Kupferstich-Kabinett Dresden, noch bis 6. Juni 2004
Gerhard Altenbourg. Im Fluss der Zeit
Retrospektive
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Gerhard Altenbourg, Foto: Christian Borchert, Berlin
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Anlässlich des EU-Beitritts von Tschechien und Polen hatten sich die
Staatlichen Kunstsammlungen
Dresden etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Im Eingangsbereich des
Albertinums, wo derzeit der Künstler Gerhard Altenbourg mit einer großen
Retrospektive seines graphischen Werks geehrt wird, hieß eine Tafel alle Gäste
aus den beiden Nachbarländern willkommen und garantierte ihnen eine Woche lang
freien Eintritt. So konnte es passieren, dass einem in den Tagen nach dem 1. Mai
relativ viele Tschechen begegneten, während man versuchte, sich einen Reim auf
die 120 Zeichnungen, Mischtechniken und Künstlerbücher des Thüringer Malers zu
machen, die das Kupferstich-Kabinett Dresden noch bis zum 6. Juni in fünf großen
Räumen präsentiert.
Das ist nicht eben ein leichtes Unterfangen, auch wenn die Ausstellungsmacher,
der pädagogischen Tradition des Hauses folgend, das Leben und Schaffen des
Künstlers chronologisch aufrollen. Am Beginn der Schau steht ganz deutlich die
Verarbeitung drängender Probleme. Das Frühwerk, ein Schwerpunkt der Präsentation,
ist durchzogen von Werken, die von Religiosität, unverarbeiteter Sexualität und
traumatischen Kriegserlebnissen zeugen. Gleich zu Beginn fallen besonders die Ecce
Homo-Darstellungen ins Auge. Die überlebensgroßen, aus kreiselnden, grätschenden
Figuren, Zahlen und einfachsten Formen zusammen gewürfelten Körper, die Altenbourg
zwanghaft selbst auf größere Abrisse von Packpapier malte, wirken, wenn man näher
an sie herantritt, wie hieroglyphenübersäte Landschaften und lassen auf eine
zutiefst zerrissene Persönlichkeit schließen.
Menschen wie Landschaften
1926 unter dem Namen Gerhard Ströch als Sohn eines freikirchlichen Predigers in
dem Örtchen Rödichen-Schnepfenthal geboren, wurde der Künstler noch 1944 als
Infanterist und Panzerjäger zur Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende für kurze
Zeit als Journalist und Schriftsteller tätig, nahm er jedoch bald in Altenburg,
wo die Familie seit seinem dritten Lebensjahr wohnte, und an der Weimarer Akademie
Zeichenunterricht. In der beeindruckenden Zeichnung \"Ecce Homo Sterbender Krieger\"
von 1949 verquickt er seine Jungenphantasien mit den realen Erlebnissen: Über
seine Schülerzeichnungen von ballernden Landsern strichelt er ein ausgemergeltes,
skelettartiges Wesen, das, sich die Brust haltend, vornüber zu fallen scheint.
Bereits aus diesen frühen Werken spricht der expressive künstlerische Ausdruck,
der auch für das spätere Werk prägend sein sollte. Florian Illies will in seinem
Katalogbeitrag gar eine Wesensverwandtschaft mit dem zur damaligen Zeit fast
vergessenen Gottfried Benn feststellen. Die \"Radikalisierung des eigenen
Verhältnisses zur Sexualität, zur Familie und zur Umgebung\", wie Illies schreibt,
ist jedoch auch so deutlich erkennbar, beispielsweise in den respektlosen Bildern
über die Geschwister oder in den zwei kleinen Zeichnungen aus dem Jahr 1949, die,
stilistisch in einer Art Malen nach Zahlen, mit \"Beim Ficken\" und \"Es ist noch
kein Meister vom Himmel gefallen\" nicht unbedingt zeitkonform benennen, was dem
jungen Mann im Kopf und im Körper herumspukte.
Demgegenüber scheint Altenbourg in den Fünfzigerjahren ein gewisses Bedürfnis nach
Ruhe und Beschaulichkeit zum Ausdruck zu bringen. Es entstehen Aquarelle und
Tuschezeichnungen mit Motiven aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld. In \"Der
Gärtner\", \"Hellwiese\" oder \"Garten an der Spinnbahn\" entwickelt Altenbourg seine
charakteristische Mischtechnik mit ihrer grellen Farbigkeit, häufig in Blau oder
in Rottönen mit Schattierungen von Ocker, Rotbraun, Orange. Es sind chiffrierte,
zutiefst persönliche Bilder wie \"Die Schaukel\" oder \"Quellender Schöpfungstag\",
deren Entschlüsselung auch mit den biographischen Hinweisen kaum möglich scheint.
Kosmos Altenbourg - jenseits der Ideologien
Der persönliche Zugang an seine Kunst ist es auch, der Altenbourg zu einer
Sondererscheinung in der Kunst der DDR macht. Die Bilder, zunächst noch am Rande
des Figürlichen angesiedelt, werden mit der Zeit immer assoziativer. Mit dieser
künstlerischen Spontaneität, die weder abstrakt noch realistisch ist, verweigerte
sich Altenbourg dem zwischen Ost und West ausgetragenen ideologischen Streit der
Zeit. Es ist jedoch auffällig, dass der Künstler den Großteil seiner Meriten im
Westteil des Landes erhielt. Obwohl das Kupferstich-Kabinett bereits 1965 Werke
von ihm ankaufte, fand die erste DDR-Retrospektive erst 1986/87 statt.
Dass Altenbourgs eigentümlicher Kosmos nicht unbemerkt geblieben war, zeigt seine
Beteiligung an der Kasseler documenta II im Jahr 1959. Sein Beitrag, das
Künstlerbuch \"Zehn Reproduktionen und zwei Original-Zeichnungen\" von 1958,
bezeugt vor allem Altenbourgs Herkunft als Schriftsteller. Wie sein belgisches
Alter Ego Henri Michaux verarbeitete er in seinen zwölf Künstlerbüchern poetische
Einfälle sowohl graphisch wie auch - in einer hermetischen, geradezu absurden
Weise - lyrisch. \"Fremdling / kommst du / ins Reich / der / Hallelujazapfen / mit /
Dünenweh\" lautet eine Seite aus \"Jauchzer Juchzer Jachzer\" von 1977/78. Abgesehen
von Spielereien mit dem Material - \"Gehirnfeuer Monstranz\" wurde beispielsweise
auf Aktenfaszikel aus dem 19. Jahrhundert gemalt - kommt hier bereits die besondere
Eigentümlichkeit des Altenbourgschen Kosmos zum Ausdruck.
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Gerhard Altenbourg: Wickelgeist vor dem Meer, 1965
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Aquarell, Chinesische Tusche, Kreide auf Velin Bütten, Privatsammlung
(c) Nachlass Altenbourg, Galerie Brusberg, Berlin
Dieser Kosmos ist durchzogen von Poesie, und dieser schon fast autistisch poetische
Zugang gewinnt im Werk des Künstlers zunehmend die Oberhand. Bereits zu Beginn der
Sechzigerjahre verabschiedet sich Altenbourg etwa mit \"Versuch einer Frühlingssynthese\"
oder \"Geburt\" von jeglicher figürlichen Darstellung. Zwar sind bisweilen noch
überlebensgroße, ironische Gestalt-Landschaften wie etwa \"Die gepanzerte Jungfrau\"
von 1968 darunter. Ansonsten fungieren die Graphiken zusehends als Umsetzung höchst
kunstvoller poetischer Gedanken, die in den Titeln formuliert werden. Die
schraffierten monochromen Flächen von \"Das Gras war ihr Hochzeitsbett\" oder die
farbigen Wirbel in \"Wickelgeist vor dem Meer\" sprechen eine Sprache, die den
Betrachter ein wenig ratlos zurücklässt.
Poet, ohne zu schreiben
Man tut sich schwer, diese Bilder, die vor allem in den hinteren drei Räume der
Ausstellung zu sehen sind, auf den Begriff zu bringen. \"Fabulierbilder\" wurden sie
kürzlich in der Sächsischen Zeitung genannt - und doch sind sie mehr als das. Man
hat Henri Michaux, der seine künstlerischen Eskapaden wie etwa bei den
Mescalin-Bildern im einen wie im anderen Medium genau dokumentierte, vorgeworfen,
am Ende nur dekorative, nichtssagende Kunst zu schaffen. Es ist jedoch bei Michaux
wie bei Altenbourg das Persönliche, das im Vordergrund steht. Einen Zugang zu
seinen Graphiken findet denn wohl am ehesten, wer den Versuch unternimmt, sich
in sie regelrecht hineinzufühlen.
Allerdings meint man auch bei Altenbourg besonders in den Achtzigerjahren Anklänge
an sich wandelnde gesellschaftliche Grundbedingungen ausmachen zu können. In
\"Krieger vor wehendem Berg\" von 1982, besonders aber in \"Auf der Barrikade: Wahn,
Wirbel\" aus dem Jahr 1988 werden erstmals Verweise darauf eingestreut, dass auch
Altenbourg die Wendestimmung reflektierte. Schließlich hatte er \"Die Weisheit der
Geschichte\" in einer kleinformatigen Darstellung mit gestrichelten Ritterschemen
und einem roten Georgskreuz, das das Bild durchstreicht, bereits 1973 ironisiert.
Dass er von dieser Geschichte am Ende rechts überholt wurde, konnte er wohl damals
noch nicht ahnen: am 30. Dezember 1989, kurz nachdem die Wende in der DDR
eingeläutet worden war, starb Gerhard Altenbourg in Meißen an den Folgen eines
Autounfalls.
Das Dresdner Kupferstich-Kabinett hat mit der Altenbourg-Retrospektive \"Im Fluss
der Zeit\", die unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
steht, eine wunderbare, informative und nicht zu üppige Ausstellung geschaffen,
die auch zu mehrmaligem Besuch einlädt. Die Fähnlein junger Tschechen, die in den
ersten Maitagen durch die Räume des Albertinums streiften, waren trotzdem nicht
zu beneiden, denn sie werden kaum die bunten Bilder mit ihren komplizierten
Titeln in Einklang gebracht haben. Daher dürften sie Altenbourg auch kaum als den
erlebt haben, der er ist: ein Poet, der nicht schreibt, sondern zeichnet.
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p.w. - red. / 15. Mai 2004 ID 986
siehe auch:
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Galerie Neue Meister - Albertinum
Brühlsche Terrasse
01067 Dresden
Telefon: 03 51 / 4 91 47 31
Geöffnet täglich außer Dienstag 10-18 Uhr
Eintrittspreise: 4 Euro, ermäßigt 2,50 Euro
Alle ausgestellten Werke und Malerbücher sind im Katalog zu
finden, der für 28 Euro in der Ausstellung zu haben ist.
Nächster Ausstellungsort wird die
Staatliche
Graphische Sammlung München sein.
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