in Distanz. Nach überwundener Abgrenzung getrennt vom Geschehen in einem offenen weitläufigen unversperrten Raum. Kalt ausschlagenden Steins wendet der seine Nacktheit und seine Blöße gegen Ereignisse in seiner Tiefe. Herantreten müssen. Der Leib gespickt von Bewegungsspuren eigener Schritte, die aus dem Nichts ihm angetan. Wortlose Rache der Echo und andere Schritte dann gekreuzt wo keiner geht. Herausgetretene Steinstufen, das Knarren einer Türe aus Holz. Schillerndes Klangmaterial schiebt sich da heraus, sich giftig herabsenkend auf die Hörenden. Alles wie mehlig imprägniert für einen Moment bevor Geräusch- und Klangmaterial zu Fabrikmaschinerie geworden, zu deren Ausstoß deren Gestalt deren Bewegung, zu deren Stoffwechsel deren Leben deren Reproduktion. Schleifvorgänge im Takt ausgekeucht, Blechstanzenschläge dazwischen. Bohrspitzen unter Quietschen in Metall getrieben. Die setzt er hoch und nach hinten zurück in die Ölnäpfe. Hochgedreht die Schmiere in den Rillen und nach vorn erneut und gleichzeitig die beiden Spitzen in zwei Seiten der Drosselklappe hinein. In Schlägen die Bohrautomaten hinter ihm aufgesprungen. Schruppen und Schlichten der Kompressoreninnenwände von mit Fräsenschneiden übersäten Köpfen. Holpernd die Gehäuse dorthin, wo die Typenschilder gebohrt.

Jenseits des Verhangs. Glatter Boden. Vielleicht Marmor. Die Schritte von Wänden trocken gebrochen. Zwei Stufen im Geviert nach unten, der Glaskuppel oben den Raumkern eingefasst wie der Vierung einer Basilika. Portici an beiden Seiten, wie Sie sagt, und auch dort nur das Licht von oben. Dem Eingang gegenüber ein riesiges, die ganze Hallenbreite durchmessendes Fenster, dessen Abschlussrund bis zur Decke hin reicht. Dass hier wohl die Züge ein- und ausgefahren wie Sie sagt. Ein Sackbahnhof damals. Richtung Hamburg damals. Hamburger Bahnhof. Hamburger Strasse. Große Hamburger Strasse Abtransport in eine ganz andere Richtung. Scharf die Raumlänge von einer Fräse durchschnitten, zischelnd Spanglut am Rand. Ohne Bild alles Geschlage Gestoße und Gekeuch zum Bild einer selbsttätig abstrakten Maschinerie geronnen, der Selbsttätigkeit des abstrakten Werts entsprechend. Bildlos erfüllt sich im Akustischen die Vorstellung des subjektlosen Molochs - das zu Eigenleben fetischisierte Kapital - in welchem vom Geräuschabhub der Produktion die Produktion selbst übernommen, und von zur Ursache mutierter Wirkung, das was vom Menschen noch übrig, bestenfalls als Schmierstoff einverleibt. Nach vorne die Hand über die Stuhllehne. Um einiges ragt der Lautsprecher über sie hinaus. Still er in all dem Getose um ihn, bis er von einem weichen Vibrieren erfasst. Kurz nur. Einige wenige Cellotöne in den Klang gemischt. Der nimmt sie auf und verschiebt sich wenn auch nur leicht und vielleicht auch nur von hier aus zu hören.

Jenseits des Verhangs. Eine Stimme vom eigenen Hall weggesperrt und so eng der bei ihr, dass sie ganz feucht. Elektronische Klangstreifen um sie herum spähen den Ort aus, dass der fest wird und Orientierung von blinder Bewegung. In der Annäherung die Feuchte ihr entzogen, monoton sie und geschieden von etwas, das er hört das sie hört das ihr gehört das sie verhört. Schritte erneut und auch um sie und gerade da wo zu Hörendes alles Gehen verhindert. Rasend einzig rasen als finde einer nicht hinaus und dass es einer und nicht sie das verrät das Keuchen. In Röcheln es erstickt wo die Schritte zum Stehen gekommen und die Stimme verstummt. Krähengekreisch ohne Raum noch Horizont, ein Flügelschlag viel zu weit davon entfernt. Geräusche in je einem Wort zu sich gekommen, kein anderes aber da, das ihm fort hilft. In Vitrinenleere akustische Eigenschaften von Wirklichkeit ausgestellt, die treiben der das Wirkliche aus, Verhältnisse zum Verschwinden bringend, indem von ihnen gesprochen. Laute Klänge Geräusche als Narben des Denkens, der ganze Körper hineingeschrumpft in deren Riss, lässt vom Wort des Erkannten sich abtasten: In Monstrosität zurückgeschlüpfte Frucht des eigenen Leibes und die hält kein Bild mehr ab sich zu vermehren. Horizontlose Geräusche wie eine Abstraktion und viel näher die am Begriff als das Optische mit seiner Fiktion, dass es hinter ihm weitergehe. Andererseits in seiner Flächigkeit ein Beharren auf das Buchstäbliche, sich dem Wort und seinem Versuch widersetzend im Imaginären es zum Verschwinden zu bringen. Janet Cardiffs und George Bures Millers The Murder of Crows – die Rückkehr einer buchstäblichen Realitätresistenz und zugleich Realitätrenitenz, die so kalt in Handlung und Geschehen der Installation eingespreizt, dass ihre bloße Materialität sich hintergründig surrealistischer Einverleibung versperrt und widersetzt.


Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Jenseits des Verhangs. Herantreten müssen und durch die eigenen Schritte hindurch bis deren Geräusche vom Gehörten überschwemmt und der Körper verflüssigt wo sein Aggregatszustand nicht mehr von ihnen bezeugt. Kreise von Lautsprechern um nichts. Auf Stühlen die und auf Ständern. Achtundneunzig an der Zahl und viele von ihnen auf Plätzen die sonst Hörern zugedacht. Einander zugewandt einander genügend. Von etwas Abgeschlossenem ihre Aufstellung zeugend - Wahrzunehmendes und Wahrnehmende in einem. Alles Ereignis bei sich lässt keine Zeit mehr weg, lässt der nichts mehr übrig an Geschehen. Ein magisches Rund an Stelen. Ganzheit die in den Berechnungen der digitalen Arbeit nur nochmals reflektiert. Erhörbar alles vom Einzelnen an seinem Platz wie es scheint: in seiner Ausdifferenziertheit und Intensität aber an jedem Ort haptisch-taktiler Befall, der der akustischen Wahrnehmung widerspricht. Schritte, Flügelschlagen, unverschweißte Gleisprofile von Waggonstahlrädern überrollt: von Lautsprecher zu Lautsprecher geschickte Geräuschabmischungen im Hören als Bewegung illusioniert, dessen Schein sich ein jeder singuläre Ort widersetzt. Keine Bewegung. In keinem Moment. Er bückt sich. Isoliertes Schlagen in herkunftsloser Präsenz um keinen endgültig denotierbaren Kern, und was der bedeute oder bedeuten könne schwerkraftlos in einem Vakuum kreisend, das vom Chassis aufrechterhalten. Das wartet darauf wieder Ort zu werden in ihm zubestimmter Zeit. Die Stimme erneut. Spricht von einem Ich das nicht könne, dass sie nicht könne oder wörtlich dass Ich nicht kann: „Ich kann nicht“, wie sie sagt und dass „Es war“ und wiederholt: „… es war…es war…“ Ich sagen und Ich sagen müssen. Die Stimme von ihm sprechend sagend dass es nicht kann, dies Ich, wie gesagt, und dass sie, wie Sie sagt, aus einem Grammophontrichter komme der auf einem Tisch stehe – Reproduktion der Reproduktion aus einer Zeit, die Stimme wie Ich noch Bleibe versprochen. Drumherum Lautsprecher, wie Sie sagt, und das hört er, kommt näher, dass er aber nichts berühren dürfe, so der Wächter erneut. Nein, er fasse nichts an. Fingerabdrücke und so weiter. Und er bückt sich und noch immer diese Stimme wie in einem Verhör einer Beichte einer Trance. Überblendungen elektronischen Geräuschmaterials in Geräuschgestalten von Maschinen. Überblendungen von Natur von Tieren. Ein Chor das Geschehen kommentierend es operettenhaft ironisierend
bis sie geht
diese Stimme
verflüchtigt im Gesang aus dem Grammophon heraus in Lautsprecher um sie herum und nach oben
und erneut begonnen um hierhin wieder zu kommen der Maschinenlärm
dass die Maschinen mit Babykörpern und Katzen bestückt
so eine die in Blut gewatet
diese Stimme
die nicht wegkomme und als sie doch weggekommen festgestellt
dass ihr ein Bein fehle
dass ihr ein Bein abgerissen
aber erst als sie es wieder gefunden dieses Bein
getrennt von ihr.


Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Schritt und Gedächtnis
Erst im Blinden, in welchen sie ihren Ursprung verloren, werden Geräusche zu etwas Selbstständigem und kein Sehen degradiert sie mehr zu Eigenschaft von Anderem. Kein Abspalt mehr von Bewegung, sich deren Verlauf nur bedienend, schieben sie sich in den vom Stock ausgeschlagenen Weg den trockene Schattenbrüche bei sich halten – Beleg ihnen wie ihre Verstörung. Grotesken wo das Denken ihnen nicht nachgegangen, von ihnen beschlichen es wie von verwandten Phantomen, geziert und kapriziös sich windend und - ganz eigen - allem Namen abhold. Verzerrt sie da doch kein Ursprung sie ordnet, und mit mehreren Bildern gegen das Bild jongliert, das sie verkrüppeln. Krüppel freilich sie selbst. Spottende Wegelagerer. Ereignisse Gegebenheiten verweigernd, nichts von sich mehr weglassend, in nichts mehr erfüllt und schon gar nicht im Begriff. Wo nichts das Geräusch aber abzuschließen vermag, durchkreuzt es alle Fiktion, die in die Tiefe hinein es zu weiten sucht, um es umgehbar zu machen. Wo aber Maß an ihm angelegt verflüssigt es sich, bläht sich auf oder zerfällt. Alle Scheidung zwischen möglich und unmöglich blockierend, ruft es immer mehr auf als erfasst. Nichts aber davon verschwindet und selbst dann nicht, wenn es längst verschwunden. Die Schritte etwa die nach oben führen, Stufen hörbar machend und ein Geschlecht. So trete ein Mann auf wie er denkt – nichts zwischen Sohle und Boden. Knarren einer Tür und die Schritte nicht fortgesetzt, abgerissen. Geöffnet sie wohl und aus Holz und dann wieder geschlossen. Ob der dessen Schritte da zu hören noch im Raum sich gefragt - im Raum den seine Schritte imaginiert der derselbe im welchen er sie gehört und jetzt nicht mehr. Die Schritte in diesem Raum und durch die Schritte allein nur in diesem Raum und dieser Raum allein nur durch die Schritte und nur er wenn da nicht die Tür das Knarren der Tür: dass ihre Anwesenheit dadurch in Frage gestellt, dass der Raum in Frage gestellt. Im Raum hier gibt es keine Holztür. Das weiß er. Das erst gibt ja den Schritten den Raum. Auch diesen Schritten und erst dadurch glaubt er ihren Raum zu erkennen, in welchem sie hallen, durch den ganzen Raum hallen, wie seine Schritte hierher, wo er sie hört. Dass sie sich nicht entfernten. Dass sich die Schritte nicht entfernten. Nirgendwo hinein gegangen keinen Raum durch ihr Betreten ausgewiesen. Keine Zäsur in der Geschwindigkeit kein Bruch in der Dynamik keine Färbung des von ihnen herausgetretenen Halls. Einfach aufgehört. Die Türe. Da vor der Tür, was zunächst Zeit ist. Was ihre Zeit war, sie beendet, da vor der Tür. Nichts dahinter und das könnte genauso Raum meinen und dass nichts von einem solchen zu hören, nichts von der Zeit die ihn auswiese in der Dauer von Schritten etwa. Diesseits der Türe also, wie er denkt. Weder er noch mit ihm jenseits. Ein sinnloser Gedanke, wie er denkt, weil dergleichen wie Diesseits oder Jenseits für das Hören nicht existiert. Das Hören kennt kein Dahinter. Es kennt nur einen Raum, den Raum seines Hörens. Schritte jetzt. Die gehen. Alles gehört wohl oder nicht mehr hören wollen. Keine Tür mehr. Nur Gehen. Leiser werden. Verschwinden.


Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


War im Dadaismus alle Materialität so sehr gegen sich selbst geführt, dass aus ihrer unverkleideten Rohheit keinerlei Gesellschaftssinn mehr zu wirken, der anderes als Destruktion beabsichtigte, kehrte der Surrealismus - und gerade mit seiner Negativität - zu Konstruktion und Gesellschaftsplan zurück indem er, auf Bild und Grammatik sich stützend, von buchstäblich genommener Lautpoesie und Performance sich abkehrte, Stil und Technik wider die Einsprüche des Materials setzend, Virtuosität gegen Sprachzertrümmerung gegen Subversion von Bedeutungspathos. Verfaltungen der Wirklichkeit mit dem Abgrundhaften durchaus anerkennend hatten ihm, gewappnet mit Psychoanalyse und dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, Bild und Syntax als Medien einer zum schattenhaft Hintergründigen hin durchlässigen Welt zu dienen, deren Doubles sich allein im Rahmen des Sichtbaren dabei verfingen. Anders als Futurismus und Dadaismus vor ihm, von denen Geräusch Klang und Laut hinaus in Eigenbewegung befreit, schien der Surrealismus sich in Aversion gegen das Akustische zu entfalten, dessen befreite Widerspenstigkeit - sich aller konstruktiven Weiterverarbeitung widersetzend – allerdings auch nur weit hinter den Futurismus zurückgeführt hätte. Die Klänge und die Laute aber vor allem die Geräusche hatten zu Leben begonnen. Misstrauisch belauerten sie ihre Verwendung vor allem dann, wenn unter ihrer Verarbeitung bewohnbaren Ideen Behausungen erstellt. Erst viele Jahrzehnte später sollte mit dem Punk die schiere Gewalt des Materials seine gesellschaftszerstörende Wirkung nochmals und mit aller Wucht entfalten. Im Übergang von der Bühne zum Film den freilich – mit Walter Ruttmann etwa – auch die Dadaisten für sich entdeckt (allerdings um auch hier sich mit dem nackten Material auseinanderzusetzen), transformierte sich im Surrealismus die rein körperliche Zerstörung in eine Zerstörung des Körpers, der vom Surrealismus so sehr in Distanz gehalten wie der Patient auf der Couch vom Psychoanalytiker. Buñuels Andalusischer Hund verstört ja nicht allein durch die Rasierklinge, die der Autor als Darsteller höchst persönlich durch das Auge einer vor ihm sitzenden Frau zieht. Liegt solche Verstörung zuerst doch in der Erscheinung der Frau selbst, die vollkommen apathisch zu einem toten Objekt erstarrt, an welchem der männliche Handelnde sich selbst durch ins Flüssige stößt. Setzt hier sich nochmals das Spiel um Entladung und Entlastung im Tragischen fort, von dem vor allem die Grausamkeit geblieben, beerdigte Jahrzehnte später der dadaistische Rebell wider den Surrealismus, Antonin Artaud, solche Körperfresserei des Sichtbaren, indem er sich in seinem Radiohörstück Schluss mit dem Gottesgericht mitsamt seiner Stimme hineinwarf ins Material das ihn zerriss und endgültig - und lange vor Barthes und Foucault - vom Autoren nichts mehr übrig ließ denn die Laute und das Geschrei, die das Material bei lebendigen Leib aus ihm herausgefressen. Hatte der Dadaismus die Dinge bis auf die Nacktheit ihres Materials entblößt, überzieht der Surrealismus mit der Rückkehr zum Bild noch das Wort mit einem metaphorischen Mantel, den der Futurismus noch in adjektivlosen Abfolgen von Nomina zwischen Stanze und Maschinengewehr weggesprengt. Grauen und Unfassbarkeit freilich weder in Bild noch in Gestalt fassbar gemacht, öffnete das surreale Gemälde ihm doch einen Raum der sein Off gleichsam mit sich führte, den frühen Filmen Buñuels da ganz nahe wo zwischen den Schnitten sich etwas gelagert, das zwar nicht mehr von sich ließ, zugleich aber vom Bild zum Verstummen gebracht. Gehalten im Abbild wird das Nicht-Abbildbare Restauration der Beziehung zwischen Bild Begriff und Ding, von wo aus Erzählung wieder an einem Punk anzulangen vermag, was im dadaistischen Gedicht ja gerade blockiert. Im Surrealismus wiederum das Bild des Abgrunds in die Welt eingebaut und so Mythen der Befreiung ermöglicht - Pläne diese tragend und Planstaaten. Wo aber Gestalt von ihrem Material nicht in Frage gestellt, wird Befreiung zum spießigen Spiel und so kriechen denn auch im automatischen Schreiben der Surrealisten all die Bilder und Ausdrücke hervor, die die Kinderstuben des Bildungsbürgertums bevölkerten, derer der Erwachsene dieser Schicht sich nun zu entledigen sucht, ohne deren materielle Grundstruktur dabei anzugreifen. Freiheit in vorverschienter Imagination nun befreit, reproduziert allein die alten Körper-Zwänge aus denen weder Verschiebung noch Verdichtung mehr heraushelfen.



Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Das vergriffene Bild
Fetzen, kleinste Bruchstücke durchstöbert von Wortschwärmen auf der Suche nach einem Echo und was aufgegriffen zugleich von Erzählungen überstülpt, dass in akustischen Kraterlandschaften sie nicht erneut buchstäblicher Karst. Geräuschmaterial was noch kein Materialgeräusch. In das wird es sich verwandeln wird sich verwandeln in ein gestaltgebendes Geräusch - reproduzierte Produktion Maschinerie aus Maschinen. The Murder of Crows - akustische Bildabfolgen und –montagen, Schnitte zwischen brachialer Zivilisation und ungestüm unberechenbarer Natur, zusammengehalten von der Stimme einer Frau, in deren tranceartig vorgetragenen Alpträumen Erzählungen in erster Person in hautnah überrealistisch wiedergegebenen Geräusch- und Klanggeschehen eingreifen, obschon von diesen absolut getrennt und ohne alle Berührung teilnahmslos über ihnen schwebend. Vorstellung von Material. Vorgestelltes Material. Eine Vorstellung von Material vor das Material gestellt. Transformationen Transgressionen Transmissionen. Amorphes, von einer Unzahl von Zeit- und Takt- und Rhythmuseinheiten durchwirkte Strömungen, auseinandergespreizt und verschoben und verdichtet als vielgestaltig durchpulsierter Körper einer Fabrikmaschinerie, der - selbst nur Metapher - sich in akustische Metaphern seiner Bewegung verwandelnd fließend wird flüssig wird Flüssigkeit wird, die ausläuft die abtropft die verebbt die verrinnt. Später dann und in der dritten Traumsequenz der umgekehrte Prozess wo wogendes Meer fliegenden Möwen zunächst Land schafft bis Wasser und Luft in einem Getose so sehr verdichtet, dass in seiner Festigkeit alles erstickt und das meint alles Geräusch und das meint alle Bewegung. Diese Stimme die eingreift ohne einzugreifen, ihrer Beschreibung in Schrift entgleitend. Aus einer Lähmung sich lösend ohne zu sich zu kommen – ein erster Satz eine erste Kraftlosigkeit: „Ich kann nicht … Es war … Es war …“ Einstürzende Bilder des Alptraums in zeitliches Davor und Danach teilend sie orientierend um auch das wieder zu verlieren: „ Irgendwie waren wir … und dann wechselt es plötzlich in die Vergangenheit … Aber irgendwie sprang es dann wieder in die Zukunft und da war ich war einer der beiden Leute …“
Plötzlich alles rot
wie sie sagt
alles Blut der ganze Boden und aus den Maschinen
und dass die einen mit Katzen beschickt und die anderen mit Babys
was sie wohl am Laufen gehalten
wie er denkt
deren Funktionieren denkt von dem sie nicht spricht
so wenig wie vom Sinn des Ganzen
nur dass sie um den gewusst habe
wie sie sagt
jetzt aber nicht mehr wisse nicht mehr wisse welchen Sinn das habe
welchen Sinn das gehabt habe
danach als sie davon gesprochen wie jetzt wie sie jetzt davon spricht
nur dass alles durchorganisiert dass alles systematisch
und sie um all dies wissend
den Raum nur unbemerkt verlassen könne
verlassen gekonnt habe
weil man sie sonst töten würde sonst töten müsse sonst hätte töten müssen
weil sie sonst getötet worden wäre
wo sie doch all dies gewusst.



Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Das Gedächtnis dieses Organ das das Vergessen des Grauens ermöglicht, um geschlagene Narben im Innern nochmals zu Gestalt kommen zu lassen, um sie im selben Maße zu umgehen sie zu verehren sie anzurufen sich ihnen zu opfern. Nicht das Bild aber ist die Entlastung sondern die Fiktion, dass es hinter ihm weitergehe und Tiefe dem Gesehenen Schwere und Stand und Zeit. Als die Fläche, die der Zeit vermeintlich entgeht, wird das Bild in seiner Beschreibung eben zu solcher, Lebendiges bei sich tragend und zugleich den Tod. Wird dabei aber zugleich zum Versprechen, dass etwas im Rahmen berechenbar fortgesetzt. Während zu Sehendes im Begriff in gewisser Weise bei sich, durchkreuzt das Geräusch als Fragment alles Ganze, Beschreibung in der Schwebe haltend ohne sie zu Wesentlichem kommen zu lassen. Während der Rahmen des Bildes der Erzählung Ausdehnung und Grenze zugleich, Volumen, das in ihm sich füllt, ist das Geräusch nichts als Kraft nichts als Gravitation, die alles an Sprache zu sich zieht, was in seiner Reichweite, an dem es sich auflädt und an Schwerkraft gewinnt. Während das Bild zur Fülle drängt - einer Tendenz in der auch seine Erstarrung – hält das Geräusch alles um sich in Bewegung durchblutet es durchströmt es durchpulst es. Nichts mehr aber ist es denn diese Bewegung. Kein Dahinter kein Fort nichts weiter. Ganz buchstäblich hält es bei sich was das Sehen ins Wörtliche kehrt. Einzig ein Horizont vermag es einzubinden, lässt sich von ihm färben, gibt ihm einen Ort ein Wesen und eine Tiefe. Wo im Geräusch aber solcher Horizont vorenthalten kehrt es sich ins Abstrakte und wird dabei flüchtig. Im Akustischen verliert das Grauen so sein Gewicht und wo nichts es mehr hält durchdringt es alles, infiziert leibhaftig was in seiner Nähe, wo weder Bild noch Wort mehr da um es davon abzuhalten. Die Krähe nur Schrei raumloser Zustand. Sein Ort mit seiner Erscheinung verschwunden. The Murder of Crows genau da wo der Schrei Hintergrund und Ursprung verloren. Der Mord an den Krähen/der Mord der Krähen - alles durchdringender Befall. Alptraumhaft also in Cardiff & Millers Installation weniger die erzählten Alpträume eher die Produktion der Geräusche als Widergänger, ohne dass diese sich verdoppelten. Hintergrundlose Reproduktion von etwas, das so nie gewesen, dessen Gestalt also immer schon Phantom, verstören Krähengeschrei und -geflatter in ihrem Nirgendwo alles was an Text an akustischem Geschehen an Stimme vor und nach ihnen, lassen nichts davon zu Ruhe kommen. Ein lebloser Eiterherd der von Leben spricht ohne dass er es je gewesen: weder zeitliche noch räumliche Grenze und nichts davon an ihnen reflektiert. Das Virtuelle nämlich ist ja keinesfalls körperlos. Vielleicht intensivste Körperlichkeit überhaupt wird sie von keiner Imagination aufgefunden. Nichts erfüllt sie hält sie fest. Einzig im Bildlosen im Blinden ist von ihr alles durchdrungen, ist ihre Anwesenheit von solcher Wucht, dass nichts Gegenständliches mehr ohne sie und ohne sie denkbar.



Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009


Als sollte dem Einspruch der nüchternen Erscheinung ihrer Installation wider die von ihrer digitalen akustischen Wucht hervorgerufenen Imaginationen nochmals widersprochen werden – zu sehen tatsächlich nur achtundneunzig Lautsprecher und ein Grammophontrichter unter ihnen und sonst nichts – wird von Cardiff & Miller eine Art Referenzbild eingeführt, über das von ihnen gesprochen, das im Katalog zu ihrer Arbeit auch abgebildet, im Zusammenhang mit der Installation allerdings in das Gegenteil der Bedeutung gekehrt, der dieser Radierung Goyas aus den Caprichos herkömmlich zugesprochen. Der Schlaf der Vernunft der Ungeheuer gebiert, ist hier eher der Wachzustand, in welchem im Traum Gestalt gewinnt, was sonst zwischen Realismus und Rationalismus ins Unsichtbare gescheucht. In seiner ambivalenten Bedeutbarkeit dieses Bild vom zu Hörenden befragt, wirft es aber auch die Ambivalenz des surrealistischen Bildes auf, dessen stummer Schrei hier ganz nahe an das alles verkrüppelnde Geräusch gerückt.

Das Bild mit dem Bild austreiben. Dem Grammophontrichter ein stehender Mann zugewandt lauschend der, vielleicht ihn aber auch nur aufmerksam betrachtend. In dreifacher Ausführung ein Zeuge hinter ihm auf dem Balkon, zwei weitere im Anzug auf der anderen Seite, der eine ein Netz in der Hand der andere eine Keule. Dass einer da bedroht sei, so der Titel und dass der ein Mörder, und wo im Singular von ihm gesprochen könne es sich, so Ihre These, nur um die Figur vor dem Grammophon handeln. Ist sie doch die einzige Einzelperson auf dem Bild. Eine weibliche da noch, aber die sei bereits tot – das sehe man allerdings nur, so Ihre Worte, wenn man genau hinschaut. Nackt liege sie auf einer Couch inmitten eines kahlen Zimmers und er erinnert sich ihrer blassen Erscheinung. Ihr Kopf abgetrennt, wie Sie sagt, und dass Sie das meine, wenn Sie sage, man müsse da schon genau hinschauen, um dann festzustellen und feststellen zu können, dass der Kopf ein wenig vom Körper versetzt, aber eben nur ein wenig. Er erinnere sich, sagt er, erinnere sich aber vor allem an eine Blutspur am Hals. Ja die sei auch zu sehen, sagt Sie, und ein Tuch darüber. Die andere allerdings war unbeobachtet, gesehen nur in den Worten dessen, der von ihr schreibt, von ihrem nackten Körper schreibt, ihren blonden Haaren die sie vor dem Spiegel kämmt. Hinter ihr und in diesem Spiegel zu sehen, wie später gelesen, „über einem sehr niedrigen Diwan hingestreckt“ ein anderes Mädchen mit den selben schlanken Körperformen dem selben blonden Haaren dem selben Gesichtsausdruck dem selben „glattem Fleisch“. „Das Messer mit breiter glitzernder und kalter Klinge“ neben den verunstalteten Körper des Mädchens das ihr so ähnlich. Eine Blutlache im zerwühlten Bett und wohl auch auf dem Marmorboden. Marmor denkt er. Ja das müsse Marmor gewesen sein. Diese Schritte. Die Stufen nach oben und er selbst zuvor nach unten. Freilich Marmor denkt er und dass, wie er liest, nochmals nachliest, das Blut bereits geronnen. Nein, dort im Präsenz gehalten, denkt er. Liest nach, hört nochmals nach, mit der Sprachausgabe noch einmal nachgehört: „…Auch auf dem Marmorfußboden … bereits gerinnt …“



Janet Cardiff & George Bures Miller, The Murder of Crows, 2008. Mixed Media Sound Installation Installationsansicht: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009




Text. Gerald Pirner - red | Foto: Adel - red / 1. August 2009
ID 4377

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